Die Bundesbank hat sich kritisch zu der geplanten gemeinsamen Verschuldung der Europäischen Union (EU) geäußert. Die umfangreiche Schuldenfinanzierung sei ein „bedenkliches Novum“, schreiben die Währungshüter in ihrem neuen Monatsbericht vom Montag. Die Pläne seien überdies schlichtweg vertragswidrig. „Eine Kreditaufnahme auf der EU-Ebene ist in den EU-Verträgen eigentlich nicht vorgesehen“, schreiben die Ökonomen der deutschen Zentralbank. Um Haftung und Kontrolle in der Balance zu halten, wäre ein deutlich stärkerer Integrationsgrad in der EU erforderlich, mahnt die Bundesbank. Derzeit ist die Finanzpolitik weitgehend Sache der EU-Staaten.
Die EU-Staaten hatten sich im Juli auf einen mehrjährigen Finanzrahmen verständigt, der auch einen schuldenfinanzierten Extrahaushalt zur Bewältigung der Corona-Folgen umfasst. Die EU-Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen will also selbst Anleihen emittieren, um damit verzinstes Schuldgeld einzustreichen. Die im Zuge des Finanzrahmens eingenommenen Schulden sollen dann als Kredite oder auch als nicht zurückzuzahlende Zuschüsse an EU-Länder weitergeleitet werden. Wenngleich die Bundesbank dieses solidarische Vorgehen grundsätzlich gutheißt, moniert sie, „dass sich für die wachstumsfördernde Wirkung von EU-Mitteln in der Vergangenheit ein gemischtes Bild zeigte.“
Darüber hinaus weisen die Währungshüter darauf hin, dass die Kreditaufnahme der EU mit Kosten verbunden sei – praktisch komme es außerdem zu einer Art Schattenhaushalt der EU. „Die EU-Schulden werden die künftigen europäischen Steuerpflichtigen belasten, selbst wenn die Schulden nicht in den nationalen Statistiken abgebildet sind.“ Zins und Tilgung seien weiterhin von den Mitgliedstaaten zu erbringen. „Diese neuen Verpflichtungen aus den EU-Schulden sollten deshalb in die Bewertung der nationalen Staatsfinanzen einfließen.“
Scholz: gemeinsame Schulden vertiefen Integration, Deutsche müssen mehr zahlen
Die Aufnahme gemeinsamer Schulden der EU-Staaten zur Bewältigung der Corona-Krise verändert aus Sicht von Bundesfinanzminister Olaf Scholz die politische Statik in Europa. „Mit dieser Entscheidung übernimmt Europa für sein Schicksal gemeinsam Verantwortung“, sagte der SPD-Politiker der Zeit Ende Juli.
„Um die Schulden zurückzuzahlen, wird die EU perspektivisch mit eigenen Einnahmen ausgestattet. Das verändert die politische Statik auf eine dramatische Weise“, erklärte Scholz. „Wer zusammen Kredite aufnimmt und sie zusammen zurückzahlt, der erreicht eine neue Dimension der Gemeinsamkeit“, führte er aus. Dem Ziel, in Europa auch in Zukunft „unser Leben“ selbst zu bestimmen, sei man mit der Einigung einen Schritt näher gekommen.
Dass der Hilfsfonds letztlich geringer ausgefallen sei, als unter anderem von Deutschland favorisiert, sei nicht unüblich. „Das kennen wir auch aus Finanzverhandlungen im deutschen Föderalismus. Dennoch gab es eine Einigung, und am Ende zählt genau das. Der Punkt ist doch: Anders als in der Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren agiert Europa jetzt gemeinsam.“
Deutschland muss nach dem Kompromisspaket beim EU-Sondergipfel jährlich rund zehn Milliarden Euro mehr in den europäischen Haushalt zahlen - künftig etwa 40 Milliarden Euro. Unter dem Strich profitiere Deutschland aber, sagte Scholz der Zeit. Deutsche Unternehmen profitierten davon, „die ganze Welt und vor allem Europa“ beliefern zu können. Eine langjährige Stagnation in den Nachbarstatten wäre „das Schlimmste, was uns passieren kann“.
Schon jetzt sind Steuern und Abgaben in Deutschland extrem hoch
Die Ankündigung neuer Steuern und Abgaben zur Finanzierung der Schulden auf EU-Ebene fällt in Deutschland in eine Zeit, in der das Maß an Gebühren, Steuern und Abgaben im internationalen Vergleich ohnehin sehr hoch ist. Wie aus einer aktuellen Untersuchung der OSZE hervorgeht, werden in Deutschland bei kinderlosen Alleinstehenden mit durchschnittlichem Einkommen durchschnittlich 49,4 Prozent des Bruttoverdienstes einbehalten - soviel wie in keinem anderen OSZE-Land außer Belgien. Die gesamte OSZE-Quote liegt bei etwa 36 Prozent.