Wirtschaft

Indien bringt die gesamte globale Diamenten-Industrie zum Stillstand

Die landesweite Quarantäne in Indien, wo 90 Prozent der weltweiten Diamanten geschliffen werden, hat die gesamte Branche weltweit zum Erliegen gebracht. Zahlreichen Unternehmen in der globalen Lieferkette droht der Ruin.
18.04.2020 11:49
Aktualisiert: 18.04.2020 11:49
Lesezeit: 3 min
Indien bringt die gesamte globale Diamenten-Industrie zum Stillstand
Trotz der landesweiten Ausgangsbeschränkungen kauften am 13. April viele Menschen in der nordwestindischen Stadt Jalandhar auf einem Markt Lebensmittel. (Foto: dpa) Foto: -

Im März hat Indiens Premierminister Narendra Modi im Wesentlichen eine Stilllegung der Wirtschaft des Landes angeordnet. Der Grund ist die vermeintliche Bedrohung durch das Coronavirus. Mehr als eine Milliarde Menschen sind von den einschneidenden Maßnahmen betroffen. Um ihr Überleben zu sichern, sind unter anderem auch die Wanderarbeiter aus Surat in ihre ländlichen Heimatstädte geflohen. Wenn es in der Stadt tatsächlich ein gefährliches Virus gegeben hätte, wäre dies jetzt über große Teile des Landes verbreitet.

Surat ist nicht nur eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt, sondern vor allem das globale Zentrum der Diamantenherstellung. Neunzig Prozent aller weltweiten Schleif- und Polierarbeiten werden in Indien ausgeführt, hauptsächlich von Arbeitern in Surat. Aber da es nun keine Steine mehr zu schleifen gibt, sind laut Dinesh Navadia, dem Vorsitzenden des lokalen Industrieverbandes, etwa 200.000 Diamantenarbeiter in die Städte und Dörfer des umliegenden Bundesstaates Gujarat abgereist.

Im globalen Diamantenhandel hat Indien in den letzten Jahrzehnten Konkurrenten wie China immer weiter verdrängt. Das südasiatische Land importierte zuletzt Rohdiamanten im Wert von fast 20 Milliarden Dollar pro Jahr. Es kauft die Rohdiamanten etwa vom weltweit größten Produzenten De Beers mit Minen im südlichen Afrika und vom russischen Produzenten Alrosa. Dann exportiert Indien die geschliffenen Edelsteine oder die fertigen Schmuckstücke zum Verkauf in die USA, nach China und in die ganze Welt.

"Solange die Produktion [in Indien] nicht geöffnet wird, wird es keine Nachfrage nach Rohdiamanten geben", zitiert die Financial Times Stuart Brown, Chef der kanadischen Minengesellschaft Mountain Province Diamonds. Die Abhängigkeit von Indien war schon in der Vergangenheit für Weltmarktführer wie De Beers und Rio Tinto problematisch, als sich die indische Wirtschaft verlangsamte und die Finanzmittel knapp wurden, was zu einem Rückgang der Importe und Exporte führte und die Minenfirmen zwang, die Rohdiamantenpreise zu senken.

Nun hat die Entscheidung der indischen Regierung, die Wirtschaft des Landes lahmzulegen, die Fragilität der fragmentierten Lieferkette der Branche noch deutlicher zum Vorschein gebracht. Die Minenunternehmen haben den Verkauf in Handelszentren wie Antwerpen bereits eingestellt und ihre Aktivitäten in Südafrika und Kanada reduziert. Einzelhändler weltweit können derzeit keine Diamanten verkaufen. Die fehlenden Umsätze drohen nun eine Welle von Zahlungsausfällen in der gesamten Diamantenlieferkette auszulösen.

Die Preise für Rohdiamanten sind im vergangenen Monat bereits um 15 bis 20 Prozent gefallen, und sie werden wahrscheinlich weiter fallen. Laut Paul Zimnisky, einem in New York ansässigen Diamantenanalysten, hatten viele Unternehmen der Branche schon vor der Corona-Krise Probleme. Es werde jetzt einige Umstrukturierungen geben. "Wie viele Unternehmen können zwei oder drei oder vier Verkaufsveranstaltungen verpassen und ihre Geschäfte noch weiterführen?"

Eines der schwächeren Minenunternehmen ist das an der Londoner Börse notierte Petra Diamonds, das in Südafrika und Tansania tätig ist. Der Aktienkurs des Unternehmens ist seit Jahresbeginn um 70 Prozent gefallen. Denn Investoren sind in Sorge wegen Schuldenrückzahlungen im Umfang von 650 Millionen Dollar, die im Jahr 2022 fällig werden. Petra hat die Bank Rothschild damit beauftragt, "strategische Optionen" in Bezug auf die Fälligkeit der Schulden zu prüfen.

Auch die Zahlungsfähigkeit des relativ unorganisierten indischen Diamantensektors steht in Zweifel, wo neben den wenigen großen Schleifern viele kleinere Werkstätten mit dünnen Gewinnspannen und hohem Betriebskapitalbedarf tätig sind. "Wenn eine solche Situation eintritt [Stilllegung der Wirtschaft, Anm. d. Red.], ist es schwer zu überleben", sagte Shantibhai Patel, ein Juwelier in Gujarat, der mit Diamanten handelt. "Nur notwendige Artikel werden einen Markt haben. Und wir haben keinen Markt."

Premierminister Narendra Modi hat angekündigt, dass die Stilllegung der indischen Wirtschaft, die eigentlich diese Woche hätte enden sollen, noch mindestens bis zum 3. Mai andauern wird. Und die indische Diamantenbranche erwartet, dass die Probleme noch viel länger anhalten werden. "Es gibt keine Nachfrage. Kein Einzelhändler wird für einen absehbaren Zeitraum etwas bestellen", sagte ein Manager eines großen indischen Diamantenkonzerns. "Es wäre unsinnig, sie zu kaufen oder herzustellen, wenn man sieht, dass die Welt sie nicht kaufen wird."

Einige Führungskräfte der Diamantenminen sagen, dass die erzwungene Quarantäne von Milliarden von Menschen zu einem Nachholbedarf führen könnte, sobald die Einschränkungen wieder aufgehoben werden und die Juweliergeschäfte wieder öffnen. Doch Sanjay Shah, dessen Firma KBS einer der größten indischen Diamantschmuckhersteller ist, erwartet nur eine langsame Erholung in anderthalb oder zwei Jahren. "Wir handeln nicht mit Brot oder Milch, sondern mit einem Gegenstand, der nicht unbedingt gekauft werden muss."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik G20 in Afrika: Geschlossenheit trotz US-Abwesenheit – Signal für Frieden und Entwicklung
24.11.2025

Beim ersten G20-Gipfel auf afrikanischem Boden bleibt der Platz der USA demonstrativ leer – doch die übrigen Mitglieder setzen ein...

DWN
Panorama
Panorama Abnehmwirkstoff ohne Alzheimer-Erfolg: Novo-Nordisk-Studie enttäuscht Anleger
24.11.2025

Der Pharmakonzern Novo Nordisk hat mit seinem Abnehmmittel Semaglutid in einer Alzheimer-Studie einen Rückschlag erlitten. Die...

DWN
Finanzen
Finanzen Marktrisiko: Weshalb Topinvestoren jetzt Alarm schlagen
24.11.2025

Die jüngsten Kursstürze an den Märkten zeigen, wie angespannt die Lage geworden ist. Während Anleger nervös auf jede Bewegung...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Konjunkturtrübung: Ifo-Index sinkt überraschend – Hoffnungen auf Erholung schwinden
24.11.2025

Die Stimmung in den deutschen Chefetagen hat sich unerwartet eingetrübt: Im November fiel das Ifo-Geschäftsklima auf 88,1 Punkte und...

DWN
Finanzen
Finanzen Bayer-Aktien auf Jahreshoch: Pharma-Erfolg mit dem Gerinnungshemmer Asundexian
24.11.2025

Nach Jahren des Abstiegs erlebt die Bayer-Aktie einen überraschenden Kursschub. Ein neuer Studienerfolg weckt Hoffnung auf...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bürokratieabbau: Normenkontrollrat kritisiert Bund-Länder-Pläne als zu schwach
24.11.2025

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hält die aktuellen Vorschläge von Bund und Ländern zum Bürokratieabbau für unzureichend. In...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Infrastruktur in der Finanzlücke: Pkw-Maut als mögliche Lösung?
24.11.2025

Eine aktuelle Studie der Denkfabriken Agora Verkehrswende und Dezernat Zukunft zeigt, dass Deutschland bis 2030 rund 390 Milliarden Euro...

DWN
Panorama
Panorama Kita unter Druck: Experten fordern besseren Gesundheitsschutz für Erzieher
24.11.2025

Das Kita-System in Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Hohe Ausfallraten und Personalmangel belasten Erzieherinnen und...