Finanzen

Finanzkrise im Libanon gerät außer Kontrolle: IWF entsendet Notfall-Team nach Beirut

Der Libanon steht nach einer wochenlangen wirtschaftlichen und politischen Krise vor dem Kollaps. Der IWF will eingreifen, die an der Regierung beteiligte Hisbollah blockiert aber. Eine Milliardenanleihe droht diese Woche auszufallen.
27.02.2020 09:17
Aktualisiert: 27.02.2020 09:17
Lesezeit: 2 min

Im Libanon spitzt sich die Lage nach wochenlangen politischen Auseinandersetzungen und dem Entstehen einer ernsten Wirtschafts- und Finanzkrise zu. Wie die Financial Times berichtet, hatte der Internationale Währungsfonds vergangene Woche ein Team von Spezialisten nach Beirut entsandt, um der Regierung „technische“ Unterstützung zu gewähren. Die einflussreiche schiitische Miliz Hisbollah lehnt jedoch eine Beteiligung des IWF zur Lösung der Krise ab.

Diese ist inzwischen außer Kontrolle geraten. So muss in der laufenden Woche entschieden werden, ob eine am 9. März fällig werdende Eurobond-Anleihe im Volumen von etwa 1,2 Milliarden Dollar komplett ausfällt, oder ob es gelingt, die Konditionen dergestalt zu ändern, dass die Höhe der Zinszahlungen gesenkt und die Rückzahlungsfrist deutlich verlängert wird.

Die gesamte Finanzstruktur des Staates ist in Schieflage geraten. So belaufen sich die Staatsschulden auf etwa 160 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung - der Libanon gehört damit zu den am höchsten verschuldeten Ländern weltweit. Das Haushaltsdefizit dürfte vergangenes Jahr wahrscheinlich 15 Prozent des BIP betragen haben, was einer massiven Abhängigkeit des Landes vom Import fast aller lebensnotwendigen Konsumgüter geschuldet ist. Die Inflation der an den US-Dollar gekoppelten Landeswährung beträgt inzwischen 60 Prozent, was zu einer Kapitalflucht der vermögenden Bürger und einer Knappheit an verfügbaren Dollar geführt hat.

Auch der Bankensektor steht kurz vor der Implosion. Die in Kraft getretenen Kapitalverkehrskontrollen sehen vor, dass Bürger nur noch 500 US-Dollar pro Monat abheben dürfen. Diese Maßnahme hat ihren Grund, denn die Banken befinden in einer ernsten Situation. Rund 70 Prozent ihrer Kredite hatten sie in der Vergangenheit an den Staat oder Staatsunternehmen vergeben. Der Staat kann seinen ausufernden Schuldendienst aber nicht mehr leisten. Die Kurse der emittierten Anleihen notieren deshalb alle zwischen 40 und 50 Cent für den Dollar. Mit anderen Worten können diese Forderungen nur noch mit großem Abschlag an andere Finanzinvestoren verkauft werden. Bei Verkäufen müssten die Banken herbe Bilanz-Verluste realisieren, welche ihre Kapitaldecke vernichten würden. Von den 30 Prozent der Kredite, welche in der Vergangenheit an die Privatwirtschaft flossen, gilt hingegen etwa ein Viertel als ausfallgefährdet – was in aller Regel bedeutet, dass sie nie mehr eingebracht werden können.

Die US-Ratingagentur S&P hatte die Kreditwürdigkeit des Landes Mitte des Monats herabgestuft. Angesichts einer erwarteten Schuldenrestrukturierung werde das Rating auf „CC/C“ von zuvor „CCC/C“ gekappt, teilte S&P mit. Damit rutscht die Einstufung tiefer hinein in den „Ramschbereich“, was die Aufnahme neuer Schulden für Libanons Regierung potenziell teurer macht. Der Ausblick sei negativ, was eine weitere Herabstufung nach sich ziehen könnte.

Der IWF-Funktionär, welcher das Team des Fonds in Beirut leitet, ist der Argentinier Martin Cerisola, dessen Heimatland derzeit ähnlich schwere Verwerfungen wie der Libanon erfährt. Argentiniens jahrzehntelange „Partnerschaft“ mit dem IWF hat nicht verhindert, dass das südamerikanische Land alle paar Jahre den Staatsbankrott anmelden muss. Obwohl Cerisola früher auch für den Iran gearbeitet hat – dem Verbündeten der Hisbollah im Libanon – widerstrebt sich die Miliz, Kredite und Bedingungen des IWF anzunehmen.

Dem IWF zufolge habe es fünf Tage lang „sehr informative und produktive“ Gespräche mit den libanesischen Behörden gegeben. Man sein weiterhin bereit, „technischen Beistand“ zu leisten. Das Team habe sich mit Premierminister Hassan Diab sowie mit dem stellvertretenden Premierminister, dem Notenbankdirektor, dem Finanzminister und anderen Beamten getroffen.

Die politische Dimension der Krise wird auch daraus ersichtlich, dass US-Präsident Trump die Europäer drängt, jegliche Hilfe für Beirut zu unterlassen. Frankreich, die alte Kolonialmacht und seitdem als Europas Führungsmacht in Libanon-Angelegenheiten tätig, lehnt die Vorstöße aus Washington ab. Trump dürfe eine Rettung des Landes nicht verhindern, nur weil es in seine Kampagne gegen den Iran passe, ließ Präsident Macron wissen. In den kommenden Tagen dürfte sich zeigen, ob die wirtschaftliche (und möglicherweise auch politische) Implosion des Zedernstaates herausgezögert werden kann oder nicht. Generell könnte ein Staats- und Bankenbankrott in einem Land in der gegenwärtig angespannten globalen Wirtschafts- und Schwellenländerkrise als ein Fanal für die globalen Finanzmärkte wirken.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Schmuck aus Holz und Stein: Holzkern – wie Naturmaterialien zum einzigartigen Erfolgsmodell werden
07.11.2025

Das Startup Holzkern aus Österreich vereint Design, Naturmaterialien und cleveres Marketing zu einem einzigartigen Erfolgsmodell. Gründer...

DWN
Finanzen
Finanzen Wall Street: Wie die Märkte alle Warnsignale ignorieren
07.11.2025

Die Wall Street kennt derzeit nur eine Richtung – nach oben. Während geopolitische Krisen, Schuldenstreit und Konjunkturrisiken...

DWN
Politik
Politik Donald Trump: Warum die Wahlsiege der Demokraten kein Wendepunkt sind
07.11.2025

Vier Wahlsiege der Demokraten in Folge, und doch kein politisches Erdbeben: Donald Trump bleibt erstaunlich unerschüttert. Während die...

DWN
Politik
Politik Pistorius will mehr Mut und neue Führungskultur in der Bundeswehr
07.11.2025

Angesichts russischer Bedrohungen und interner Bürokratie fordert Verteidigungsminister Boris Pistorius tiefgreifende Reformen in der...

DWN
Panorama
Panorama Mehr Mobbing in Schule, Beruf und Netz – Studie warnt vor zunehmender Schikane
07.11.2025

Mobbing ist längst kein Problem von gestern: Eine aktuelle Studie zeigt, dass immer mehr Menschen sowohl am Arbeitsplatz als auch online...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Rheinmetall startet Satellitenproduktion – Rüstung geht jetzt ins All
07.11.2025

Rheinmetall, bisher vor allem bekannt für Panzer, Haubitzen und Drohnen, wagt den Schritt ins Weltall. Der deutsche Rüstungskonzern hat...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Sichtbar mit KI: Wie KMU auf ChatGPT und Gemini gefunden werden
07.11.2025

Nach der Einführung von Googles KI-Übersicht ist der Website-Traffic im Schnitt um sieben Prozent gesunken. Klassisches SEO verliert an...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Teure Naschzeit: Preise für Schoko-Weihnachtsmänner steigen deutlich
07.11.2025

Süße Klassiker wie Schoko-Weihnachtsmänner, Dominosteine und Lebkuchen gehören für viele zur Adventszeit dazu – doch in diesem Jahr...