Technologie

„Erdgas ist der Treibstoff für die Energiewende“

Ohne den Einsatz von Erdgas wird die Energiewende nicht funktionieren, sagt Dr. Timm Kehler vom Branchenverband Zukunft Erdgas. Fallen Kohle und Atomkraft wirklich aus, bliebe nur noch Gas als zuverlässiger Energieträger übrig.
01.08.2019 12:12
Lesezeit: 4 min

Soll die Energiewende gelingen, wird man auf Gaskraftwerke nicht verzichten können. Nicht nur als Backup für Wind- und Sonnenanlagen. Auch sonst hat Gas und seine Infrastruktur viele Potentiale, die zur Zeit kaum genutzt werden. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sprachen mit Dr. Timm Kehler, dem Vorstand von Zukunft ERDGAS.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie groß ist der Anteil des Erdgases am deutschen Energiemix? Wie wird sich der Bedarf in Zukunft entwickeln?

Timm Kehler: Schon heute ist Erdgas eine tragende Säule im deutschen Energiesystem, fast ein Viertel unseres Energieverbrauchs wird durch den Energieträger gedeckt. Die bedeutendste Rolle spielt Erdgas sicherlich im Wärmemarkt: Als Wunschenergie Nummer 1 der Deutschen sorgt es in jedem zweiten Haushalt im Winter für warme Füße. Mit dem absehbaren Kohleausstieg wird die starke Stellung von Erdgas noch weiter gestärkt, denn allein mit Sonnen- und Windanlagen wird die Energiewende kein Erfolg. Dafür sind diese zu großen Schwankungen unterworfen. Als zuverlässiges Backup können Gaskraftwerke innerhalb von wenigen Minuten einspringen und die Versorgung mit Strom so auch an trüben, windstillen Tagen gewährleisten.

Die Energiewende wird in dem Moment gelingen, in dem wir aufhören, sie als Stromwende zu verstehen. Eine reine Elektrifizierung aller Anwendungsbereiche ist nicht nur teuer, sondern in Bereichen wie der Schifffahrt oder dem Schwerlastverkehr technisch bedingt schlicht nicht möglich. Deshalb werden wir auch in Zukunft Gas und die entsprechende Infrastruktur brauchen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie wichtig ist Erdgas für die Umsetzung der deutschen Energiewende – mittelfristig und langfristig? 

Timm Kehler: Mittelfristig heißt die große Aufgabe der Energiewende: weniger Kohle. Und das heißt mehr Gaskraftwerke. Zukünftig müssen wir aber auch die bislang größtenteils getrennten Sektoren Wärme, Strom und Verkehr zu einem effizienten System verbinden. Aktuell werden Windanlagen abgeregelt und Ökostrom zu Negativpreisen ins Ausland verkauft, weil die notwendigen Speicher für den Strom fehlen. Das muss nicht sein. Das bestehende Gasnetz kann schon heute zur Batterie der Energiewende werden. Mithilfe der Power-to-Gas Technologie lässt sich grüner Strom in grünes Gas umwandeln und anschließend im Gasnetz speichern. Das Potenzial der Technologie muss also stärker gefördert werden. Bundesweit existieren zahlreiche Anlagen, die schon seit Jahren erfolgreich solch grünes Gas produzieren. Doch aktuell hemmen die politischen Rahmenbedingungen diese innovative Technologie – und bremsen so den Klimaschutz aus.

Neben Power-to-Gas können auch andere Verfahren grünes Gas herstellen. Zu wenig Aufmerksamkeit erhält leider Bio-Erdgas, das unter anderem aus Haushaltsabfällen erzeugt wird. Schon heute reicht die in Deutschland produzierte Menge des grünen Gases aus, um Frankfurt am Main ein Jahr lang mit Wärme zu versorgen – und das nahezu CO2-neutral. Trotzdem ist Bio-Erdgas politisch immer noch schlechter gestellt als zum Beispiel Bio-Öl. Vor allem im Gebäudesektor wirkt sich das negativ aus. Eine Fehlstellung, die dringend korrigiert werden muss.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie groß ist der "CO2"- Abdruck von Erdgas im Vergleich zu anderen Energiequellen?

Timm Kehler: Der CO2-Fußabdruck von konventionellem Erdgas ist – wenn die gesamte Versorgungskette betrachtet wird – knapp halb so groß wie der von Braunkohle. Und der Vorteil wächst weiter auf bis zu 70 Prozent, wenn man die jeweiligen Wirkungsgrade der Kraftwerke berücksichtigt. Zudem entstehen keine Schadstoffe wie Feinstaub oder Stickoxide. Das macht Erdgas zum saubersten und klimaschonendsten aller fossilen Brennstoffe.

Im Klartext bedeutet das: Wenn wir alle deutschen Braunkohlekraftwerke durch emissionsarme Gaskraftwerke ersetzen würden, könnten wir mehr als 100 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Das ist mehr als alle deutschen Haushalte jährlich emittieren. Es wäre fatal, wenn wir diese und andere Chancen nicht schnell nutzen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie groß sind die Potentiale von Erdgas-betriebenen Motoren bei LKWs und Schiffen?

Timm Kehler: Gerade im Schiffs- und Lkw-Verkehr sind Gasantriebe die einzige verfügbare alternative Antriebsart. Gasantriebe sind auch der beste Beweis dafür, dass Klimaschutz und Kosten nicht im Widerspruch zueinander stehen. Denn mit Bio-Erdgas im Tank sind PKW, Busse oder LKW schon heute nahezu klimaneutral unterwegs – und das kostengünstig und reichweitenstark. Die Städte Augsburg, Gießen und Oldenburg zeigen, wie ein klimaschonender ÖPNV aussehen kann. Deren Busflotten – als einzige in Deutschland – erreichen bereits heute die Klimaziele für 2050.

Gleichzeitig sorgt der Kraftstoff für saubere Luft, denn Schwefeloxide und Feinstaub werden so gut wie gar nicht ausgestoßen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird Erdgas auch in der Schifffahrt immer mehr nachgefragt, wie zum Beispiel das Kreuzfahrtschiff AIDAnova zeigt. Auch unsere norwegischen Nachbarn nutzen Bio-LNG innovativ: Die weltbekannte Reederei Hurtigruten setzt bei einigen ihrer Schiffe künftig auf grünes Gas, das aus Fischereiabfällen erzeugt wird.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Zeichnen sich technische Innovationen ab, für die Erdgas eine entscheidende Rolle spielt?

Timm Kehler: Der alle zwei Jahre verliehene Innovationspreis der deutschen Gaswirtschaft zeigt, dass wir ein Füllhorn an innovativen Ideen für die Zukunft haben. Ich möchte nur zwei herausgreifen:

Da ist zum einen die Methanpyrolyse, ein von Wissenschaftlern des Karlsruher Instituts für Technologie mitentwickeltes Verfahren zur Herstellung von Wasserstoff. Es erzeugt aus Erdgas Wasserstoff – und zwar ohne, dass CO2 freigesetzt wird. Auch das ist dann ein grünes Gas. Als Nebenprodukt entsteht Kohlenstoff, der wiederum als wertvoller Industrierohstoff genutzt werden kann. Eingespeist ins Gasnetz kann Wasserstoff so in ganz Deutschland zum Einsatz kommen.

Als anderes Beispiel möchte ich eine Lösung für die CO2-arme Energieversorgung im eigenen Zuhause nennen: die gasbetriebene Brennstoffzelle. Als Mini-Kraftwerk von der Größe eines Kühlschranks versorgt sie Haushalte umweltschonend und günstig mit Strom und Wärme. Und das mit Wirkungsgraden, die höher als jedes Großkraftwerk sind. Diesen Vorteil sehen immer mehr Verbraucher. Und der Staat gibt erhebliche Förderungen dazu. Seit 2016 hat sich die Zahl der neu installierten Geräte jährlich verdoppelt. Die Beispiele Wasserstoff und Brennstoffzelle zeigen: Die Zukunft für unsere Branche liegt in grünem Gas und hocheffizienten Technologien.

***

Dr. Timm Kehler ist Vorstand von Zukunft ERDGAS, der Initiative der deutschen Gaswirtschaft. Hinter Zukunft ERDGAS stehen führende Unternehmen der Erdgaswirtschaft wie Importeure, Regionalversorger und Stadtwerke. Die Initiative setzt sich dafür ein, dass die Potenziale des Energieträgers  ERDGAS auch in Zukunft genutzt werden und informiert über die  Chancen und Möglichkeiten, die ERDGAS für die Energiewende und den  Energiemix der Zukunft bietet. Heizgeräteindustrie, Handwerk und  Tankstellenbetreiber unterstützen Zukunft ERDGAS als Partner.

Von 2009 bis 2015 war Dr. Kehler Sprecher der Geschäftsführung der erdgas mobil GmbH, deren Geschäft heute von Zukunft ERDGAS fortgeführt wird. Der promovierte Maschinenbauer und Industriedesigner war zuvor über zwölf Jahre bei der BMW Group in verschiedenen Führungspositionen tätig – unter anderem in den Bereichen Design, Marken- und Produktstrategie sowie Marketing.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Immobilien
Immobilien Mietpreisbremse bleibt bestehen: Bundesjustizministerin Hubig kündigt Bußgeldregelung an
11.07.2025

Die Mietpreisbremse wird verlängert – doch ist das genug, um Mieter wirklich zu schützen? Während die Politik nachjustiert, plant das...

DWN
Politik
Politik Trump: Wir schicken Waffen, die NATO zahlt
11.07.2025

Erst Stopp, dann Freigabe: Trump entscheidet über Waffen für Kiew – und kündigt neue Schritte gegen Russland an. Bezahlen will er das...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Shitstorm im Joballtag: Hate Speech am Arbeitsplatz explodiert – was Unternehmen jetzt tun müssen
11.07.2025

Hassrede hat den Mittelstand erreicht – von Social Media bis ins Kundengespräch. Wo endet Meinungsfreiheit, wo beginnt...

DWN
Politik
Politik Milliardenschwere Steuerentlastungen für Unternehmen: Bundesrat macht Weg frei für Wachstumspaket
11.07.2025

Deutschland steht wirtschaftlich unter Druck. Das Wachstumspaket der Bundesregierung soll neue Investitionen anregen und Unternehmen...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis aktuell im Plus: Zwischen Zollstreit, Zinspolitik und charttechnischer Entscheidung
11.07.2025

Der Goldpreis schwankt – zwischen geopolitischer Unsicherheit, robuster US-Wirtschaft und charttechnischen Signalen. Anleger fragen sich:...

DWN
Politik
Politik Generälin über Krieg mit Russland: Ist Lettland die Schwachstelle der NATO?
11.07.2025

NATO-Generälin Jette Albinus rechnet mit russischem Angriff auf Lettland. Der Einsatz wäre kein Afghanistanszenario – sondern ein Kampf...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs unter Druck: Sorgen um US-Zölle dämpfen Rekordlaune
11.07.2025

Nach seinem Rekordhoch gerät der DAX-Kurs zum Wochenausklang unter Druck. Drohende Zölle aus den USA und schwache Unternehmensdaten...

DWN
Politik
Politik Zölle auf Wein? Deutsche Winzer blicken mit Sorge auf mögliche US-Zölle
11.07.2025

Strafzölle in Höhe von 200 Prozent auf Weinimporte aus der EU – mit diesem Szenario hatte US-Präsident Donald Trump noch im April...