Seit fast einem Jahrhundert ist der US-Dollar die führende Weltreservewährung. Der Dollar macht nicht nur einen hohen Anteil in den Währungsreserven der Zentralbanken aus, sondern auch in den Portfolios vieler Anleger. Doch nun warnt die größte Bank der USA, dass der Dollar seine privilegierte Stellung verlieren könnte.
"Wir gehen davon aus, dass der Dollar aufgrund struktureller Gründe sowie konjunktureller Hindernisse seinen Status als dominante Währung der Welt verlieren könnte", heißt es in einer aktuellen Analyse von JPMorgan. Dieser Statusverlust könnte "mittelfristig" zu einer Abwertung führen.
JPMorgan: Weniger Dollar, mehr andere Währungen und mehr Gold
Die Analysten von JPMorgan halten daher eine Änderung im Währungsmix für sinnvoll. Sie empfehlen Investoren, den Dollaranteil in ihren Portfolios zu verringern und stattdessen in Euro und andere Währungen der entwickelten Märkte sowie in Edelmetalle zu diversifizieren.
Bei JPMorgan untersucht man schon seit vielen Jahren, wie und wann der Dollar seinen Status als Weltreservewährung verlieren könnte und welche Auswirkungen dies für Investoren hätte. Die Grafik des Analysten Michael Cembalest vom Dezember 2011, die ein Ende der Dollar-Dominanz nahelegt, ist seither zu einem Klassiker geworden.
"Der Aufstieg des Dollars zu internationaler Bedeutung wurde durch die Errichtung des Federal Reserve System vor etwas mehr als einem Jahrhundert und die wirtschaftliche Entwicklung der USA nach dem Ersten Weltkrieg vorangetrieben", schreibt JPMorgan-Analyst Craig Cohen. Denn die Fed habe die Einrichtung reiferer Kapitalmärkte und einer landesweit koordinierten Geldpolitik unterstützt.
Dass der Dollar zur Rechnungseinheit der Welt wurde, hat den USA ein "exorbitantes Privileg" verschafft, wie es der ehemalige französische Finanzminister Valery d'Estaing einst beschrieb. Denn die weltweite Nachfrage nach Dollars führte dazu, dass die USA hohe Handelsdefizite eingehen und massive Staatsschulden anhäufen konnten, ohne dass dies negative Folgen zu haben schien.
China wird globale Supermacht
"Es spricht nichts dafür, dass die Dollar-Dominanz auf Dauer bestehen bleiben sollte", schreibt JPMorgan-Analyst Craig Cohen. Und historisch habe sich die dominierende internationale Währung im Laufe der Jahrtausende immer wieder verändert, "wenn sich das Wirtschaftszentrum der Welt verschoben hat".
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs machten die USA mit mehr als 25 Prozent den größten Anteil an der globalen Wirtschaftskraft aus. Doch seitdem ist die Wirtschaft in den USA und im Westens insgesamt weniger gewachsen als in Asien. Im Zentrum dieses wirtschaftlichen Wandels steht China.
In den letzten 70 Jahren hat China seinen Anteil am globalen BIP auf rund 20 Prozent vervierfacht. Damit hat das Land heute ungefähr den gleichen Anteil wie die USA - und dieser Anteil dürfte in den kommenden Jahren weiter steigen.
Asiens Aufstieg schwächt den Dollar als Weltreservewährung
"China ist nicht mehr nur ein Hersteller von Billigprodukten, da dort ein wachsender Anteil der Unternehmensgewinne aus Sektoren mit hoher Wertschöpfung stammt, wie dem Technologiesektor", schreibt JPMorgan.
Und weiter: "Neben China verfügen auch die anderen Volkswirtschaften Südostasiens, darunter Indien, über einen starken säkularen Rückenwind, der von einer jüngeren Demografie und einem zunehmenden technologischen Know-how getragen wird."
Insbesondere die asiatische Wirtschaftszone von der Arabischen Halbinsel und der Türkei im Westen über Japan und Neuseeland im Osten bis hin zu Russland im Norden und Australien im Süden mache heute 50 Prozent des globalen BIP und zwei Drittel des globalen Wirtschaftswachstums aus.
"Von den geschätzten 30 Billionen Dollar für das Konsumwachstum der Mittelschicht zwischen 2015 und 2030 werden voraussichtlich nur 1 Billion Dollar aus den heutigen westlichen Volkswirtschaften kommen. Mit zunehmendem Wachstum dieser Region wird der Anteil der Nicht-USD-Transaktionen unweigerlich zunehmen", so JPMorgan. Dies werde die Rolle des Dollars als Weltreservewährung wahrscheinlich schwächen.
JPMorgan erwartet, dass die Weltwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten von der Dominanz der USA und des Dollars zu einem System übergehen wird, in dem Asien mehr Macht besitzt. "Im Währungsraum bedeutet dies, dass der Dollar wahrscheinlich an Wert verlieren wird, verglichen mit einem Korb anderer Währungen, einschließlich kostbarer Rohstoffe wie Gold."
Anzeichen für die schwindende Rolle des Dollars
Jüngste Daten über die Währungsreservebestände der globalen Zentralbanken deuten darauf hin, dass die Verschiebung weg vom Dollar bereits im Gange sein könnte. Als Anteil an den gesamten Zentralbankreserven hat die Rolle des Dollars bereits seit der Finanzkrise abgenommen. Aktuelle Daten zeigen, dass die Zentralbanken erstmals seit Einführung des Euro im Jahr 1999 Dollar verkauft und Euro gekauft haben.
Zudem erhöhen die Zentralbanken auf der ganzen Welt ihre Goldreserven. Im vergangenen Jahr kauften die Zentralbanken so viel Gold wie zuletzt 1971. Und die Goldkäufe der Zentralbanken in den vier Quartalen einschließlich des ersten Quartals 2019 waren so hoch wie nie zuvor. JPMorgan hält diese Entwicklung für "sinnvoll". Denn Gold sei eine "stabile Wertquelle mit tausenden Jahren Vertrauen".
Auch der Euro will dem Dollar Konkurrenz machen
Derzeit sind 85 Prozent aller Währungstransaktionen mit dem Dollar verbunden, obwohl die USA nur rund 25 Prozent des globalen BIP ausmachen. Doch überall auf der Welt entwickelt man derzeit Zahlungsmechanismen, die den Dollar umgehen sollen. "Diese Systeme sind klein und entwickeln sich noch, aber dies ist wahrscheinlich eine strukturelle Entwicklung, die über eine bestimmte Regierung hinausgeht", schreibt JPMorgan.
In einer kürzlich gehaltenen Rede über die internationale Rolle des Euro sagte der Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Claudio Borio: "Der Handel und die Abrechnung von Öl in Euro würden die Zahlungen von Dollar auf Euro verschieben und damit die endgültige Abwicklung auf das TARGET2-System des Euro verlagern. Dies könnte die Reichweite der US-Außenpolitik einschränken, wo diese den Dollar-Zahlungsverkehr als Hebel einsetzt."
Auch die Europäische Zentralbank sagt in einem kürzlich erschienenen Bericht, dass "wachsende Besorgnis im Hinblick auf die Auswirkungen der Spannungen im internationalen Handel und die Herausforderungen für den Multilateralismus, einschließlich der Verhängung einseitiger Sanktionen, die globale Stellung des Euro offenbar unterstützt haben".