Politik

Tauwetter im Osten: Russland und die Ukraine vereinbaren Waffenstillstand

Lesezeit: 3 min
10.12.2019 08:21  Aktualisiert: 10.12.2019 08:21
Unter Vermittlung Frankreichs und Deutschlands haben Russland und die Ukraine eine vorsichtige Annäherung vollzogen. Kommentatoren zufolge handelt es sich bei den im Rahmen des Normandie-Formats erzielten Ergebnissen um einen Sieg für Europa und eine Niederlage für jene Kräfte, die Europa spalten wollten.
Tauwetter im Osten: Russland und die Ukraine vereinbaren Waffenstillstand
09.12.2019, Paris: Wolodymyr Selenskyj (l-r), Präsident der Ukraine, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, und Wladimir Putin, Präsident von Russland. (Foto: dpa)
Foto: Ludovic Marin

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Russland und die Ukraine wollen bis Ende 2019 einen vollständigen Waffenstillstand in der Ostukraine erreichen. Beim sogenannten Normandie-Format einigten sich die Präsidenten Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj am Montagabend unter deutsch-französischer Vermittlung zudem auf weitere Schritte zum Truppenrückzug auf beiden Seiten der Demarkationslinie. Russland unterstützt die pro-russischen Separatisten, die im Osten der Ukraine Gebiete kontrollieren.

Bei einem Treffen der Präsidenten von Russland, der Ukraine, Frankreichs mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel wurde am Montagabend in Paris zudem vereinbart, dass es bis März 2020 zusätzliche politische Fortschritte zur Deeskalation der Lage geben soll. Zentraler Punkt ist nach Angaben von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Merkel, Lokalwahlen in den von russischen Separatisten kontrollierten Gebieten der Ostukraine vorzubereiten. "Es gibt den guten Willen, auch schwierige Fragen zu lösen", sagte Merkel nach dem mehrstündigen Treffen des Quartetts in Paris. Sie sei mit dem Treffen "sehr zufrieden". Macron räumte aber ein, dass für die Lokalwahlen noch schwierige Fragen zu lösen seien. "Wir sahen die Probleme heute. Wir haben keine Wunderlösung gefunden, aber wir kommen auf dem Weg dorthin voran", sagte er.

Selenskyj dämpfte Hoffnungen der Separatisten auf einen weitgehenden Autonomiestatus. Die Ukraine könne kein föderaler Staat werden, betonte er. Nationalisten werfen dem neuen ukrainischen Präsidenten vor, dass er mit einem Sonderstatusgesetz für das Donbass-Gebiet in Wahrheit eine Abtrennung der Gebiete von der Ukraine vorantreibe. Putin wiederum versprach in der gemeinsamen Pressekonferenz des Quartetts, dass die Ukraine die Kontrolle über seine Grenzen wiedererhalten solle. Allerdings forderte er zuvor auch eine ukrainische Verfassungsänderung, die einen Sonderstatus für die Gebiete festschreiben solle.

Vereinbart wurde in Paris zudem, dass in drei weiteren Gebieten an der Demarkationslinie die Truppen zurückgezogen werden. Macron sagte, dass es bis Jahresende einen weiteren Gefangenenaustausch geben solle. Die Listen dafür gebe es schon. Des Weiteren sollen Übergangsstellen über die Demarkationslinie geschaffen und der OSZE eine umfassende Kontrolle des Konfliktgebietes ermöglicht werden. Im März soll der nächste Gipfel im Normandie-Format stattfinden - dieser dürfte dann erneut in Berlin zusammenkommen.

Der Gipfel tagte erstmals seit mehr als drei Jahren wieder auf Chefebene. Merkel sprach von einem neuen "Momentum" für den 2015 verabschiedeten Minsker Friedensplan für die Ostukraine. In Paris trafen sich Selenskyj und Putin erstmals. Bei dem russisch-ukrainischen Konflikt sind seit 2014 rund 13.000 Menschen gestorben.

Macron deutete an, dass die Lösung des Ukraine-Konflikts Voraussetzung für die neue Sicherheitsarchitektur in Europa unter Einbeziehung Russlands sein. Diese Idee hatte er vor einigen Wochen vorgestellt und war dabei auf Kritik der osteuropäischen EU-Staaten gestoßen. Diese werfen Russland den Versuch einer gezielten Destabilisierung der Region vor.

Der Finanzdienstlerister Solvencon kommentiert die Ergebnisse des Gipfels:

Der Normandie-Gipfel in Paris war ein beeindruckender Erfolg. Dieses Format hatte seit 2016 nicht mehr getagt. In der Folge wurde der Ukraine-Konflikt eingefroren. Mit den Ergebnissen, die gestern erzielt wurden, bauen sich Lösungsperspektiven auf. Das war ein guter Tag für die Ukraine und Russland, aber auch für ganz Europa. Es war kein guter Tag für die Kräfte, die Europa teilen wollten und wollen. Die Länder des Normandie-Formats haben einen vollständigen Waffenstillstand in der Ostukraine bis Ende 2019 vereinbart. Das nimmt zunächst Schärfe aus dem Konflikt und hilft den Menschen vor Ort. Weiterhin sollen Lokalwahlen in den von russischen Separatisten kontrollierten Gebieten der Ostukraine vorbereitet werden. Dieser Fortschritt ist für eine nachhaltige Lösung des innenpolitischen Konflikts in der Ukraine unverzichtbar. In drei weiteren Gebieten werden Truppen zurückgezogen. Übergangsstellen werden für Zivilisten geschaffen.

Damit ergeben sich für die Menschen vor Ort spürbare Entspannungsmomente. Das ist gut für Selenskyj und seine Glaubwürdigkeit hinsichtlich seiner Wahlversprechen. Der OSZE soll eine umfassende Kontrolle des Konfliktgebietes ermöglicht werden. Das hilft, zukünftige Eskalation zu verhindern. Im März soll der nächste Gipfel im Normandie-Format stattfinden. Es ist aus unserer Sicht elementar wichtig, die Kommunikationskanäle offen zu halten und zu intensivieren.

Präsident Selenskyj hat nach einem Gespräch mit Putin von einem Durchbruch in den Gasverhandlungen gesprochen. Putin sagte, dass Kiew mit billigerem Gas rechnen könne, wenn es ein Abkommen gebe. Putin hat Kanzlerin Merkel Hilfe bei der Aufklärung des Mordes an einem Georgier in Berlin versprochen. Er kritisierte die Ausweisung zweier russischer Diplomaten. Er warf dem Ermordeten vor, in einen Sprengstoffanschlag in Moskau verwickelt zu sein. Deutschland habe mehrfach eine Auslieferung verweigert.

Fazit: In allen Konfliktbereichen zwischen Russland, der Ukraine und der EU wurden gestern Fortschritte erzielt. Das ist ermutigend. Es belegt implizit, dass alle drei Parteien eine Fortsetzung des eingefrorenen Konflikts ablehnen. Hoffen wir, dass die vierte Partei, die für diesen Konflikt in der Entstehung wesentlich mitverantwortlich ist, diesen Prozess, der jetzt beginnt, nicht konterkariert. Weder die Menschen in Russland, der Ukraine oder in dem restlichen Europa verdienten es, weiter Figuren auf einem Schachbrett Dritter zu sein!


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