Finanzen

Der naive Glaube an den ewigen Aufschwung

Lesezeit: 5 min
02.09.2019 16:49  Aktualisiert: 02.09.2019 17:05
Der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank für Deutschland, Stefan Schneider, warnt in einem aktuellen Kommentar davor, ein Konjunkturpaket zu schnüren: "Das würde eine Verschwendung von Steuergeldern darstellen."
Der naive Glaube an den ewigen Aufschwung
Foto: Alexander Heinl

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Mittlerweile teilen auch die offiziellen Prognostiker unsere Meinung, dass Deutschland sich in einer technischen Rezession befindet. Damit beginnen nun auch deutsche Politiker und Kommentatoren in den bis dato überwiegend an­gelsächsischen Chor einzustimmen, der lautstark staatliche Konjunkturprogram­me fordert. Unserer Meinung nach sollte die Politik aber erst dann antizyklische Maß­nahmen ergreifen, wenn wir Gefahr laufen, in eine tiefe Rezession zu fallen. Trotz der zweifellos hohen wirtschaftspolitischen Risiken erwarten wir derzeit ein solches Szenario nicht.

Gegenwärtig wird man als deutscher Ökonom, der immer noch nicht einsehen mag, dass es in Deutschland höchste Zeit für ein massives staatliches Konjunkturpro­gramm sei, von der Mehrzahl der angelsächsischen Investoren nur milde belä­chelt. Vor allem dann, wenn man, wie die Deutsche Bank, einer der ersten war, der bereits früh im Jahr vor einer Rezession gewarnt hat. Mittlerweile gehen Bundesregierung, Bundesbank sowie einige Forschungsinstitute ebenfalls zumindest von einer technischen Rezession aus, das heißt einem weiteren Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) im dritten Quartal nach 0,1 Prozent im zweiten Quartal.

Worauf also noch warten, fragen Europäische Zentralbank (EZB), Internationaler Währungsfonds (IWF) und die Finanzminister der Euro­gruppe immer ungeduldiger. Der amerikanische Nobelpreisträger Paul Krugman sieht in der „starrsinnigen“ deutschen Fiskalpolitik sogar eine Hauptquelle für die Probleme der Weltwirtschaft. Dies dürfte angesichts der gerade mal 3,2 Prozent, die Deutschland zum globalen BIP beiträgt, etwas viel der Ehr‘ sein.

Längster Boom der letzten 50 Jahre neigt sich dem Ende zu

Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lehnt zwar Konjunkturprogramme al­ten Stils ab, möchte eine Rezession aber auf jeden Fall vermeiden, bezeichnet dies sogar als Inbegriff der „Staatskunst“. Er verweist zu Recht auf den (au­ßergewöhnlich langen) zehnjährigen Aufschwung, den er gerne noch weiter ver­längern möchte. Aus der Konjunktur-Theorie wissen wir, dass ein Aufschwung in einen Boom übergeht, wenn die laufende Wachstumsrate über der Trendrate liegt und die aus dem vorhergehenden Abschwung resultierende Unterauslas­tung der Wirtschaft überwunden ist (positive Produktionslücke). Nach einhelliger Meinung von IWF, OECD und Bundesbank ist dies in Deutschland bereits seit 2014 der Fall. Die aktuelle Phase einer positiven Produktionslücke ist somit die längste der letzten 50 Jahre. Lediglich der Wiedervereinigungsboom, der be­reits im Jahr 1988 begann, dauerte genauso lange.

„Globalsteuerung“ der 60er Jahre endete in der Stagflation

Ähnlich dem Glauben an ein Perpetuum Mobile in der Physik (der durch den 1. Hauptsatz der Thermodynamik widerlegt wurde), gibt es in der Politik und bei einigen Ökonomen den Glauben an einen immerwährenden Aufschwung, bei dem der untere Teil der Konjunktur-Amplitude durch clevere Politik (Staatskunst) quasi eliminiert werden kann. Angesichts des sinkenden Trendwachstums wird es sogar wahrscheinlicher, dass ein konjunktureller Abschwung zu negativem BIP­-Wachstum führt. Mit der sogenannten Globalsteuerung unter Wirtschaftsmi­nister Karl Schiller (SPD) wurde diese Vorstellung in den 1960er Jahren gar Leitbild der deutschen Wirtschaftspolitik. Anstatt in das ökonomische Schlaraffenland, führte sie aber in die Stagflation der 1970er und frühen 1980er Jahre und damit in die schlechteste aller Welten, in der die Arbeitslosenzahl, die Inflation und die Staatsverschuldung kräftig stiegen.

Logo, bei einer tiefen Rezession muss der Staat ran ...

Aber halt, sind die Politiker und die sie beratenden Ökonomen nicht viel schlau­er geworden? Und hat nicht die Vermeidung eines wirtschaftlichen Armageddon infolge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise gezeigt, dass antizyklische Politik funktioniert? Natürlich war das weltweit koordinierte Handeln von Geld- und Fiskalpolitik in den Jahren 2009/2010 richtig. Allerdings war auch der Welt­handel zum Jahreswechsel 2008/09 regelrecht kollabiert und innerhalb von nur drei Monaten um rund 15 Prozent gefallen. Der Einbruch an den globalen Aktienmärk­ten signalisierte einen massiven Vertrauensverlust und ganz im Sinne von Keynes hat die staatliche Nachfrage erfolgreich versucht, den Kollaps der priva­ten Nachfrage auszugleichen.

... aber Rückzug im Aufschwung klappt selten!

Allerdings haben viele Länder es in der Folge versäumt, beizeiten aus dem Kri­senmodus auszusteigen. Die Staatverschuldung liegt weltweit trotz eines Rück­gangs um knapp sieben Prozent-Punkte in den letzten drei Jahren noch 23,5 Prozent-Punkte über dem Niveau des dritten Quartals 2008. Die globale Verschuldung außerhalb des Finanzsek­tors ist gar um 36 Prozent-Punkte von 197,7 Prozent des BIP im dritten Quartal 2008 auf zuletzt 233,7 Prozent gestiegen. Chronisch tiefe Notenbankzinsen sind daran nicht ganz unbeteiligt. Die USA, von wo die lautesten Aufforderungen zum „deficit spending“ (schuldenfinanzierte Staatsausgaben) an die deutsche Politik kommen, befinden sich in einer wahren Verschuldungsorgie. Das öffentliche Defizit in den USA wird nach Schätzungen des „Congressional Budget Office“ (CBO/ für die Prüfung und Schätzung der Ausgaben innerhalb eines Haushalts-Jahrs zuständige US-Behörde) im Fiskaljahr 2020 die Schallmauer von einer Billion US-­Dollar erreichen. Bei unveränderter Gesetzes­lage wird der Schuldenstand in den nächsten zehn Jahren um 15 Prozent-Punkte des BIP, wenn es schlecht läuft eventuell gar um 27 Prozent-Punkte klettern.

Haben die Deutschen ein „Schuld“-­Problem?

Dass das Wort „Schuld“ in der deutschen Sprache nicht nur eine finanzielle Ver­pflichtung, sondern auch eine moralische Verfehlung beschreibt, gehört mittler­weile zum Allgemeinwissen auch der Kritiker, die ansonsten wenig Deutsch­kenntnisse (und häufig auch nur geringe Kenntnisse über Deutschland) vorwei­sen können. Dieses Homonym versinnbildlicht in den Augen dieser Kritiker die deutsche Obsession in Bezug auf Verschuldung.

„Money for nothing“ – sollte der Staat zugreifen?

Diese kollektive Paranoia habe sogar masochistische Züge, argumentieren sie. So könne sich doch der Staat zu negativen Zinsen am Markt finanzieren und auf diese Weise wachstumsfördernde Bildungs-­ und Infrastrukturinvestitionen auf den Weg brin­gen, die über das dadurch induzierte höhere zukünftige BIP-Wachstum quasi selbstfinanzierend sind. Nun steht es außer Frage, dass ein höheres Bildungsniveau der Bevölkerung und eine moderne Infrastruktur neben den privaten In­vestitionen Grundlagen für ein nachhaltiges Wachstum sind. Deutschland hat hier ohne Zweifel Nachholbedarf, wenn auch das pauschale Bild einer „zerbrö­selnden Infrastruktur“, das Prof. Krugmans Fernanalyse ergibt, sicherlich über­trieben ist. Die Kunst besteht darin, nicht aufgrund kurzfristiger politischer Inter­essen mit der Gießkanne oder nach dem Motto „viel hilft viel“ zu agieren. Ange­sichts des massiven Strukturwandels besteht die wahre Staatskunst vielmehr darin, solche Investitionen zu identifizieren, die tatsächlich unser zukünftiges Wachstumspotenzial erhöhen, dabei aber Wahlgeschenke und Klientelpolitik zu vermeiden.

Zur Verfügung stehende Mittel werden nur schleppend abgerufen

Im ersten Halbjahr 2019 verbuchte der Staat laut volkswirtschaftlicher Gesamt­rechnung einen Finanzierungsüberschuss von 45,3 Milliarden Euro beziehungsweise 2,7 Prozent des BIP. Die Zahlen fallen im zweiten Halbjahr üblicherweise niedriger aus; zudem zeigt sich am aktuellen Rand, dass die schwächere Konjunktur auf die Steuereinnahmen durchschlägt. Dennoch zeigt der Überschuss, dass Deutschland derzeit über genügend finanzielle Mittel für höhere staatliche Investitionen verfügt – ganz o­hne neue Schulden machen zu müssen! Die Engpässe liegen in der Planung und im Mittelabfluss. Der CDU-Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg hat jüngst eine ganze Reihe von Fördertöpfen benannt (Kitas, Digitalisierung, Klimaschutz), aus de­nen jeweils Milliardenbeträge nicht abgerufen werden. Hierbei spielen kompli­zierte Planungsprozesse, Hürden durch die föderale Struktur, Personalengpäs­se in den zuständigen Verwaltungen, aber auch Verzögerungen aufgrund von Bürgerprotesten eine Rolle.

Die Hälfte der stattlichen Investitionssteigerungen geht mittlerweile in die Preise

Allerdings – und hier schließt sich der Kreis – haben wir zurzeit noch eine sehr hohe Auslastung der Kapazitäten, insbesondere in der Bauindustrie. Seit 2016 stiegen die Anlage-Investitionen des Staates mit einer realen Rate von durch­schnittlich knapp 4,5 Prozent pro Jahr. Schaut man genauer hin, so stellt man fest, dass während dieses Zeitraums der Deflator, das heißt die Inflation, für staatliche In­vestitionsausgaben kontinuierlich von 1,3 Prozent im Jahr 2016 auf über vier Prozent im ersten Halbjahr 2019 geklettert ist. Mit anderen Worten, zuletzt ist fast die Hälfte der steigenden Ausgaben für staatliche Investitionen in Form höherer Preise ver­pufft. Bei den Wohnungsbauinvestitionen gingen im ersten Halbjahr 2019 gar knapp zwei Drittel des nominalen Anstiegs gegenüber dem Vorjahr von 8,3 Prozent in die Preise, so­ dass nur ein realer Anstieg von 3,4 Prozent übrigblieb.

Konjunkturpolitik ist derzeit nicht nötig – Wachstumspolitik umso mehr

Damit sollte klar sein, dass zumindest derzeit ein deutsches Konjunkturpaket nicht angebracht ist und eine Verschwendung von Steuergeldern darstellen würde. Vielmehr sollte der Staat seine bereits angelegte kontinuierliche Erhö­hung der Bildung­s- und Infrastruktur-Investitionen durch eine kluge Standortpoli­tik begleiten und damit deren Wachstumseffekte erhöhen.


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