Deutschland

„Für eine weitere Covid-19 Welle wären wir sehr gut gerüstet“

DWN-Korrespondent Moritz Enders hat den Leiter der Internistischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Münster, Jan Sackarnd, zum Thema Corona interviewt. Der Mediziner bezeichnet das Virus als "hochinfektiös" und "sehr gefährlich", eine weitere Welle schließt er nicht aus.
13.05.2020 09:35
Aktualisiert: 13.05.2020 09:35
Lesezeit: 3 min

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie hat sich die Uniklinik Münster auf die befürchteten Wellen an Covid-19 Erkrankungen vorbereitet?

Jan Sackarnd: Sehr frühzeitig wurde eine Klinik-Einsatzleitung gebildet, welche auf Basis von Prognosen, Berichten und ministerieller Vorgaben vorausschauend geplant und gehandelt hat. Es wurde ein Konzept entwickelt, um stufenweise auf steigende Zahlen von COVID-Patienten reagieren zu können. Eine Intensivstation ist zur „COVID-Intensivstation“ umfunktioniert worden und eine Normalstation wurde aufwendig zu einer „COVID-Überwachungsstation“ umgerüstet und personell aufgestockt. Weitere Intensivstationen hätten jederzeit für COVID-Patienten genutzt werden können. Pflegerisches und ärztliches Personal ist geschult worden, um bei Bedarf zusätzlich im Intensivbereich zu arbeiten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ist die Uniklinik Münster durch Covid-19 an den Rand seiner Kapazitäten geraten oder drohte sich ein solcher Zustand einzustellen?

Jan Sackarnd: Weder noch. Die Uniklinik Münster hat über 1.400 Betten, davon 135 Intensivbetten. Innerhalb weniger Tage ist es gelungen, fast 500 Betten frei zu bekommen. Die Umsetzung des Stufenkonzepts ermöglichte es, schnell weitere Versorgungskapazitäten für COVID-Patienten zu schaffen, ohne die Versorgung der anderen Notfallpatienten zu gefährden.

 

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sind aufgrund der Bereithaltung von Intensivbetten andere Operationen verschoben worden?

Jan Sackarnd: Ja. Planbare Behandlungen und Operationen wurden entsprechend der Aufforderung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 13. März 2020 verschoben, um freie Betten zu schaffen. Notfälle und

nicht aufschiebbare Behandlungen wurden aber der Dringlichkeit entsprechend weiter durchgeführt. Es galt zu verhindern, dass Nicht-COVID-Patienten im Vergleich zu COVID-Patienten unterversorgt werden und einen gesundheitlichen Schaden nehmen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Können Sie abschätzen, wie gefährlich Covid-19 –  im Vergleich zu einer Influenza - ist?

Jan Sackarnd: Es handelt sich um ein Virus, das hochinfektiös ist, weltweit vorkommt, bei bestimmten Personengruppen eine hohe Sterblichkeit verursacht und gegen das es keine kausale Therapie gibt. Das macht es sehr gefährlich. Neben den Auswirkungen auf die Gesundheit muss man zudem die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen als gefährlich einstufen.

Und der Vergleich mit Influenza: Es gab in den letzten Jahren Influenza-Epidemien, die haben in Deutschland mehr Todesopfer gefordert als bislang SARS-CoV-2. Aber diese Epidemien waren saisonal. Corona hingegen ist noch nicht vorbei, so dass mit weiteren Todesopfern zu rechnen ist. Wie sich dies nach Lockerung der sozialen Distanzmaßnahmen entwickelt, ist kaum absehbar. Gegen Influenza gibt es einen Impfstoff, was dieses Virus zumindest etwas beherrschbar macht. Die schweren Verläufe von Influenza sind geprägt von einem Lungenversagen, die von COVID-19 von einem Mehrorganversagen mit hoher Sterblichkeit.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Symptome sind typisch für Covid-19? Welche Organe können durch den Virus in Mitleidenschaft gezogen werden?

Jan Sackarnd: Typische Symptome sind anfänglich Krankheitsgefühl, Fieber, Husten sowie Störungen des Geschmacks- und Geruchssinns, wobei nicht alle Symptome auftreten müssen und manche Erkrankungen sogar unbemerkt ohne jede Symptome bleiben. Schwere Verläufe sind geprägt von einer Lungenschädigung mit einer kritischen Störung der Sauerstoffaufnahme ins Blut, welche häufig eine maschinelle Beatmung notwendig macht. Zudem werden Nierenversagen, Störungen der Blutgerinnung und das Auftreten weiterer, meist bakterieller Infektionen, beobachtet.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Können Sie Covid-19 zweifelsfrei diagnostizieren?

Jan Sackarnd: Meistens ja. Die Virus-RNA kann in einem Rachenabstrich, in Sekreten der Atemwege oder im Stuhl nachgewiesen werden. Hinweise können auch Laborwertkonstellationen oder mit einer Computertomografie erkennbare Lungenveränderungen sein. Es gibt aber Fälle, in denen von COVID-19 ausgegangen werden muss, der eindeutige Nachweis aber nicht gelingt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten:  Wie viele Patienten mit Covid-19 mussten in der Uniklinik Münster intensivmedizinisch behandelt werden?

Jan Sackarnd: 19 Patienten wurden bisher intensivmedizinisch behandelt, fast alle mussten beatmet werden. Sechs Patienten sind in der Uniklinik gestorben.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Therapie wenden Sie bei Covid-19 Patienten an?

Jan Sackarnd: Eine das Virus eliminierende Therapie gibt es bislang nicht. Mehrere Substanzen galten als aussichtsreich, eine klinisch relevante Wirksamkeit konnte aber nicht bewiesen werden. In der Uniklinik Münster haben wir zwar an einer Medikamentenstudie teilgenommen, überwiegend aber rein symptomorientiert therapiert. Im Falle einer Lungenschädigung kamen je nach Ausprägung der Sauerstoffaufnahmestörung verschiedene Beatmungsformen zum Einsatz. Sechs Patienten benötigten ein künstliches Lungenersatzverfahren. Viele Patienten entwickelten ein Nierenversagen, was häufig eine Dialyse erforderlich machte. Begleitende Infektionen wurden mit Antibiotika behandelt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten:  Wäre die Uniklinik Münster für eine zweite Covid-19 Welle gerüstet?

Jan Sackarnd: Ja, sehr gut sogar. Es hat sich gezeigt, dass die Uniklinik Münster innerhalb weniger Tage sehr viele regulär vorhandene Betten, insbesondere Intensivbetten, für die Behandlung von COVID-Patienten zur Verfügung stellen kann und darüber hinaus weitere Intensivbetten errichten könnte. Das Personal ist gut ausgebildet, motiviert und in der Lage, die infektiösen Patienten zu behandeln. Es wurden Strukturen geschaffen und Prozesse in Gang gesetzt, welche im Falle einer zweiten Welle sofort reaktiviert werden können.

Info zur Person: Dr. med. Jan Sackarnd ist seit 2018 Leiter der Internistischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Münster.

 

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs rutscht zeitweise unter 90.000 US-Dollar: Kryptomarkt in extremer Angst
18.11.2025

Der Bitcoin-Kurs ist am Dienstag zeitweise tief gefallen und hat weltweit Unruhe unter Anlegern ausgelöst. Der Fear-and-Greed-Index warnt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Flixtrain bereit zum harten Wettbewerb um Bahn-Kunden
18.11.2025

Im Fernverkehr auf deutschen Schienen herrscht bislang wenig Wettbewerb. Das könnte sich in den kommenden Jahren ändern. Ein kleiner...

DWN
Technologie
Technologie Fliegende Autos: XPeng eröffnet erste Produktionsstätte für Flugfahrzeuge in China
18.11.2025

China eröffnet erstmals industrielle Strukturen für Fahrzeuge, die sowohl am Boden als auch in der Luft nutzbar sein sollen. Wird damit...

DWN
Technologie
Technologie Cloudflare down: Internetdienste X und ChatGPT massiv von Cloudflare-Störung betroffen
18.11.2025

Die Cloudflare-Dienste sind seit Dienstagmittag weltweit massiv gestört, betroffen sind darunter große Plattformen wie X und ChatGPT. Das...

DWN
Finanzen
Finanzen Nokia-Aktie und Nvidia-Aktie im Fokus: Wie die Partnerschaft 5G-Wachstum antreibt
18.11.2025

Die einst vor allem für Handys bekannte Nokia hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt und rückt nun wieder in den Fokus von...

DWN
Finanzen
Finanzen Vestas-Aktie im Minus: So sollen 900 gezielte Entlassungen die Ertragsziele stützen
18.11.2025

Die Vestas-Aktie steht derzeit unter Druck. Dass das Unternehmen weltweit 900 Bürostellen abbaut, scheint den Anlegern auch Sorgen zu...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Erfolg im Job: Warum Diplome nicht mehr über Karrierechancen entscheiden
18.11.2025

Die Anforderungen an Fachkräfte haben sich deutlich verändert, und Arbeitgeber legen zunehmend Wert auf Fähigkeiten, Persönlichkeit und...

DWN
Technologie
Technologie Digitale Souveränität in Europa: Beckedahl kritisiert Bundesregierung
18.11.2025

Deutschland feiert neue Google- und Microsoft-Rechenzentren, während die digitale Abhängigkeit von US-Konzernen wächst. Der...