Finanzen

Schleichende Ausweitung: Sind Corona-Bonds nur der erste Schritt zur Vergemeinschaftung von Italiens Schulden?

Lesezeit: 3 min
03.05.2020 08:27
Um die mögliche Vergemeinschaftung der Schulden im Euro-Raum ist ein hartes Ringen entstanden. DWN-Kolumnist Daniel Gros zeigt auf, von welchen Interessen die einzelnen Akteure geleitet werden.
Schleichende Ausweitung: Sind Corona-Bonds nur der erste Schritt zur Vergemeinschaftung von Italiens Schulden?
Italien ist ein wunderschönes Land - in dem es vielen Menschen finanziell sehr gut geht. (Foto: dpa)
Foto: epa ansa Maurizio Brambatti

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Europa sieht Licht am Ende des Tunnels: Die Zahl der täglichen Neuinfektionen und Todesfälle durch das Corona-Virus geht überall auf dem Kontinent allmählich zurück. Doch die wirtschaftlichen Folgen des „Lockdown“ werden sich erst noch einstellen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert, dass die Eurozone in diesem Jahr einen Rückgang des realen BIP um mehr als sieben Prozent erleben und sich 2021 nur teilweise erholen wird. Damit ist dieser Konjunktureinbruch sogar noch tiefer als die Große Rezession von 2008 bis 2009.

Von Europa – oder vielmehr der Europäischen Union – war während der schwersten Krise des Kontinents seit Generationen kaum etwas zu sehen. Die Mitgliedstaaten haben sich nicht nur ein unziemliches Gerangel um medizinische Versorgungsgüter geliefert, sondern zudem nur geringe greifbare Fortschritte in Bezug auf den Beitrag der EU zu den wirtschaftlichen und finanziellen Kosten der Krise gemacht.

Zwar hat die Europäische Zentralbank zu Recht alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Doch kommen die EU-Mitgliedstaaten in der zentralen Frage nicht weiter, ob der Block finanzpolitisch überforderten Ländern helfen kann und will.

Oberflächlich geht es bei dem Streit hauptsächlich darum, ob die EU gemeinschaftliche „Coronabonds“ begeben sollte, um in den am schwersten betroffenen Ländern Ausgaben für die Krankenversorgung und andere krisenbedingte Aufwendungen zu finanzieren. Doch in Wahrheit dreht sich der Konflikt nicht um „innovative Finanzinstrumente“, wie es die Finanzminister der Eurozone bei ihrer letzten Sitzung diplomatisch formulierten, sondern vielmehr um die künftige Richtung der Fiskalpolitik und sogar den Euro selbst.

In ihrem erkenntnisreichen Buch The Euro and the Battle of Ideas haben die Ökonomen Markus Brunnermeier, Harold James und Jean-Pierre Landau die Rolle analysiert, die Ideen in den Jahren 2010-14 spielten, als die Eurozone zeitweilig Gefahr zu laufen schien, zu zerbrechen. Sie argumentieren, dass der Umgang mit der Eurokrise durch Konflikte zwischen Frankreich und Deutschland beherrscht wurde und die Positionen beider Länder weitgehend durch die grundlegenden wirtschaftlichen Vorstellungen bestimmt wurden, die ihre inländischen Debatten dominierten.

Diesmal jedoch verläuft die zentrale Bruchlinie eindeutig zwischen Deutschland und Italien.

Der französische Präsident Emmanuel Macron ist in einer relativ bequemen Lage, weil die meisten französischen Wähler keine feste Meinung zu Euro- oder Coronabonds haben. Dagegen stehen diese Instrumente in Italien und Deutschland im Zentrum der innenpolitischen Debatte, werden aber dort jeweils ganz unterschiedlich betrachtet.

In Italien werden Coronabonds als natürlicher Ausdruck europäischer Solidarität angesehen. Die Regierung argumentiert, dass die COVID-19-Krise nicht zu erwarten gewesen sei, Italien daher die Hilfe seiner europäischen Partner verdiene und Coronabonds die einzig akzeptable Lösung seien.

Viele Deutsche dagegen betrachten Coronabonds als tödliche Gefahr, weil sie die Tür für die gefürchteten Eurobonds öffnen würden – was hieße, dass die deutschen Steuerzahler für die italienischen Schulden haften würden.

Viele Befürworter von Coronabonds in Frankreich, Spanien und Italien begreifen diesen Einwand nicht. Schließlich, so argumentieren sie, verlangten sie keine deutsche Bürgschaft für die bestehenden italienischen Schulden, sondern lediglich, dass die aus der Krise herrührenden zusätzlichen Ausgaben durch ein gemeinsames europäisches Instrument finanziert werden sollten. Doch die niederländischen und deutschen Politiker fürchten eine schleichende Ausweitung, bei der eine begrenzte Ausgabe von Coronabonds den Weg für große, unkontrollierte Beträge bei anderen Instrumenten bereitet.

Es ist in der ganzen Angelegenheit nicht gerade hilfreich, dass viele Menschen in Italien und anderswo tatsächlich davon träumen, dass Coronabonds die Tür für Eurobonds öffnen. Sie sind seit langem der Ansicht, dass die Eurozone gemeinsame Schuldinstrumente braucht, um sich zu einer „vollständigen“ Währungsunion zu entwickeln, und betrachten die aktuelle Krise als idealen Moment, um dieses Ziel zu erreichen.

Der wesentliche Grund für dieses gegenseitige Misstrauen ist das Fehlen einer gemeinsamen Vision in Bezug auf langfristige grundlegende Haushaltsprinzipien. Und da die Menschen in Krisen sehen, was sie sehen wollen – was, wie Dani Rodrik von der Universität Harvard vor kurzem betont hat, häufig eine Bestätigung ihrer lange vertretenen Überzeugungen ist – haben sich die Positionen auf beiden Seiten zusätzlich verhärtet.

Die Deutschen sehen die Krise also als Bestätigung ihres umsichtigen fiskalpolitischen Ansatzes, weil seit Jahren ausgeglichene Haushalte bedeuten, dass die Regierung viel mehr Geld ausgeben kann, um den deutschen Arbeitnehmern und Unternehmen bei der Bewältigung der Krise zu helfen. Die langjährigen Kritiker der „Austerität“ sehen in Deutschlands Haushaltsdefizit dagegen eine Bestätigung ihrer eigenen Position. Schließlich kann im Moment niemand etwas gegen hohe Defizite einwenden.

Leider lenkt dieser Dialog der tauben Ohren vom wirklichen Problem ab, nämlich der Richtung, die die Fiskalpolitik nehmen soll, wenn die unmittelbare Krise erst einmal überwunden ist. Sollten die Regierungen versuchen, ihre Haushalte schnellstmöglich auszugleichen und wieder anfangen, Schulden abzubauen? Oder sollten sie, solange die Zinsen derart niedrig bleiben, weiterhin Defizite fahren? Das letztliche Ergebnis dieses Konflikts fiskalpolitischer Ideen wird die Zukunft des Euro entscheiden.

Dies ist kein Problem, das erst irgendwann in ferner Zukunft relevant wird, wenn sich die Wirtschaft erholt hat. Bereits unmittelbar werden sich die Mitgliedstaaten schwertun, sich auf eine gemeinsame europäische Strategie zur Bewältigung der derzeitigen Krise zu einigen, solange dieser Konflikt nicht gelöst ist.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Daniel Gros ist Direktor des Centre for European Policy Studies.

Copyright: Project Syndicate, 2020.

www.project-syndicate.org

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Daniel Gros ist Direktor des europapolitischen Instituts der Università Commerciale Luigi Bocconi.


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