Politik

Studie: Treuhand verkaufte produktive Firmen vor allem an den Westen

Bei der Privatisierung der ostdeutschen Unternehmen nach 1990 verkaufte die Treuhand produktivere Firmen häufiger und rascher und bekam dafür mehr Geld. Gleichzeitig übergab sie diese Unternehmen mit höherer Wahrscheinlichkeit an westdeutsche Investoren. „Gerade produktive DDR-Firmen blieben seltener in ostdeutschem Eigentum“, schreiben ifo-Forscher Lukas Mergele, Moritz Hennicke (Freie Universität Brüssel) und Moritz Lubczyk (ZEW) in einer Studie.
16.09.2020 11:23
Lesezeit: 1 min
Studie: Treuhand verkaufte produktive Firmen vor allem an den Westen
12.04.2012, Leipzig: Der Schriftzug «Die Treuhand informiert» steht auf einem alten Pavillon. (Foto: dpa) Foto: Jan Woitas

„Nach Abschluss der Haupttätigkeit der Treuhand 1995 fanden sich rund 51 Prozent der Firmen, 64 Prozent der Umsätze und 68 Prozent der Arbeitsplätze aus den in der Stichprobe analysierten DDR-Staatsunternehmen in mehrheitlich westdeutscher Hand“, fassen Mergele und Lubczyk zusammen. Je produktiver die Unternehmen, desto höher der Anteil von Westdeutschen unter den Eignern.



Die Forscher erklären dieses Ergebnis so: „Westdeutsche Investoren verfügten zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung über einen besseren Zugang zu Finanzkapital. Sie waren erfahrener in der Führung marktwirtschaftlich orientierter Unternehmen. Darüber hinaus waren sie im Verhältnis zu Investoren aus dem Osten Deutschlands wahrscheinlich auch wirtschaftlich und politisch besser vernetzt. Bei den von der Treuhand gesetzten Kriterien waren westdeutsche Investoren also als zukünftige Unternehmenseigentümer möglicherweise besser geeignet. Aber es bleibt die Umverteilung von Firmenbesitz von Ost nach West festzuhalten.“

Zu den Vorwürfen, die Treuhand habe produktive Unternehmen abgewickelt, schreiben die Forscher: „Es gab durchaus Schließungen von produktiven Firmen. Jedoch zeigen unsere Ergebnisse, dass produktivere Unternehmen seltener geschlossen wurden.“ Unter den am wenigsten produktiven Firmen hat die Treuhand weniger als 40 Prozent privatisiert. Unter den produktivsten stieg dieser Anteil auf über 70 Prozent. Die Treuhand erreichte durchschnittlich für produktivere Unternehmen auch höhere Beschäftigungs- und Investitionszusagen, schreiben die Forscher weiter. Auf Grundlage der verfügbaren Daten lasse sich allerdings nicht ermitteln, dass die Treuhand in den Verhandlungen mit potenziellen Investoren das für die öffentliche Hand bestmögliche Ergebnis erzielt habe.



„Unternehmen mit höherer Produktivität am Anfang hatten auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, 20 Jahre nach Privatisierung noch wirtschaftlich aktiv zu sein“, sagen Lubczyk und Mergele.

Die Aussagen beruhen auf statistischen Auswertungen. Sie beschreiben Tendenzen im Durchschnitt über alle Firmen. „Eine Aussage über Privatisierungsentscheidungen von Einzelfirmen ist damit nicht möglich.“ Die Daten verfolgen Eigentümerschaften nur bis zum zweiten Grad. Eigentümerschaften sind nach Mehrheitsanteilen klassifiziert, Minderheitenpositionen sind darin nicht berücksichtigt. Die „kleinen Privatisierungen“ von Geschäften, Restaurants und Hotels, die größtenteils von Ostdeutschen erworben wurden, sind nicht den Daten enthalten.

Aufsatz: „Die Treuhandanstalt: eine empirische Bestandsaufnahme 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung“ von Moritz Hennicke (Université Libre de Bruxelles & Université de Cergy-Pontoise), Moritz Lubczyk (ZEW Mannheim & Universität Zürich) und Lukas Mergele (ifo Institut & Universität München); in: ifo Schnelldienst 9/ 2020;

nachzulesen hier: www.ifo.de/publikationen/ifo-schnelldienst

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Immobilien
Immobilien Baufinanzierung Zinsen: Entwicklung des Bauzinses 2025 - und wie es 2026 weitergeht
06.12.2025

Nachdem die Zinsen – darunter der Bauzins – in Deutschland seit 2019 eine gewisse Schieflage erreicht haben, scheint nun Ruhe...

DWN
Finanzen
Finanzen Marktausblick 2026: Internationale Aktien und Small-Cap-Aktien sind am besten positioniert
06.12.2025

KI treibt Teile der Weltwirtschaft nach vorn, während andere Branchen stolpern. Gleichzeitig locken Staaten mit neuen Ausgabenprogrammen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schiene unter Druck: Expertenrunde soll Bahnverkehr stabilisieren
06.12.2025

Wegen anhaltender Probleme im Zugverkehr arbeitet eine neue Taskforce an kurzfristigen Lösungen für mehr Pünktlichkeit und Stabilität...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Automobilindustrie erholt sich: Nachfrage kehrt zurück
06.12.2025

Die europäischen Neuzulassungen ziehen spürbar an und signalisieren eine langsame, aber stabile Erholung der Automobilindustrie. Doch...

DWN
Technologie
Technologie Bidirektionales Laden in Schweden: E-Autos und Solaranlagen bieten neue Energie für Haushalte
06.12.2025

In Schweden entwickelt sich eine neue Form der dezentralen Energieversorgung, bei der Haushalte Strom selbst erzeugen und intelligent...

DWN
Politik
Politik Benelux-Einigung: Wie ein radikaler Zusammenschluss Europa herausfordern würde
06.12.2025

Mitten in einer Phase wachsender geopolitischer Spannungen nehmen belgische Politiker eine Vision wieder auf, die lange undenkbar schien...

DWN
Politik
Politik Trumps US-Sicherheitsstrategie und die Folgen für Europa
05.12.2025

Donald Trumps neue US-Sicherheitsstrategie rückt Europa ins Zentrum – allerdings als Risiko. Das 33-seitige Papier attackiert...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs schließt über 24.000 Punkten: Erholung geht am Freitag weiter
05.12.2025

Der deutsche Aktienmarkt legt zum Wochenschluss spürbar zu und der Dax überschreitet eine wichtige Schwelle. Doch der Blick richtet sich...