Finanzen

Ökonom: Zeit für die EZB, den Ankauf von Staatsanleihen auf Eis zu legen

Die EZB sollte bei der am Donnerstag anstehenden Entscheidung kein neues Anleihenkaufprogramm auflegen, findet der Ökonom Stefan Gerlach.
11.09.2019 16:29
Aktualisiert: 11.09.2019 16:32
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Angesichts des sich rapide verschlechternden Wirtschaftsklimas in der Eurozone wird die Europäische Zentralbank auf ihrer nächsten Sitzung am 12. September wohl ein massives Paket zusätzlicher Konjunkturbelebungsmaßnahmen ankündigen. Doch obwohl die Geldpolitik der EZB insgesamt nicht expansiv genug war (zu sehen an der anhaltend unter dem Ziel liegenden Inflation in der Eurozone), ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für eine umfassende geldpolitische Lockerung, einschließlich einer Rückkehr zur quantitativen Lockerung (QE).

Zunächst befindet sich die Wirtschaft in der Eurozone in einem weitaus besseren Zustand als im März 2015, als die EZB die quantitative Lockerung einführte. Im Vergleich zu damals liegt der Schlüsselindikator für wirtschaftliche Aktivitäten, der gemeinsame Einkaufsmanager-Index der Eurozone, etwas höher. Ebenfalls über dem damaligen Wert befinden sich Gesamt- und Kerninflation sowie die Inflationserwartungen der Haushalte und der Indikator der wirtschaftlichen Einschätzung der Europäischen Kommission. Darüber hinaus sind die kurz- und langfristigen Zinssätze sowie die Kreditzinsen der Banken viel niedriger und das Kreditwachstum präsentiert sich stärker. Angesichts dieser Daten lässt sich ein überzeugendes Argument für QE nur schwer ableiten.

Es trifft zu, dass die marktbasierten Messgrößen der Inflationserwartungen zusammengebrochen sind, aber das ist Teil eines globalen Phänomens und sagt wohl wenig über die Bedingungen in der Eurozone aus. Überdies erschwert eine Vielzahl an Problemen im Zusammenhang mit Risikoprämien die Interpretation dieser Indikatoren. Daher kommt es nicht überraschend, dass Umfragen zu Inflationserwartungen der privaten Haushalte und Unternehmen eine genauere Prognose der tatsächlichen Inflation abgeben. Da die marktbasierten Messgrößen derzeit auch im Widerspruch zu den meisten anderen wichtigen Wirtschaftsdaten stehen, sollte man diesen Messgrößen wenig Gewicht beimessen.

Ebenso zutreffend ist, dass die derzeitigen globalen Handelsspannungen die Hersteller in der Eurozone, insbesondere in Deutschland, schwer getroffen haben. Für die Geldpolitik ist es jedoch schwierig, auf die Einführung von Handelshemmnissen zu reagieren. In einer kleinen und sehr offenen Volkswirtschaft führt eine Geldmengenausweitung zu einer Abwertung des Wechselkurses, wodurch die Exporte im Stile einer Beggar-thy-Neighbor-Politik angekurbelt werden. Doch so kann die EZB geldpolitische Anreize nicht rechtfertigen, weil sie sich nicht auf den Euro-Wechselkurs als Teil ihres geldpolitischen Transmissionsmechanismus stützt.

Wenn sich freilich die Schwäche auf dem Sektor handelbarer Güter in der Eurozone auf den weitaus größeren Binnensektor ausbreitet, könnte Geldpolitik die Nachfrage tatsächlich ankurbeln. Es ist jedoch noch nicht klar, ob sich der Abschwung in der verarbeitenden Industrie auf den Rest der Wirtschaft auswirken wird. Wenn überhaupt, werden die globale Konjunkturabkühlung und die herannahenden US-Präsidentschaftswahlen 2020 die Wahrscheinlichkeit einer Lösung des chinesisch-amerikanischen Handelskonflikts erhöhen.

Der Eifer der EZB, für zusätzliche konjunkturelle Impulse zu sorgen, könnte daher von anderen Überlegungen getragen sein, wie etwa der kumulativen Unterschreitung ihres Inflationsziels von „unter, aber nahe 2 Prozent.“ Doch das ist ein langwieriger Prozess und es fällt schwer zu erkennen, warum eine jahrelang unter den Zielvorgaben liegende Inflationsrate ausgerechnet jetzt eine starke Reaktion rechtfertigen würde.

Oder aber die EZB will ihre Geldpolitik vielleicht lockern, bevor Christine Lagarde Mario Draghi am 1. November an der Spitze der Zentralbank ablöst. Trotz all ihrer Stärken wäre es für Lagarde zweifellos schwierig, ihre Amtszeit gegen den Widerstand von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann und der Fraktion des harten Geldes im EZB-Rat mit der Forderung nach weiteren konjunkturellen Impulsen zu beginnen.

Doch ungeachtet der Motivation der EZB ist die Wirksamkeit zusätzlicher Anreize fraglich. Die Zinssätze können kaum weiter gesenkt werden und es lässt sich schwer erkennen, wie man die langfristigen Renditen mit QE deutlich unter ihr derzeitiges Niveau drücken kann.

Der Ankauf von Vermögenswerten durch die Zentralbank ist zweifellos wirksam, wenn das Finanzsystem unter Stress steht und die Risikoaufschläge hoch sind. Unter diesen Umständen kann ein Großkäufer, dem es nicht um Renditen geht, sicherlich Abhilfe schaffen, indem er Vermögenswerte in großem Stil aufkauft und damit eine Untergrenze bei deren Preisen einzieht. Doch heute präsentiert sich die Situation anders; der - immer als gutes Maß für die Spannungen in der Eurozone geltende - Renditespread zwischen italienischen Anleihen und deutsche Bundesanleihen ist zusammengebrochen.

Angesichts negativer Renditen bei einigen langfristigen Staatsanleihen erkennen nationale politische Entscheidungsträger überdies, dass es sinnvoll ist, mehr für die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur und den Kampf gegen die globale Erwärmung auszugeben. Wenn diese Einsicht Fuß fasst und die fiskalische Expansion in Ländern unterstützt, die es sich leisten können, wird das Ergebnis in einem insgesamt verbesserten Gleichgewicht zwischen Fiskal- und Geldpolitik in der Eurozone bestehen.

Unglücklicherweise befindet sich die EZB nun in der Klemme. Sie hat die Erwartungen hinsichtlich einer weiteren Lockerung derart beflügelt, dass die langfristigen Anleiherenditen wieder nach oben gehen werden, wenn man am 12. September nicht mit einer gewissen Lockerung aufwarten kann. Doch die EZB wäre besser beraten, mit einer umfassenden QE zu warten. Derzeit ist wohl jedes signifikante Lockerungspaket verfrüht.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Stefan Gerlach ist Chefökonom der EFG-Bank in Zürich und ehemaliger stellvertretender Gouverneur der irischen Notenbank. Er war außerdem geschäftsführender Direktor und Chefökonom der Hong Kong Monetary Authority und Sekretär des Ausschusses für das globale Finanzsystem der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ).

Copyright: Project Syndicate, 2019.

www.project-syndicate.org

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Siton Mining: Mining mit BTC, XRP und DOGE.Verdienen Sie 8.600 $ pro Tag an passivem Einkommen

Auf dem volatilen Kryptowährungsmarkt ist die Frage, wie sich die täglichen Renditen digitaler Währungen maximieren lassen, anstatt sie...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Topmanager erwarten Trendwende bei Börsengängen
17.09.2025

Nach Jahren der Flaute sehen Topmanager eine Trendwende am Markt für Börsengänge. Warum Klarna den Wendepunkt markieren könnte und was...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Solar-Krise: Solarfirma Meyer Burger schließt Standorte - 600 Beschäftigten gekündigt
17.09.2025

Rettung geplatzt: Warum auch Investoren keinen Ausweg für den insolventen Solarmodul-Hersteller Meyer Burger sehen und was jetzt mit den...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chinesische Waren: Europas Industrie gerät zunehmend unter Druck
17.09.2025

Chinesische Waren fluten Europa. Subventionen aus Peking drücken Preise, während Europas Industrie ins Hintertreffen gerät. Deutschland...

DWN
Politik
Politik AfD stärkste Kraft: AfD zieht in YouGov-Umfrage erstmals an der Union vorbei
17.09.2025

Die AfD zieht in der Sonntagsfrage an der Union vorbei – für die SPD geht es minimal aufwärts. Eine Partei, die bislang nicht im...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft TOP10 Biotech-Unternehmen: Was Anleger jetzt wissen müssen
17.09.2025

Biotech-Unternehmen dominieren mit GLP-1 und Onkologie – doch Zölle, Patente und Studienerfolge entscheiden über Renditen. Wer jetzt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Halbleiterstandort Sachsen: Ansiedlung von TSMC - Silicon Saxony rechnet mit 100.000 neuen Jobs
17.09.2025

Sachsen ist Europas größter Mikroelektronik-Standort mit rund 3.600 Unternehmen und rund 83.000 Mitarbeitern. Auf der Halbleitermesse...

DWN
Politik
Politik Haushaltsdebatte im Bundestag: Erst Schlagabtausch, dann Bratwürste für den Koalitionsfrieden
17.09.2025

Merz gegen Weidel: Zum zweiten Mal treten die beiden in einer Generaldebatte gegeneinander an. Weidel wirft Merz „Symbolpolitik“ und...

DWN
Finanzen
Finanzen Berliner Testament: Ungünstige Nebenwirkungen bei größeren Vermögen – und was sonst zu beachten ist
17.09.2025

Das Berliner Testament ist in Deutschland sehr beliebt, denn es sichert den überlebenden Ehepartner ab. Allerdings hat es auch eine Reihe...