Finanzen

Mathematiker warnen Lebensversicherer: Eine Branche in Schieflage beginnt zu kippen

Lesezeit: 2 min
05.05.2020 08:00
Die Situation der deutschen Lebensversicherungen spitzt sich zu. Mathematikern zufolge müssen immer höhere Reserven gebildet werden, weil selbst die niedrigen Garantiezinsen der vergangenen Jahre nicht mehr erwirtschaftet werden können.
Mathematiker warnen Lebensversicherer: Eine Branche in Schieflage beginnt zu kippen
Eine Schülerin blickt auf eine Wandtafel mit mathematischen Formeln, die Einstein für seine Arbeiten verwendet hat. (Foto: dpa)
Foto: Ingo Wagner

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die deutschen Lebensversicherer werden die Folgen der Corona-Krise nach den Erwartungen der Versicherungsmathematiker zu spüren bekommen. Ein Ende der Niedrigzinsphase sei nach den Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Bekämpfung der Virus-Pandemie in noch weitere Ferne gerückt, sagte der Vorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), Guido Bader, am Montag. "Wir haben einen wahnsinnigen Schlag auf die Zinsen." Deshalb müssten die Lebensversicherer wohl in den nächsten zehn Jahren mehr als 75 Milliarden Euro für ihre Renditeversprechen aus der Vergangenheit als Zinszusatzreserve (ZZR) zurücklegen. Die zusätzlichen Leistungen und Schäden, die wegen der Pandemie auf die Branche zukämen, seien aber für die Versicherer nicht existenzbedrohend, erklärte die DAV.

In der Vereinigung sind gut 5000 Versicherungsmathematiker zusammengeschlossen, die unter anderem dafür zuständig sind, zu berechnen, welche Produkte sich ihre Unternehmen leisten können. Sie schlagen auch den Garantiezins vor, den die Anbieter für Lebensversicherungen auf Dauer versprechen dürfen. Festgelegt wird er von der Bundesregierung. Baders Stellvertreter Herbert Schneidemann sagte, die DAV halte trotz der Coronakrise an ihrem Vorschlag fest, den Garantiezins von 2021 an auf 0,5 Prozent von 0,9 Prozent zu senken. Das sei "noch angemessen". Womöglich habe die Finanzaufsicht BaFin aber einen noch niedrigeren Wert vorgeschlagen. Der DAV dringt auf eine Entscheidung bis Ende des Monats, um die Änderungen in den Versicherungstarifen bis Ende des Jahres umsetzen zu können. Reuters hatte im März berichtet, dass der Garantiezins auf 0,4 Prozent oder noch weniger sinken dürfte.

Der infolge der Nullzinspolitik der Zentralbanken sinkende Garantiezins hat zudem dazu geführt, dass die deutsche Lebensversicherungsbranche inzwischen zum Spielfeld für Finanz-Giganten wie BlackRock geworden ist.

Um ihre Zinsversprechen aus der Vergangenheit erfüllen zu können, müssen die Lebensversicherer seit 2011 Rücklagen bilden. Diese Zinszusatzreserve (ZZR) summiert sich seither auf rund 75 Milliarden Euro. Über zehn Jahre werde sich der Bestand mehr als verdoppeln, zumal die Unternehmen wegen der erodierenden Zinsen schon in diesem Jahr ZZR für die Neuverträge aus den Jahren 2012 bis 2014 bilden müssten, in denen der Garantiezins noch bei 1,75 Prozent lag. "Das wird Kraft kosten", sagte Bader. Ob alle Lebensversicherer genügend lukrative Kapitalanlagen hätten, die sie dafür zu Geld machen könnten, sei unklar.

Bader, im Hauptberuf Vorstand der Stuttgarter Versicherung, macht vor allem Sorgen, dass der Anlagenotstand sich kurz- bis mittelfristig verschärft. Der Absturz der Aktienmärkte sei aus Sicht der Versicherer "harmlos", doch stelle die Coronakrise die stabilen Renditen bei Immobilien, Hypotheken und alternativen Investments wie Beteiligungsfonds in Frage.

Insgesamt sei die Krise für die deutschen Versicherer aber beherrschbar. Bei einem Durchschnittsalter der Corona-Toten von 81 Jahren seien Lebens- und Renten-Policen kaum betroffen, weil diese zumeist viel früher ausbezahlt würden. Höhere Beiträge in der Krankenversicherung seien frühestens 2022 zu erwarten. Am schwersten betroffen sei die Industrieversicherung wegen der Betriebsschließungen und des Ausfalls von Veranstaltungen. Dafür sei in den Haushalten mit weniger Wasserschäden, Einbrüchen und Bränden zu rechnen, weil mehr Menschen tagsüber zuhause seien. 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Ratgeber
Ratgeber Die neuen, elektrifizierten Honda-Modelle

Komfort, Leistung und elektrische Antriebe – das gibt es alles mit den brandneuen Honda-Modellen als E-Auto, Plug-in-Hybrid und...

DWN
Politik
Politik Russland liefert Rekordmengen Gas über TurkStream nach Europa
29.11.2023

Über TurkStream fließen derzeit Rekordmengen Gas nach Europa. Doch die militärischen Angriffe auf die Pipeline halten an. Zudem macht...

DWN
Politik
Politik Rechtsgutachten prüft Berliner Sondervermögen
29.11.2023

Die deutsche Hauptstadt bekommt die Folgen der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nun direkt zu spüren. Jetzt prüft...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Inflation fällt deutlich, aber Ökonomen warnen vor Jahresende
29.11.2023

Die Inflation ist im November überraschend stark gefallen, auf den niedrigsten Wert seit Juni 2021. Doch für Dezember erwarten Ökonomen...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Wegen Haushaltskrise: OECD empfiehlt Ende der Rente mit 63
29.11.2023

Die OECD prognostiziert, dass die Wirtschaft in Deutschland 2024 deutlich langsamer wächst als in den anderen Staaten. Wegen der...

DWN
Immobilien
Immobilien Zeichen der Zuversicht: Die Renaissance der Zinshäuser
29.11.2023

Die Häuser wurden einst vor allem von gut situierten Privatinvestoren errichtet und galten als Kapitalanlage des wohlhabenden Bürgertums....

DWN
Finanzen
Finanzen Sinkende Inflation treibt Dax auf höchsten Stand seit Juli
29.11.2023

Der Dax hat die Marke von 16.000 Punkten überwunden und notiert auf dem höchsten Stand seit vier Monaten. Hintergrund ist der anhaltende...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Inflation gebannt? Reallöhne steigen, Importpreise fallen
29.11.2023

Die Reallöhne in Deutschland sind wegen der sinkenden Inflation zuletzt wieder gestiegen. Zudem verzeichnen die Importpreise einen starken...

DWN
Finanzen
Finanzen Buffett-Weggefährte Charlie Munger mit 99 Jahren gestorben
29.11.2023

Während Warren Buffett als Investoren-Legende weltbekannt ist, gab sich Charlie Munger über Jahrzehnte zufrieden damit, seine rechte Hand...