Wirtschaft

Tourismus-Branche im freien Fall: Lufthansa auf Ramsch-Niveau, Condor vor Pleite, TUI kämpft um Existenz

Ein Sektor mit vielen Überkapazitäten erlebt einen Tsunami sondergleichen. Auch eigentlich gesunde Unternehmen wie TUI und Lufthansa sind gefährdet. Eine Analyse von DWN-Korrespondentin Stefanie Claudia Müller.
20.03.2020 10:00
Lesezeit: 3 min
Tourismus-Branche im freien Fall: Lufthansa auf Ramsch-Niveau, Condor vor Pleite, TUI kämpft um Existenz
Vor vielen Airlines liegt eine dunkle Zukunft. (Foto: dpa)

Die Reisebranche wird vom Corona-Virus besonders hart getroffen. Die liebsten Auslandsreiseziele der Bundesbürger, Italien und Spanien, reagieren auf ihre hohe Todesrate bei der Pandemie mit Ausgangssperren und Einreiseverboten. Inzwischen hat die gesamte EU nachgezogen. Sie treibt damit den Tourismussektor ungewollt in den Ruin. An der Börse haben viele Branchenaktien wie die der Hotelkette Melià oder der britischen Fluggesellschaft IAG in den vergangenen Wochen bereits bis zu 60 Prozent an Wert verloren, ohne geschäftlichen Grund. Anders die Billig-Airline „Norwegian“, die bereits seit Jahren ums Überleben kämpft und jetzt natürlich auch auf Staatshilfe hoffen kann – die Skandinavier profitieren also sogar noch von der Corona-Krise.

Aber der Ökonom des Instituts für Wirtschaftspolitik in Köln, Jürgen Donges, warnt: „Wir sollten jetzt nicht retten, was nicht mehr zu retten ist.“ Auch Alitalia, die gerade wieder unter die staatliche Obhut gelangten, sollte besser abgewickelt werden, während das Steuergeld in gesunde Unternehmen investiert werden sollte. Zu solchen zählt unter anderem TUI. Das Unternehmen ging gestärkt aus der Thomas Cook-Pleite hervor, konnte auch noch das Flugverbot der Boeing Max 737 verdauen, aber Covid-19 ist jetzt der Knockout. Erst am 11. Februar hatte Konzernchef Friedrich Joussen die Prognose für das Geschäftsjahr 2020 vorgestellt. Er rechnete mit einem operativen Gewinn von bis zu 1,05 Milliarden Euro und blickte positiv in die Zukunft. Die Buchungen für den Sommer waren sehr gut.

TUI und Lufthansa sollte geholfen werden

In Windeseile hat sich die Lage jedoch verschlechtert. Die meisten Pauschalreisen und Kreuzfahrten finden wegen der Vorgaben vieler europäischen Regierungen zur Eindämmung des Virus vorerst nicht statt, Hotels werden auf unbestimmte Zeit geschlossen. „Wir ergreifen einschneidende Kostenmaßnahmen, um die Auswirkungen auf unser Ergebnis abzumildern“, teilte TUI mit. Übersetzt bedeutet das Massenentlassungen, die erstmal mit Kurzarbeit aufgefangen werden. Lufthansa und TUI haben inzwischen Staatshilfen erbeten, die Thomas Cook-Tochter Condor ebenfalls – sogar schon zum zweiten Mal. Nach der Pleite des Mutterkonzerns wurde die Airline Teil eines Schutzschirmverfahrens, dieses wollte sie nach der Übernahme durch die polnische Lot-Mutter PGL verlassen. Aber bei der aktuellen Lage scheint es unwahrscheinlich, dass dieser Deal überhaupt noch durchgezogen wird. In diesem Fall droht Condor die Pleite. Auch TUI, oft als möglicher Käufer von Condor gehandelt, leidet gerade doppelt, weil der Reiseveranstalter selber Hotels führt und mit „TUI Fly“ auch eine eigene Airline besitzt.

„Wer jetzt Flugzeuge geleast und nicht im eigenen Besitz hat, der hat ein schwerwiegendes Fixkosten-Problem. Die Krise hat zudem einen Sektor getroffen, der wegen des Klimawandels komplett im Umbau war“, sagt Gonzalo de Santiago Cadenas, Chefvolkswirt des spanischen Versicherers Mapfre. Gerhard Wolf von der Landesbank Württemberg glaubt, dass TUI schnell staatliche Liquiditätshilfen benötigt: „Unsicher ist, wie lange die Krise dauert und wie schnell sich das Geschäftsmodell wieder erholt. Wir stufen das Unternehmen deswegen auf ´nicht empfehlenswert.“ Die derzeit verfügbare Liquidität gab TUI ursprünglich mit rund 1,4 Milliarden Euro an. Wegen der erwarteten finanziellen Belastungen traut sich das Unternehmen jedoch eine Prognose der weiteren Geschäftsentwicklung im laufenden Jahr nicht mehr zu, der Ausblick von Mitte Februar wurde zurückgezogen.

Eine Branche am Boden

Hinzukommt für die Branche das Drama am Event- und Messemarkt. Die Absagen von vielen wichtigen Sport- und Musikveranstaltungen reißen nicht ab - darunter jetzt auch die EM und das Eurovisionsfestival. Auf die Verlegung der Olympischen Spiele warten Experten jeden Moment, auch wenn das IOC bisher an den Daten im Sommer festhält, obwohl viele der Trainingslager ausgefallen sind. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Auszeit des Konsums tragen wir alle. Die Verschuldung der Staaten wird weiter ansteigen und damit die Gefahr einer Depression. Auch die US-Fluggesellschaften wollen über 50 Milliarden Dollar Staatshilfe beantragen. Die rapide Ausbreitung des Virus belaste die Branche in beispielloser Weise, teilte die Lobbygruppe „Airlines for America“ mit.

S&P Global Ratings glaubt jedoch, dass Europa langfristig weniger betroffen sein wird von einem möglichen Rückgang der Touristenzahlen, sondern eher die Karibik und andere reine Sonnenziele wie Bahamas, Barbados, Cape Verde und Fiji: „Sie leiden doppelt, weil auch der Klimawandel ihr Geschäft extrem bedroht“, sagt Kreditanalyst Samuel Tilleray. Das Risiko dieser staatlichen Anleihen steige enorm. Als die am zweitheftigsten betroffene Region macht er den Balkan aus. Für John Plassard vom Schweizer Vermögensverwalter Mirabaud gehören jedoch auch China und USA zu den Verlierern. Bei Spanien fürchtet er einen regelrechten Tsunami: „Hier macht der Tourismus fast zwölf Prozent des BIP aus.“

Ausblick

Klar ist immerhin, dass die Branche bisher alle Krisen überstanden hat – selbst nach den schrecklichen Anschlägen von New York im September 2001 ging es wieder aufwärts, und selbst die Finanzkrise konnte den Boom des Reisens nicht verhindern. Die Zahl der Urlauber stieg von 675 Millionen Touristen weltweit im Jahr 2011 auf circa 1,5 Milliarden im Jahr 2019. Auch der Welttourismusverband OMT rechnet durch Covid-19 nur mit einem Einbruch von maximal vier Prozent in diesem Jahr, was 44 Millionen weniger Urlauber wären. Dennoch gibt es bereits Kollateralschäden: Die Ratingagentur Moody's hat Lufthansa in den Ramschbereich herabgestuft, "Baa3" auf "Ba1". Die Airline reagierte damit, die Dividende für 2019 auszusetzen, konnte die Börsianer aber nur kurzfristig beruhigen. Allerdings bekam das Unternehmen unerwartete Rückdeckung von einem Vieflieger: Der umtriebige Münchener Unternehmer und Milliardär Heinz Hermann Thiele ist mit gut fünf Prozent bei Lufthansa eingestiegen.

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