Wirtschaft

Corona: Was die Politik von den Militärs lernen kann

DWN-Gastautor Daniel Gros ist sicher: Die Weltwirtschaft kann bald wieder anspringen - wenn Politik und Notenbanken jetzt die richtigen Entscheidungen treffen.
Autor
avtor
11.04.2020 10:03
Lesezeit: 3 min
Corona: Was die Politik von den Militärs lernen kann
Der Pilot des Airbus A310 MedEvac, der fliegenden Intensivstation der Bundeswehr, bereitet sich auf den Flug nach Bergamo vor. (Foto: picture alliance/Kevin Schrief/Luftwaffe/dpa) Foto: Kevin Schrief

Politiker machen Militärs manchmal den spöttischen Vorwurf, sie würden regelmäßig den letzten Krieg nachkämpfen. Doch ist diese Redensart gleichermaßen auf die Politik anwendbar – und das ist nicht immer schlecht.

Zum Beispiel haben die Regierungen und Notenbanken, weil sie die globale Finanzkrise von 2008 noch in frischer Erinnerung haben, ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass die Finanzmärkte jederzeit kollabieren könnten. Angesichts der COVID-19-Pandemie setzen sie alle zu ihrer Verfügung stehenden Hebel ein, um eine Wiederholung des Stillstands an den Finanzmärkten, der sich vor einem Jahrzehnt als so verheerend erwies, zu vermeiden.

Die politische Reaktion auf die globale Finanzkrise erfolgte insbesondere in Europa mit einer gewissen Verzögerung und anfänglichen Verwirrtheit, weil Politiker und Bevölkerung noch keine Finanzkrise oder staatliche Zahlungsausfälle erlebt hatten. Doch haben die Regierungen und Notenbanken in Europa und den USA ihre Lektion gelernt und wenden diese Lehren nun in enormen Maßstab an, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie abzumildern.

Hierin liegt eine zweite Lehre der Militärgeschichte: Armeen mit echter Gefechtserfahrung sind tendenziell viel kampfstärker. Die verzögerte gesundheitspolitische Reaktion auf COVID-19 auf beiden Seiten des Atlantiks erklärt sich weitgehend aus einem Mangel an Erfahrung.

Weder Europa noch die USA haben seit der Spanischen Grippe von 1918-19 eine Gesundheitskrise diesen Ausmaßes erlebt. Die asiatischen Länder dagegen, die vor nicht einmal 20 Jahren mit der SARS-Epidemie zu tun hatten, reagierten viel schneller auf den COVID-19-Ausbruch und setzten drastische Maßnahmen zu seiner Eindämmung um, die sie in die Lage versetzten, die Ansteckungskurve relativ rasch zum Abflachen zu bringen.

Das sich auf Grundlage der Erfahrung Chinas abzeichnende Narrativ, dass Diktaturen besser bei der Bekämpfung von Epidemien seien, ist daher falsch. Was diesmal den Unterschied machte, war, dass China und andere asiatische Gesellschaften ein COVID-19 ähnliches Problem bereits erlebt hatten und die Erinnerung daran noch nicht verblasst war.

Demokratien wie Südkorea und Japan können ein Virus genauso wirksam bekämpfen wie eine Diktatur das kann. Tatsächlich haben offene Gesellschaften gegenüber autoritären Staaten einen eindeutigen Vorteil, weil unangenehme Informationen dort nicht lange bestritten oder unterdrückt werden können, so wie das zunächst in China geschah. Doch stellt die COVID-19-Pandemie für Europa und die USA einen Überraschungsangriff durch einen bisher unbekannten Feind dar. Daher ist es kein Wunder, dass die ersten staatlichen Gesundheitsschutzmaßnahmen verspätet und unorganisiert erfolgten.

Diese verpfuschte Reaktion ist auch der Grund, warum die Finanzmärkte jetzt so heftig reagieren. Die Anleger hatten zunächst eine steile, aber kurze Rezession gefolgt von einer V-förmigen Erholung erwartet. Doch während die Gesundheitsbehörden in Europa und den USA noch zauderten, konnte sich das Virus festsetzen – und die Märkte gerieten in Panik.

Ohne ein Eingreifen scheint sich die Zahl der COVID-19-Fälle pro Woche um einen Faktor von 4 bis 5 und in zwei Wochen um einen Faktor von 20 zu erhöhen, und in einem Monat kann sie sich potenziell mehr als verhundertfachen. Der Preis für ein paar Wochen Ignoranz und Realitätsverweigerung kann daher enorm sein.

Zudem wurde die aktuelle Krise nicht durch einen Aufbau interner Ungleichgewichte wie der überzogenen Kreditvergabe an US-Eigenheimbesitzer oder an schwache Peripherie-Staaten in Europa verursacht. Vielmehr ist es die Aussicht auf einen langen Zeitraum erzwungener Inaktivität und von Konkurswellen, die von Fluglinien bis hin zu Restaurants reichen, die die Bewertungen nach unten drückt.

Angesichts der Ungewissheit über die weitere Entwicklung der Gesundheitskrise versuchen die Anleger derzeit, alle risikobehafteten Vermögenswerte zu verkaufen und in Deckung zu gehen. Diese „zügellose Wettrennen um Bares“ führt zu einer Kette von Panikverkäufen, die die normalen kaufmännischen Beziehungen destabilisieren und sogar die Funktionsfähigkeit der Märkte bedrohen.

Glücklicherweise versuchen die Notenbanken, die die globale Finanzkrise in klarer Erinnerung haben, diese Art von Teufelskreis zu verhindern. Die US Federal Reserve und die Europäische Zentralbank haben enorme Programme eingeleitet, um alles aufzukaufen, was die verängstigten Anleger derzeit abstoßen wollen.

Man hat das Horden von Bargeld in einer Krise mit den derzeit fast überall zu beobachtenden Panikkäufen von Toilettenpapier verglichen. Doch während das Angebot an Toilettenpapier begrenzt ist und die Ausweitung der Produktion Zeit erfordert, können die Notenbanken augenblicklich unbegrenzte Mengen an Bargeld schöpfen. Es gibt daher wenig Zweifel, dass die Geldpolitiker die Märkte letztlich werden beruhigen können.

Doch wird das nicht ausreichen, weil sich nur größere Unternehmen zur Finanzierung auf die Kapitalmärkte stützen. Kleine und mittelständische Unternehmen dagegen, bei denen selbst in den USA mehr als vier Fünftel der Gesamterwerbsbevölkerung beschäftigt sind, sind auf eine Finanzierung durch die Banken und kontinuierliche Zahlungseingänge aus dem laufenden Umsatz angewiesen. Dieser wichtige Sektor wird daher durch das Geschehen an den Finanzmärkten nicht besonders stark beeinflusst.

Während die Notenbanken also sicherstellen können, dass die Finanz-Architektur während der COVID-19-Pandemie weiter funktioniert, können sie nicht viel tun, um Millionen von Kleinunternehmen dabei zu helfen, einen längeren Zeitraum ohne Umsätze zu überstehen. Hier müssen die Regierungen mit großzügigen Kredit- und sonstigen Hilfsprogrammen eingreifen, um Massenkonkurse zu verhindern. Und da sie die Erfahrung von 2008 bis 2009 noch in frischer Erinnerung haben, tun sie dies in großem Maßstab, wenn auch je nach Land auf ganz unterschiedliche Weise.

Die Weltwirtschaft wird irgendwann wieder anspringen, weil ihr Kapital, ihre Technologie und ihre Arbeitskräfte ja sämtlich weiterhin vorhanden sind. Zudem legen frühere Erfahrungen nahe, dass die Verbraucher ihr früheres Konsumverhalten weitgehend wieder aufnehmen werden; so war das selbst nach der Spanischen Grippe. Obwohl jenes Virus – hauptsächlich aufgrund der lückenhaften Gesundheitsversorgung nach dem Ersten Weltkrieg – mehr als einmal zurückkehrte, dauerte die weltweite Rezession weniger als ein Jahr.

Sofern die vereinten Bemühungen der Notenbanker und Regierungen die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte erhalten und Massenkonkurse verhindern können, sind die Aussichten gut, dass auf die jetzt unvermeidliche globale Rezession eine kraftvolle Erholung folgt, sobald das Virus eingedämmt ist. Doch dies erfordert, dass die westlichen Gesellschaften sich zügig anpassen und lernen, wie sie die Gesundheit ihrer Bevölkerungen schützen können.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Daniel Gros ist Direktor des Centre for European Policy Studies.



Copyright: Project Syndicate, 2020.

www.project-syndicate.org

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

avtor1
Daniel Gros

                                                                            ***

Daniel Gros ist Direktor des europapolitischen Instituts der Università Commerciale Luigi Bocconi.

DWN
Politik
Politik Venezuela-Manöver: Maduro reagiert auf US-Flugzeugträger in der Karibik
12.11.2025

Während die USA ihren größten Flugzeugträger in die Karibik schicken, reagiert Venezuela mit einem massiven Militärmanöver....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Grüner Wasserstoff aus Dänemark: Export nach Deutschland eröffnet Chancen für die grüne Transformation
12.11.2025

Dänemark produziert grünen Wasserstoff im Überfluss, doch der heimische Markt bleibt hinter den Erwartungen zurück. Kann das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft "Wirtschaftsweise": Auch 2026 kein spürbarer Aufschwung
12.11.2025

Die deutsche Wirtschaft kommt auch 2026 kaum voran. Der Sachverständigenrat warnt vor fehlendem Aufschwung, kritisiert den Einsatz des...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kontrolle von Krankschreibungen: Wie Unternehmen Fehlzeiten effektiv prüfen
12.11.2025

Die Kontrolle von Krankschreibungen wird für Unternehmen zunehmend wichtiger, um Fehlzeiten und Missbrauch effektiv zu managen. Doch wie...

DWN
Finanzen
Finanzen Bayer-Aktie: Milliardenschwere Glyphosat-Klagen belasten Konzern
12.11.2025

Die Bayer-Aktie steht erneut unter Druck: US-Rechtsstreitigkeiten um Glyphosat und PCB zwingen den Konzern zu hohen Rückstellungen,...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis-Prognose 2026: Rohstoffexperten sehen weiteren Kursanstieg
12.11.2025

Laut aktuellen Prognosen dürften 2026 sowohl Edelmetalle als auch Industriemetalle weiter ihren Wert steigern. Analysten und Händler...

DWN
Politik
Politik COP30 in Brasilien: So sollen Milliarden die grüne Transformation und das Klima sichern
12.11.2025

Auf dem Klimagipfel COP30 in Belém stehen nicht nur ökologische Ziele im Mittelpunkt, sondern vor allem die Finanzierung der globalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation: Keine Entlastung für Verbraucher in Sicht
12.11.2025

Die Inflation in Deutschland verliert an Tempo – doch im Alltag spüren viele davon wenig. Zwar sind Energie und manche Lebensmittel...