Finanzen

Wie Spekulanten die Börsen-Kurse manipulieren - und die Kleinanleger die Zeche zahlen

Lesezeit: 6 min
13.09.2020 13:12  Aktualisiert: 13.09.2020 13:12
Letzte und vorletzte Woche brachen eine Reihe von Tech-Werten ein, die Folge waren Börsen-Verluste von teilweise historischen Dimensionen. Wer den Crash herbeiführte und wer die Folgen trägt, analysiert DWN-Kolumnist Ernst Wolff.
Wie Spekulanten die Börsen-Kurse manipulieren - und die Kleinanleger die Zeche zahlen
"Helau": Fasching an der Frankfurter Börse. (Foto: dpa)

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In dieser und der vergangenen Woche ist es an der amerikanischen Technologie-Börse Nasdaq zu heftigen Kurseinbrüchen gekommen. Apple, das am 19. August 2020 als erstes Unternehmen der Welt auf einen Börsenwert von zwei Billionen Dollar kam, verzeichnete am 3. September innerhalb von 24 Stunden mit 180 Milliarden Dollar den höchsten Verlust, den ein börsennotiertes Unternehmen je erlitten hat.

Auch die übrigen großen IT-Unternehmen traf es hart. Fünfzig Aktien fielen um neun Prozent oder mehr. Anfang dieser Woche ereignete sich dann das nächste Beben. Die Tesla-Aktie verlor am 8. September 21 Prozent und markierte damit den tiefsten Tagesabsturz eines einzelnen Unternehmens seit der Gründung des Nasdaq 1971.

Hintergrund des Börsenbebens war aber nicht etwa die Bereinigung eines überhitzten Marktes, sondern eine Welle aus Gewinn-Mitnahmen nach vorsätzlich herbeigeführten Kursstürzen - und damit ein weiteres Beispiel für die inzwischen zur Normalität gewordene exzessive Spekulation und Manipulation im Finanzsektor.

"Softbank" aus Japan als Schuldiger?

Ein großer Teil der Medien erwähnte die Vorgänge nicht einmal, und Wirtschafts- und Finanzmedien wie die Financial Times und das Wall Street Journal nutzten den Anlass nicht etwa, um der breiten Öffentlichkeit das für die gesamte Gesellschaft schädliche Treiben an den Börsen zu erklären. Stattdessen machten sie sich auf die Suche nach einem Schuldigen, dem man die Abstürze in die Schuhe schieben konnte.

Der wurde in der Tat auch schon bald gefunden: „Softbank“, ein japanischer Telekommunikations-Konzern, der in großem Stil Aktien führender IT-Konzerne gekauft, deren Kurse so in die Höhe getrieben und gleichzeitig über Derivate auf genau diesen Anstieg gewettet hatte.

In der Tat handelt es sich bei „Softbank“ um ein Schwergewicht an den Finanzmärkten. Der Konzern investiert sowohl selbst als auch über den "Vision Fund", der rund 100 Milliarden Dollar verwaltet, vor allem in Start-Ups oder Tech-Unternehmen und ist unter anderem am chinesischen Internet-Giganten Alibaba beteiligt. In Deutschland ist „Softbank“ unter anderem an dem Online-Gebrauchtwagenhändler „Auto 1“ und der Berliner Tourismus-Plattform „Get Your Guide“ beteiligt und hat vergangenes Jahr dem Zahlungsdienstleister Wirecard zu einer Finanzspritze von 900 Millionen Euro verholfen.

Dass „Softbank“ trotz des Wirecard-Bankrotts keinen Schaden davongetragen hat, weil es sich rechtzeitig gegen den Kreditausfall versichert hat, zeigt, dass hier ganz offenbar mit allen Wassern gewaschene Profis am Werk sind. Dennoch reichen die vier Milliarden Dollar, mit denen „Softbank“ sich im Verlauf der vergangenen Monate Optionsverträge auf Aktien im Wert von 50 Milliarden Dollar gesichert hat, keinesfalls aus, um den Nasdaq mehrmals auf so heftige Weise zu erschüttern.

Wer aber hat dann die Grundlagen für die Turbulenzen gelegt? Die Antwort geben die Daten des Analysehauses „Sentimentrader“: Ihnen zufolge haben Neueinsteiger und Daytrader allein in den letzten vier Wochen mit Call-Optionen in Höhe von vierzig Milliarden Dollar auf steigende Kurse von Aktien im Gesamtwert von 500 Milliarden Dollar gewettet – immerhin das Zehnfache der Summe, die „Softbank“ aufgebracht hat.

Der Trend heißt: Ahnungslose Anleger in die Märkte treiben

Der Hintergrund dieser Entwicklung ist schnell erklärt: Vor einigen Jahren haben findige junge IT-Experten damit begonnen, Trading-Apps fürs Handy zu entwerfen, mit denen vor allem jungen Menschen die Gelegenheit geboten wird, an den Börsen zu spekulieren. Schmackhaft wird ihnen das Ganze dadurch gemacht, dass sie keinerlei Gebühren zahlen müssen und ihnen schneller Zugang zu Krediten ermöglicht wird.

Auf Grund der Corona-Krise hat dieses Geschäft einen riesigen Boom erlebt. Zum einen konnten sich Menschen in der Zeit des Lockdowns mit den Apps vertraut machen, zum anderen suchen viele von ihnen wegen drohender Arbeitslosigkeit und finanzieller Unsicherheit zurzeit ihr Heil im Glücksspiel an der Börse.

Das ist natürlich den Profis nicht entgangen, die momentan die Unerfahrenheit dieser Neueinsteiger für sich nutzen. Das tun sie unter anderem, indem sie – wie „Softbank“ – auf Derivate setzen, bei denen es sich im Grunde um nichts anderes als Wetten handelt. Besonders beliebt sind aktuell Call-Optionen. Mit ihnen erwirbt ein Anleger das Recht, eine bestimmte Aktie zu einem späteren Zeitpunkt oder innerhalb eines vereinbarten Zeitraumes zu einem festgelegten Preis zu kaufen. Liegt der Kurs der Aktie dann über dem vereinbarten Preis, kann er sie umgehend mit Gewinn veräußern.

Sieger sind immer die Profis

Das Ganze rentiert sich natürlich nur, wenn die Kurse auch tatsächlich in die gewünschte Richtung laufen. Einen solchen Aufwärtstrend können die Schwergewichte am Markt wie zum Beispiel „Softbank“ allerdings ganz allein erzeugen, indem sie große Mengen der infrage kommenden Aktien aufkaufen und deren Preis so in die Höhe treiben.

Auch für die Herausgeber der Call-Optionen lohnt sich das Geschäft, insbesondere, wenn sie davon ausgehen können, dass die Käufer selbst für den Anstieg der Kurse sorgen. Die Herausgeber kaufen die Aktien einfach bei Abschluss der Call-Option, händigen sie später zum vereinbarten Preis aus und verdienen zum einen an der Kursdifferenz zwischen Kaufpreis und vereinbartem Preis und zusätzlich an der Gebühr, die für die Transaktion fällig wird.

Wenn aber beide gewinnen, wer verliert dann bei diesem Spiel? Die Antwort lautet: Die Neueinsteiger, die vollkommen überrascht werden, wenn die Aktienkurse auf Grund des Einlösens der Call-Optionen (im Branchenjargon „Glattstellen“ genannt) und des anschließenden Verkaufs durch die Großinvestoren plötzlich massenweise fallen.

Da viele dieser Neulinge ja selber auf Call-Optionen gesetzt haben, die allerdings oft erst dann fällig werden, wenn die Kurse im Keller sind, machen sie erhebliche Verluste. Die Profis hingegen, die ja auch den Kurssturz mit einplanen, verdienen auch daran noch – und zwar, indem sie vor Einlösen der Call-Optionen entweder mit Hilfe von Leerverkäufen auf fallende Kurse wetten oder Put-Optionen erwerben, mit denen sie im Gegensatz zu Call-Optionen von fallenden Kursen profitieren.

Damit ist das Spiel aber noch nicht zu Ende. Da die Großinvestoren die Aktien nach dem Kurssturz zu Niedrigpreisen aufkaufen und die Kurse auf diese Weise schnell wieder in die Höhe treiben, geht der langfristige Aufwärtstrend trotz des Rücksetzers ungebrochen weiter. Das wiederum nehmen viele Neulinge, die bis dahin gezögert haben, als Signal, um einzusteigen – womit sich das ganze Spiel nach einiger Zeit wiederholen kann.

Die Zockerei kann nicht endlos weitergehen

Das historische Problem besteht darin, dass diese Art der Zockerei nicht unendlich weitergehen kann. Wir leben zwar in einer Zeit, in der sich der Finanzsektor vollkommen verselbständigt und mit der Realwirtschaft fast nichts mehr zu tun hat, aber diese Entwicklung konnte auf Grund der Beinahe-Crashs der Vergangenheit nur durch massive Geldschöpfung seitens der Zentralbanken aufrechterhalten werden.

Während die Realwirtschaft immer weiter verkümmert ist, führen die immer größeren Geldmengen zur Entwertung sämtlicher Währungen und zu einem wachsenden Vertrauensverlust in sie. Da der Börsenhype nur so lange funktioniert, wie die Kurse immer wieder nach oben drehen, werden wir dann, wenn das aus Gründen des Wert- oder Vertrauensverlustes nicht mehr der Fall sein wird, einen Crash von historischen Proportionen erleben.

Wie weit dieser Crash entfernt ist? Das kann niemand genau sagen, aber neben der Geldflut haben wir weltweit ein Zinsniveau um Null erreicht, dessen weitere Senkung das Bankwesen von innen heraus zerstört - und das nicht nur in den USA.

Auch bei uns in Deutschland hat man den großen Akteuren an den Finanzmärkten bei ihren Spekulationsaktivitäten in den vergangenen Jahren immer wieder grünes Licht gegeben, insbesondere durch die vier Finanzmarktförderungsgesetze zwischen 1990 und 2002. Durch sie wurden Aktienrückkäufe, die zuvor als Manipulations-Instrument galten und daher gesetzlich verboten waren, erlaubt. Außerdem wurden Hedgefonds zugelassen und Restriktionen für den Handel mit hochriskanten Derivaten gelockert. Selbst „nackte“ Leerverkäufe (Verkäufe von Aktien, die man nicht besitzt) sind unter Einhaltung bestimmter Terminfristen in Deutschland möglich.

Auch bei uns wird also alles dafür getan, dem Treiben an den Finanzmärkten seinen Lauf zu lassen. Es ist kaum anzunehmen, dass der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) der Einsatz von Call- und Put-Optionen bei gleichzeitiger Kursmanipulation durch Großinvestoren entgeht. Aber wenn wundert das, denn die BaFin ist ja auch nur die Behörde eines Landes, dessen jährliches Bruttoinlandsprodukt zurzeit etwa dreieinhalb Billionen Euro beträgt, während der größte Spieler auf dem DAX-Parkett, BlackRock, ganz allein über eine Manövriermasse verfügt, die derzeit bei über sieben Billionen Euro liegt.

Auf eine Eindämmung von Spekulation und Manipulation durch den Gesetzgeber zu hoffen, ist angesichts dieser tatsächlichen Machtverhältnisse im Finanzsektor nichts anderes als frommes Wunschdenken. Aller Wahrscheinlichkeit nach muss erst der sich zurzeit anbahnende Crash eintreten müssen, bevor es in der breiten Öffentlichkeit endlich zu einer Diskussion darüber kommt, wie die einseitige Bereicherungs-Orgie sowohl bei uns als auch im globalen Finanzcasino endlich beendet werden kann.

                                                                            ***

Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft.


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