Die frühere Präsidentin der US-Zentralbank Federal Reserve System - Janet Yellen - warnt in einem Gastbeitrag für die New York Times, dass die großen Zentralbanken der Welt ans Ende ihrer Gestaltungsmöglichkeiten geraten seien. Nun müssten schnell die Staaten mit umfassenden „fiskalischen“ Maßnahmen einspringen, um eine massive Weltwirtschaftskrise sowie eine Kernschmelze des Finanzsystems zu verhindern. Unter fiskalischen Maßnahmen werden in der Regel Lockerungen bei Steuern, Gebühren und Verwaltungsregeln verstanden, welche den Bürgern in „normalen“ Zeiten zugemutet werden.
Der Artikel stellt eine Meinungsäußerung im Kontext des andauernden Streits zwischen Demokraten und Republikanern um geplante weitere Notkredite und Finanzhilfen für Bürger, Banken und Gemeinden im Umfang von mehreren Billionen Dollar in den USA dar. Der Titel des Beitrags, welchen Yellen zusammen mit dem früheren Chefökonomen von Joe Biden, Jared Bernstein, geschrieben hat, lautet: „Während die Amerikaner hungern, macht der Senat Urlaub“ (The Senate Is on Vacation While Americans Starve).
Darin heißt es unter anderem: „So genannte Echtzeit-Daten zeigen einen Rückgang der Ausgaben der Bürger auf breiter Front und eine sich verschlechternde Situation für Haushalte mit geringen Einkommen, welche sich zunehmend darum sorgen, wie sie ihre Miete und ihre Lebensmittel bezahlen sollen.“ Der New York Times zufolge handelt es sich bei der von Yellen angesprochenen Bevölkerungsgruppe um etwa 30 Millionen Bürger. Die Federal Reserve habe „ihren Job gemacht“ und der Kongress könne nun nicht damit rechnen, dass die Fed „alles alleine zusammenhält“, so Yellen und Bernstein weiter.
Zentralbanken sind „all in“
Tatsächlich hatten die wichtigsten Zentralbanken der Welt die seit der Finanzkrise von 2008 begonnenen und in den vergangenen Jahren massiv ausgeweiteten Interventionen an den Finanzmärkten in den vergangenen 12 Monaten noch einmal deutlich ausgeweitet. Denn nicht erst seitdem die Corona-Pandemie Anfang des Jahres zum bestimmenden Thema wurde - schon im Sommer 2019 lancierte die Federal Reserve massive Notprogramme, um eine wie aus dem nichts aufgeflammte Krise im US-amerikanischen Interbankenmarkt mit hunderten Milliarden Dollar unter Kontrolle zu bekommen.
Ein nüchterner Blick auf die Zahlen veranschaulicht die Eskalation in der expansiven Geldpolitik der Notenbanken: So stieg beispielsweise die kombinierte Bilanzsumme von Federal Reserve, Europäischer Zentralbank, der japanischen Notenbank und der chinesischen Zentralbank zwischen 2006 und 2020 von rund 5 Billionen US-Dollar auf nun etwa 25,5 Billionen US-Dollar.
Dass ein Großteil der alleine von diesen vier Zentralbanken seit 2006 aus dem Nichts geschaffenen 20 Billionen Dollar in die Finanzmärkte floss und dort zu den aberwitzigen Wertsteigerungen führte, deren Gipfel wir derzeit beobachten können (so erreichte der US-Aktienmarkt erst in dieser Woche wieder neue Allzeithöchstsände), lässt sich an dem Umstand ablesen, dass die weltweiten Schuldenstände von etwa 125 Billionen Dollar (2006) auf nun etwa 280 Billionen Dollar gestiegen sind - die globale Wirtschaftsleistung trotz aller Nullzinsen und Liquiditätsschwemmen jedoch nur von rund 60 Billionen US-Dollar (2006) auf etwa 85 Billionen Dollar (2018) zulegen konnte.
Überhaupt verstärkte sich in den vergangenen Monaten unter dem Einfluss der Corona-Krise der Eindruck, dass unter den relevanten Großinvestoren die Skepsis bezüglich der Stabilität des Finanzsystems zunimmt. Abzulesen ist dies beispielsweise am Anstieg der Preise für Gold und Silber, aber auch an seltenen Ereignissen wie dem erstmaligen Investment von Warren Buffett im Goldmarkt - er investierte eine halbe Milliarden Dollar in den Gold-Bergbaukonzern Barrick Gold, obwohl er sich in den vergangenen Jahren stets als Kritiker von Gold erwiesen hatte.
Sollte die Skepsis der Investoren also weiter zunehmen oder aber die Liquiditätszuflüsse tatsächlich zu einer signifikant höheren Inflation in der Realwirtschaft führen, würden die Wirkung neuer Billionen-Interventionen der Zentralbanken künftig am Vertrauensverlust der Bürger und Investoren verpuffen.
Finanz-Insider warnt vor Übernahme der Verantwortung durch die Staaten
Bemerkenswerterweise warnte vor nicht allzu langer Zeit ein Finanzinsider vor genau jener Situation, die Yellen und Bernstein nun herbeiführen möchten, nämlich der Übernahme der Führungsfunktion bei der Verhinderung einer Weltwirtschafts- und Finanzkrise durch die Regierungen und den Rückzug der Zentralbanken.
Wie die Deutschen Wirtschaftsnachrichten Ende Mai berichteten, warnte der Gründer des Hedgefonds One River Asset Management, Eric Peters:
Die geldpolitische Dominanz der Fed führt in ihrer letzten Konsequenz zu einer Welt, in der die Gesamtheit des künftigen Wohlstandes in die Gegenwart vorgezogen wurde. An diesem Endpunkt angelangt wird die Realwirtschaft nicht mehr stimuliert und die Geldpolitik hat ihre Macht verloren – egal, wie viele geldpolitische Zauberstäbe geschwungen werden. Wenn man sich diesem Punkt nähert, verliert die Geldpolitik schrittweise ihre Wirkung. Irgendwo kurz vor dem Ende dieser Entwicklung sind die Politiker dann schließlich wieder gezwungen, zu regieren, harte Entscheidungen zu treffen. Aber im Gegensatz zu den Zentralbanken – die alle gleich sind – sind Politiker höchst verschieden, heterogen.
Während Politiker also das von den machtlosen Zentralbankern zurückgelassene Vakuum füllen müssen, wenden sie verschiedene Werkzeuge an – steuerliche, fiskalische, handelspolitische, währungspolitische, regulatorische, einwanderungspolitische und militärische. Sie versuchen, sich mit den Zentralbankern abzustimmen, aber dies führt nur zu illusorischen Effekten – weil die Geldpolitik, sollte sie einmal machtlos werden – dies bis zum Neustart des Systems auch bleibt.
Es sei genau diese in der Verschiedenartigkeit der von der Politik getroffenen Maßnahmen begründete Unsicherheit, welche die Situation leicht außer Kontrolle geraten lassen könnte, so Peters.