Finanzen

Weltleitwährung unter Druck: Der Euro verdrängt den Dollar im chinesisch-russischen Handel

Lesezeit: 5 min
20.09.2020 11:15
Der Euro gräbt dem Dollar im bilateralen Handel zwischen China und Russland das Wasser ab, während beide Staaten ihre Zusammenarbeit auf den Finanzmärkten verstärken. Der ehemalige EU-Kommissar Günther Oettinger sieht gar das Zeitalter eines „neuen Bretton Woods“ für die Gemeinschaftswährung anbrechen.
Weltleitwährung unter Druck: Der Euro verdrängt den Dollar im chinesisch-russischen Handel
Russlands Präsident Wladimir Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping. (Foto: dpa)

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Der Euro gewinnt im bilateralen Handel zwischen China und Russland stetig auf Kosten des US-Dollar an Bedeutung. Daten der russischen Zentralbank und des Zolls zufolge sank der Anteil des Dollar an den Zahlungsabwicklungen im ersten Quartal des laufenden Jahres mit 46 Prozent erstmals unter die Marke von 50 Prozent. Zugleich markierten der Euro mit 30 Prozent und die beiden Landeswährungen Yuan und Rubel mit zusammen 24 Prozent neue Allzeithochs.

Vorangetrieben wird die Entwicklung von russischer Seite. So überstieg die Nutzung des Euro bei der Bezahlung der nach China exportierten russischen Güter jenen des Dollars im ersten Quartal deutlich mit 51 Prozent zu 33 Prozent, wie Nikkei Asian Review berichtet. Auch im Handel mit Europa verlangen die Russen vermehrt eine Bezahlung in Euro – der Anteil der in der Gemeinschaftswährung abgewickelten russischen Exporte stieg zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem ersten Quartal 2020 von 38 auf 43 Prozent am gesamten Volumen und liegt damit nun fast gleichauf mit dem Dollar. Maßgeblich dafür soll die Entscheidung des staatlichen Ölkonzerns Rosneft aus dem vergangenen Jahr sein, die Abrechnung seiner Exporte künftig komplett auf Euro umzustellen. Bei seinen Importen hingegen ist Russland weiterhin stark auf die Verwendung des Dollar als Zahlungsmittel angewiesen, berichtet Bloomberg.

Peking und Moskau verstärken ihre Kooperation auf den Finanzmärkten

Es ist kein Zufall, dass der Dollar im Handel zwischen China und Russland an Boden verliert. Bestimmend für den Trend ist eine Strategie der „De-Dollarisierung“, welche beide Länder seit einigen Jahren gemeinsam verfolgen. Sie zielt darauf ab, die Abhängigkeit vom „Greenback“ bei der Handelsfinanzierung zu minimieren und die Bedeutung der eigenen Landeswährungen zu stärken, wobei insbesondere die Chinesen den Yuan zu einer international akzeptierten Handelswährung aufbauen möchten.

Angestoßen wurde die Neuorientierung im Währungs- und Finanzbereich durch die politischen Auseinandersetzungen Russlands mit den USA und deren europäischen Verbündeten im Jahr 2014 im Zuge des Ukraine-Konfliktes und der Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Sie machten deutlich, dass die Nutzung des US-Dollar die amerikanische Justiz und ihre exterritoriale Rechtsprechung auf den Plan rufen kann, egal, wo auf der Welt ein Unternehmen seinen Sitz hat. China schwenkte nach der Verhängung von Importzöllen durch die Trump-Administration und den dadurch ausgelösten Handelskrieg auf die russische Linie ein und versucht seitdem ebenfalls, seine Abhängigkeit von der US-Weltleitwährung zu reduzieren.

Der chinesische Präsident Xi Jinping und sein russisches Pendant Wladimir Putin unterfütterten die Strategie seitdem mit weiteren Abkommen:

2014 vereinbarten beide Länder ein auf drei Jahre angelegtes Währungsswap-Abkommen im Umfang von 150 Milliarden Yuan (rund 25 Milliarden Dollar), welches 2017 für drei weitere Jahre verlängert wurde.

2019 schließlich vereinbarte man nicht nur, den Dollar schrittweise aus dem bilateralen Handel zu verbannen, sondern startete auch Arbeiten zur Entwicklung eines eigenen internationalen Zahlungsabwicklungssystem nach dem Vorbild des derzeit führenden Swift-Mechanismus – eine Folge früherer Drohungen der Obama-Administration, Russland aus dem Swift-Zahlungssystem auszuschließen. Auch chinesische Finanzbeamte warnen inzwischen, dass man sich auf einen möglichen Ausschluss aus den internationalen Dollar-Zahlungssystemen durch die US-Regierung vorbereiten muss.

Ebenfalls im vergangenen Jahr gab die russische Zentralbank bekannt, dass die offiziellen Dollar-Reserven innerhalb relativ kurzer Zeit mehr als halbiert und der Anteil des chinesischen Yuan an den Devisenreserven von 5 Prozent auf 15 Prozent angehoben wurde. Dies geht mit dem schrittweisen Abverkauf amerikanischer Staatsanleihen durch Russland einher.

Im laufenden Jahr schließlich erteilte die Regierung dem russischen Staatsfonds die Erlaubnis, künftig in chinesische Staatsanleihen und in Yuan-denominierte Wertpapiere zu investieren.

„Die Zusammenarbeit von Russland und China in der finanziellen Sphäre sagt uns, dass beide Länder letztendlich die Parameter für eine neue Allianz miteinander gefunden haben“, zitiert Nikkei den Direktor des Instituts für fernöstliche Studien an der Russischen Akademie der Wissenschaften, Alexeij Maslow. „Viele Beobachter hatten erwartet, dass es sich dabei um einen Militärbund oder eine Handelsallianz handeln würde, aber jetzt geht es doch ganz stark in Richtung Finanzen und Banken, was beiden Seiten weiterhin eine gewisse Unabhängigkeit garantieren kann.“

„Bretton Woods des 21. Jahrhunderts“: Kann der Euro den Dollar als Leitwährung ablösen?

Die chinesisch-russische Strategie der sukzessiven Abkehr stellt nur die augenscheinlichste Gegenbewegung zur globalen Dominanz des Dollar dar. Auch andere Staaten sind in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, ihre Währungsportfolios auszubalancieren und als relativ wertbeständig und sicher geltenden Währungen wie dem Euro, dem japanischen Yen, dem Schweizer Franken oder dem britischen Pfund mehr Gewicht zu verleihen.

Folglich sank der Anteil des Dollar an den Devisenreserven aller Länder seit der Jahrtausendwende von etwa 70 Prozent auf nun rund 60 Prozent, wie der ehemalige EU-Kommissar Günther Oettinger in einem Interview mit dem Handelsblatt sagte. In diesem Zeitraum an Bedeutung gewonnen haben insbesondere der Euro und der Yuan, deren Anteile am aggregierten Devisenvolumen derzeit bei 20 beziehungsweise 2 Prozent liegen, wie aus Daten des Internationalen Währungsfonds hervorgeht.

Bemerkenswert ist, dass Oettinger zufolge ausgerechnet das zur Bekämpfung der Folgen des Corona-Lockdowns initiierte massive Kredit- und Schuldenprogramm der EU im Umfang hunderter Milliarden den Aufstieg des Euro zur Weltleitwährung eingeläutet haben soll. Die Ausgabe gemeinsamer Anleihen durch die EU-Kommission – ein absolutes Novum und faktisch die Etablierung der umstrittenen „Euro-Bonds“ – könne, so Oettinger, die Dominanz des Dollar als Weltleitwährung „brechen“.

Durch die gemeinsame Schuldenaufnahme seien Zentralbanken weltweit erstmals in die Lage versetzt worden, in „nennenswertem Umfang EU-Anleihen als Reserven zu halten“, wodurch sich der Euro zu einem „Referenzwert auf dem Bondmarkt“ weiterentwickle. Das riesige europäische Kredit- und Zuschussprogramm sei eine „Art Bretton Woods des 21. Jahrhunderts“, das im Rückblick eine ähnliche Bedeutung für den Euro haben könnte wie das im Jahr 1944 vereinbarte Bretton-Woods-System, welches den Aufstieg des Dollar zur Weltleitwährung einleitete. In einer „gar nicht so fernen Zukunft“ werde der Dollar nicht mehr die unangefochtene Weltleitwährung sein. Die „aufstrebende Weltmacht China“ und die „wirtschaftlich starke Europäische Union“ hätten das Potential, die Erben der USA und des Dollar zu sein, so Oettinger.

Wenn es hart auf hart kommt, vertrauen die Märkte dem Dollar

Eine Ablösung des US-Dollar durch den Euro als weltweit dominierende Reserve- und Handelswährung dürfte so schnell jedoch nicht anstehen – auch wenn sich im Zuge der jüngsten Aufwertung der Gemeinschaftswährung sowie der aus dem Ruder gelaufenen Verschuldung der USA gegenüber der Rest der Welt zuletzt vermehrt Beobachter mit entsprechenden Prognosen zu Wort meldeten.

Zwei Phänomene garantieren weiterhin die Akzeptanz des Dollar auf der ganzen Welt und seine Stabilität:

Zum einen verfügen die Vereinigten Staaten als einziges Land über einen Finanzmarkt, welcher liquide, tief und offen genug ist, um eine Weltleitwährung hervorzubringen und zu unterhalten. Von zentraler Bedeutung hierbei ist das sogenannte Petrodollar-System, durch das eine Abrechnung saudischen Rohöls in Dollar garantiert wird.

Zum anderen existiert neben den USA kein anderes Land mit einer vergleichbar großen und weit entwickelten Militärmacht, die zur Not zur Durchsetzung elementarer Interessen oder der Offenhaltung von Handelswegen und Rohstoff-Routen eingesetzt werden könnte. Solange also keine klare Alternative existiert, werden sich die meisten Anleger für den Dollar entscheiden, wenn es hart auf hart kommt.

Ein anderer wichtiger Aspekt, der diese These stützt, hat mit einer fundamentalen Schwäche des Euro zu tun: Als Gemeinschaftswährung von 19 unabhängigen Staaten und den damit einhergehenden nationalen Partikularinteressen, denen jeweils eigene Notenbanken angeschlossen sind, fehlt es an einer unangefochten Zentralsteuerung im europäischen Währungsblock – ein Umstand, der sich in turbulenten Zeiten und politischer Lagerbildung in der EU als großer Nachteil entpuppen dürfte.

Kurioserweise geht die größte Gefahr für den Dollar aus Sicht einiger Ökonomen derzeit von den USA selbst aus. Auf längere Sicht könnten die nicht nachhaltige Entwicklung der Schuldenlast, defizitäre Handelsbilanzen und eine allzu aggressive Sanktions- und Handelskriegspolitik die Vorherrschaft beenden. „Sanktionen stellen für die Vereinigten Staaten ein sehr mächtiges Instrument dar. Aber es ist wie bei jedem Werkzeug. Wenn Sie es übertreiben, schauen sich die Betroffenen nach Alternativen um. Ich denke, es wäre naiv anzunehmen, dass die Vorherrschaft des Dollar in Stein gemeißelt ist“, wird ein Ökonom der Harvard Universität von Nikkei zitiert.


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