Am Mittwoch dieser Woche verabschiedete die Bundesregierung mit Blick auf einen möglichen Wirtschaftsabschwung ein mut- und perspektivloses Aktionspaket. Am Donnerstag legte der Dax, nachdem er in den Tagen vorher schon nachgegeben hatte, einen regelrechten Absturz hin. Jetzt musste die Politik doch noch reagieren, darum am Freitag der Dammbruch: Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gaben bekannt, dass nun mit der großen Kelle angerichtet werde, dass von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise betroffene Unternehmen großzügige Hilfe erwarten dürften – genug Geld sei da. Insgesamt räumte die Regierung den Unternehmen umfassendste Garantien ein.
Am Donnerstag war die EZB gleichermaßen gefordert. Die Märkte erwarteten von der Sitzung der Währungshüter, dass diese drastische Maßnahmen treffen würden. Diese müssten mindestens so weitreichend ausfallen, wie diejenigen der Bank of England und der amerikanischen Federal Reserve. Darüber hinaus wurde erwartet, dass die EZB ein hohes Maß an Handlungsbereitschaft signalisieren würde, um den Sorgen vor einem Konjunktureinbruch und einer eskalierenden Schuldenkrise zu begegnen. Denn die Ausbreitung des Coronavirus gefährdet insbesondere die Schuldentragfähigkeit Italiens, aber auch die von Portugal und Spanien. Besonders Italiens Wirtschaft ist zum Stillstand gekommen, hat quasi einen Herzinfarkt erlitten – Bankrotte drohen, ebenso Massenarbeitslosigkeit sowie eine Zunahme von Krediten, die niemals zurückgezahlt werden können.
Den in sie gesteckten Erwartungen kam die EZB jedoch nur begrenzt nach. Zwar bot sie den Banken ausreichend liquide Mittel an – auch zu günstigeren Konditionen. Aber die Währungshüter beschlossen keine Zinssenkung (was im Übrigen die richtige Entscheidung war). Maßnahmen, die eine expansive Fiskalpolitik oder einen weit größeren Kreditbedarf der Realwirtschaft direkt unterstützen, wurden nicht angekündigt.
Damit nahmen (und nehmen) die Sorgen über die Schuldentragfähigkeit mancher Euro-Länder weiter zu. Die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde war dabei mit einer Schwierigkeit konfrontiert: Die neue EU-Kommission hatte Italien zwar Spielraum für antizyklische Budgetmaßnahmen und die Abkehr von den vereinbarten Fiskalzielen eingeräumt, aber kein entsprechendes Rahmenpaket für die gesamte EU vorbereitet. Damit war der Spielraum der EZB begrenzt.
Lagarde beging darüber hinaus einen Fehler: Auf die Ausweitung der Zinsaufschläge italienischer gegenüber deutschen Anleihen angesprochen, sagte sie, es sei nicht Aufgabe der EZB, diese Risikoprämie einzuebnen. Was für ein Unterschied zu Mario Draghi’s „whatever it takes“. Die europäischen Börsen gingen darauf hin zum freien Fall über. Am Freitag dann die – unumgängliche – Kehrtwende: Die Kommission will die Fiskalregeln für alle Länder außer Kraft setzen, und EZB-Chefökonom Philipp Lane korrigierte die Ausdrucksweise von Notenbankchefin Lagarde kunst- und salbungsvoll. Die EZB werde sich um die Risikoaufschläge kümmern, sofern dies die Wirkungsweise (Transmission) der Geldpolitik berühre – was es in der Regel tut.
Wie viele Marktteilnehmer auch, werden die Währungshüter und die Spitzenpolitiker in Europa von der Geschwindigkeit des Markteinbruchs auf Trab gehalten – und in vielerlei Hinsicht überfordert. Es werden noch manche Pläne, Konzepte, Kommentare und Meinungsäußerungen umgebogen und ins Gegenteil verkehrt werden. Wie gesagt: Agieren tun die Akteure kaum noch – sie sind nur noch Getriebene. Immerhin: Die Reise geht in die richtige Richtung – bis vor kurzem herrschte noch stures Ausharren in der Bunkermentalität, und das war ganz gewiss nicht das richtige Rezept.