Finanzen

Leerverkäufer gehen baden, während Tesla-Aktie weiter explodiert

Lesezeit: 5 min
01.09.2020 13:00  Aktualisiert: 01.09.2020 13:00
Die US-Aktienmärkte steigen und steigen. Leerverkäufern, die auf sinkende Kurse gesetzt haben, setzt der aktuelle Bullenmarkt schwer zu.
Leerverkäufer gehen baden, während Tesla-Aktie weiter explodiert
So negativ wie hier verlaufen die Aktienmärkte im Moment nicht. Ganz im Gegenteil. Leidtragender sind die Leerverkäufer. (Foto: dpa)
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Die Aktienmärkte befinden sich seit Monaten in einem Aufwärtstrend. Als Konsequenz beißen immer mehr Leerverkäufer in den sauren Apfel des sicheren Verlusts und schließen ihre Short-Positionen, bevor die (möglichen) Verluste noch größer werden.

Die Median-Leerverkaufspositionen am S&P 500 (umfasst die 500 größten börsennotierten amerikanischen Unternehmen) sanken Anfang August auf 1,8 Prozent im Verhältnis zur gesamten Marktkapitalisierung des Indexes, wie die Financial Times unter Berufung auf Informationen von Goldman Sachs berichtet. Zu den Hochzeiten der Corona-Krise waren noch Werte deutlich über zwei Prozent aufgetreten, während der Finanzkrise 2008/2009 sogar bis zu 3,5 Prozent. Der 15-Jahres-Durchschnitt liegt bei 2,4 Prozent. Statt Aktien werden derzeit zunehmend Anleihen-ETFs leerverkauft.

Der niedrigste Wert seit Aufzeichnungsbeginn der Daten (2004) bestätigt den Eindruck, dass derzeit eine historische Rally an den Aktienmärkten stattfindet. Im S&P 500 und anderen Indizes war es in den letzten Monaten immer wieder zu kleineren Korrekturbewegungen nach unten gekommen, aber gegenwärtig scheint der Bullenmarkt wieder voll intakt zu sein. Getrieben wird der Aufschwung hauptsächlich von den großen FANG-Aktien (Facebook, Amazon, Netflix, Alphabet), die etwa 13 Prozent des Index-Wertes ausmachen.

Auch der Technologie-Index Nasdaq läuft seit Monaten sehr gut, und die Shortseller bluten seit Monaten besonders bei ihren Wetten gegen die großen Tech-Firmen in den beiden Indizes.

So beißen sich die Spekulanten derzeit vor allem an Tesla die Zähne aus. Das sogenannte „Short Interest to Float“ (der Anteil der leerverkauften Aktien an allen handelbaren Anteilsscheinen) betrug Mitte August circa acht Prozent. Diese Zahl ist relativ hoch und – bei Unterstellung einer gleichbleibenden Relation – entspricht aufgrund der aktuellen Marktkapitalisierung von rund 420 Milliarden Dollar immerhin einem Gesamt-Short-Volumen von fast 34 Milliarden, ein Spitzenwert an den US-Börsen.

Trotzdem kennt der Börsenwert Teslas momentan nur eine Richtung: Nach oben, immer weiter nach oben. Alleine diesen August stieg die Aktie raketenartig von etwa 360 auf aktuell rund 530 Dollar (Die neuesten Zahlen sind bereinigt um den 1 zu 5 Aktiensplit). Der von Elon Musk geführte Automobil- und Tech-Konzern ist eine der spektakulärsten Börsengeschichten in jüngster Zeit. Der nicht enden wollende Preisanstieg dürfte so manchem Leerverkäufer schmerzliche Verluste in dreistelliger Millionenhöhe zugefügt haben. Aggregiert haben Tesla-Leerverkäufer seit Ende Februar auf dem Papier circa 14 Milliarden Dollar Verlust eingefahren.

Basiswissen zu Leerverkäufen

Long: Setzen auf steigende Kurse

Short: Setzen auf fallende Kurse

Die Grundidee des Leerverkaufs sind dieselben wie die einer Absicherung vor Preisänderungen durch Termingeschäfte. Damit kann beispielsweise ein Mineralöl-Konzern einen Verkaufspreis für einen Termin in der Zukunft schon heute vereinbaren (Absicherung vor Preisrückgang) oder ein Mehlproduzent einen bestimmten in der Zukunft zu bezahlenden Weizenpreis schon heute festlegen (Absicherung vor Preisanstieg).

Derselbe Gedanke liegt im Prinzip den Leerverkäufen zugrunde, nur etwas abgewandelt: Man leiht sich Aktien gegen eine Gebühr, verkauft sie und muss sie zu einem festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft wieder zurückliefern. In dieser Zeitspanne hat man die Möglichkeit von fallenden Kursen zu profitieren, indem man unter dem ursprünglichen Verkaufspreis einkauft. In der Praxis werden solche Short-Positionen laufend verlängert, geschlossen, wieder eröffnet usw.

Die Gegenpartei in einem Leerverkaufsgeschäft oder sonstigen Short-Positionen ist immer Long, die Short-Positionen des einen ist also immer die Long-Position des anderen. Das heißt, global betrachtet gleichen sich die Positionen immer aus. Es gibt also Netto-Short-Positionen nur für einzelne Marktteilnehmer oder Aggregate, aber niemals für einen Markt als Ganzes.

Im Unterschied zu einer Short-Position muss eine Long-Position nicht künstlich sein und erfordert keine Finanzinstrumente. Long ist auch, wer eine Aktie kauft und dann hält (Buy and Hold).

Mit Leerverkäufen und anderen Short-Produkten kann man sein Aktienportfolio gegen fallende Kurse absichern, in der Fachsprache „Hedge“ genannt. Wenn man einige Werte, die man ohnehin für zu teuer hält, leerverkauft, kann man damit das Marktrisiko reduzieren. Wenn der Markt fällt, dann steigen die Gewinne aus den Leerverkäufen parallel zu den Verlusten aus den Long-Positionen (Und auch wenn der Markt steigt, können die leerverkauften Aktien fallen). Der Begriff „Hedgefonds“ kommt also von der Idee der Absicherung von Kursrisiken und die ersten Vertreter dieser Investmentfonds, die in den 50er- und 60er-Jahren in den USA aufkamen, verfolgten auch nur diese Absicht.

Genauso kann man aber natürlich auch ein reines Renditeziel verfolgen, indem man Aktienwerte leerverkauft, von den man glaubt, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit rückläufig sein werden.

Aber Leerverkaufen ist riskant und mögliche Verluste sind in der Theorie unbegrenzt. Bei einem starken Preisanstieg schauen Shortseller nämlich in die Röhre. Entweder muss die Position mit (vor allem bei Einsatz von Kredithebeln) großem Verlust geschlossen werden. Oder, sollte er noch an einen Preisabfall glauben, der Leerverkäufer lässt die Position offen. Dafür muss er aber bei einem stetigen weiteren Preisanstieg immer mehr Geld auf sein Margin-Konto (dient als Sicherheit für den Broker) nachschießen, denn der theoretische – noch nicht realisierte – Verlust – wird laufend immer größer. Irgendwann ist keine Liquidität mehr da, und es kommt zum "Margin Call", der zwangsweisen Schließung der Position durch den Broker, oder der Leerverkäufer stellt die Position aus eigenen Stücken glatt.

Die Short-Instrumente dienen in der Praxis aber teilweise rein spekulativen Zwecken. Gerade komplexere Konstruktionen haben nur noch wenig mit dem ursprünglichen Absicherungsgedanken zu tun.

Von Hedgefonds und professionellen Tradern können Leerverkäufe missbraucht werden. Marktakteure mit großem Volumen und Einfluss können Preisstürze auslösen und somit die Aktien ausgewählter Unternehmen attackieren.

Denn bei (großen) Short-Positionen wird ein Signal in den Markt gesendet, Marktteilnehmer – heutzutage sind volumenmäßig Algorithmen (meist stellvertretend für Hedgefonds, Großbanken etc.) die dominanten Akteure – können dies als ein Ende einer Aufwärtsbewegung respektive Beginn eines Abwärtstrends sehen und dementsprechend handeln. Kombiniert kann das einen Abwärtstrend auslösen oder prozyklisch verstärken, das heißt Kurse können auf diese Weise schnell nach unten purzeln.

Zwar sorgt dies zunächst einmal dafür, dass die Markteffizienz steigt. Denn auch Nicht-Insider können so auf Fehlentwicklungen, negative Informationen oder allgemein eine Überbewertung für ein Unternehmen aufmerksam gemacht werden. Wer mit seiner pessimistischen Spekulation richtig lag und damit ein korrektes Preissignal in den Markt gesendet hat, wird mit Gewinnen belohnt, wer falsch lag, wird mit Verlusten bestraft.

Es gibt aber einen Interessenkonflikt: Das Short-Engagement muss nicht fundamental begründet sein – so wie z. B. bei den regelmäßigen „Attacken“ auf Wirecard – sondern kann auch reinen Profit- oder sogar politischen Interessen dienen. Normalerweise stehen aber fundamentale Faktoren hinter den Leerverkäufen der Hedgefonds und anderer großer Akteure, denn die Erfolgschance ist hier natürlich höher als bei willkürlichen Positionen.

Ein hohes Volumen an Short-Positionen muss auch keineswegs kursdämpfend wirken. Ein aktuelles Beispiel ist die Tesla-Aktie (siehe oben). Auch Wirecard-Leerverkäufe waren lange Zeit erfolglos. Schon 2017 steckten zum Teil signifikante Volumina der Anteilsscheine in Short-Positionen. Aber erst 2019 musste die Aktie deutlich federn lassen, bevor sie nach dem Aufliegen des Bilanzskandals im Juni 2020 dramatisch abstürzte und mittlerweile bei nur noch 72 Euro-Cent notiert.


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