Die Europäische Zentralbank hält vor dem Hintergrund von neuen Einschränkungen des Wirtschaftslebens in Deutschland und vielen Ländern an ihrem Kurs der weit geöffneten Geldschleusen fest.
Die Währungshüter um Notenbank-Chefin Christine Lagarde beschlossen auf ihrer Zinssitzung am Donnerstag zwar keine großen neuen Hilfsprogramme für die Konjunktur. Die Währungshüter teilten aber mit, die im Dezember erwarteten neuen Wirtschaftsprognosen ihrer Volkswirte würden eine genauere Einschätzung der Konjunkturaussichten ermöglichen. Auf dieser Grundlage werde sie nötigenfalls ihre Instrumente anpassen, um auf die Entwicklungen zu reagieren.
Den Leitzins beließ die Notenbank auf dem Rekordtief von null Prozent. Dort liegt er bereits seit März 2016.
Im Zuge des massiven Konjunktureinbruchs in Folge der Corona-Krise hatte die Notenbank bereits umfangreiche Stützungsmaßnahmen auf den Weg gebracht. Unter anderem stockte sie im Juni ihr großes Pandemie-Anleihenkaufprogramm PEPP um 600 Milliarden Euro auf 1,35 Billionen Euro auf und verlängerte die Käufe bis mindestens Ende Juni 2021. Die meisten Volkswirte erwarten, dass die Notenbank bis zum Jahresende das Kaufvolumen noch einmal erhöht und die Käufe bis Ende 2021 verlängert.
Viele Regierungen im Euro-Raum, darunter mit Deutschland und Frankreich die beiden größten Volkswirtschaften, haben aufgrund stark steigender Infektionszahlen erneut scharfe Einschränkungen des öffentlichen Lebens beschlossen. Daher geht die Sorge um, dass die eingesetzte konkunkturelle Erholung nach dem Absturz im zweiten Quartal nun wieder ausgebremst wird.
Es wird erwartet, dass sich EZB-Präsidentin Lagarde am Nachmittag zu den Konjunktur- und Inflationsaussichten äußern wird. Viele Volkswirte rechnen mit einem Signal, dass möglicherweise bald neue Stützungsschritte kommen können.
Auch die Strafzinsen für Banken veränderte die Notenbank nicht. Der Einlagensatz liegt damit wie bisher bei minus 0,5 Prozent. Ein negativer Satz bedeutet, dass Geldhäuser Zinsen zahlen müssen, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder horten. Die EZB hat allerdings im Herbst 2019 Erleichterungen für die Geldhäuser beschlossen. So gewährt sie inzwischen in einem bestimmten Umfang Freibeträge von den Strafzinsen.
Lagarde: Zweite Corona-Welle stellt Gegenwind für Konjunkturerholung dar
EZB-Chefin Christine Lagarde sieht angesichts der zweiten Pandemie-Welle Risiken für die Konjunkturerholung im Euro-Raum. Die Wirtschaft im Euro-Raum habe sich zwar im Sommerquartal kräftig erholt, aber die steigenden Neuinfektionen in Europa sorgten für klaren Gegenwind, sagte Lagarde am Donnerstag auf einer Online-Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss.
Die jüngsten Daten signalisierten, dass sich die Erholung im laufenden vierten Quartal verlangsame. Dies treffe vor allem die Dienstleister, die besonders unter der Virus-Pandemie und den Eindämmungsmaßnahmen der Regierungen litten.
Die jüngsten Konjunkturdaten deuten darauf hin, dass Rezessions-Risiko für den Euro-Raum wieder gestiegen ist. So fiel unter anderem der Einkaufsmanagerindex, der die Geschäfte von Industrie und Dienstleistern bündelt, im Oktober auf 49,4 Punkte von 50,4 Zählern im September. Damit sackte das Barometer wieder unter die Wachstumsschwelle von 50 Punkten.
Auch die Kauflaune der Verbraucher hat sich zuletzt eingetrübt. Zudem verlor die Erholung der Industrie deutlich an Schwung. Die Inflation blieb darüber hinaus im September den zweiten Monat in Folge negativ: Mit minus 0,3 Prozent liegt sie weit unter der Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) von knapp unter zwei Prozent.
Die Wirtschaft in der Euro-Zone war im zweiten Quartal in Folge der Corona-Krise um 11,8 Prozent eingebrochen. Nach den jüngsten Prognosen der EZB vom September wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr voraussichtlich um 8,0 Prozent einknicken.
Lagarde öffnet Tür für Corona-Krisenhilfen zum Jahresende
Die EZB-Präsidentin hat angesichts der zweiten Pandemiewelle und neuen Eindämmungsmaßnahmen der Regierungen die Tür für neue Nothilfen weit aufgestoßen. Die Stäbe der EZB arbeiten laut der Präsidentin bereits daran, wie die Notenbank auf ihrer nächsten Sitzung im Dezember ihre Instrumente anpassen kann, um auf die Entwicklungen zu reagieren.
Das in der Krise geschaffene Anleihenprogramm PEPP sei dabei ein Ansatzpunkt, aber nicht der einzige, betonte Lagarde am Donnerstag nach der EZB-Ratssitzung. Wahrscheinlich sei eine Kombination mehrerer Elemente als Reaktion auf die Corona-Krise am besten geeignet. Der gesamte EZB-Rat stehe hinter dieser Strategie: "Wir waren uns alle einig, dass es nötig war zu handeln." Auf der Zinssitzung sei aber noch keine Veränderung besprochen worden.
Lagarde schloss auf Nachfrage auch nicht aus, dass der EZB-Rat sich auch außer der Reihe treffen könne: "Wenn wir uns kurzfristig treffen müssen, werden wir dies tun." Viele Experten gehen davon aus, dass die EZB auf ihrer regulären Sitzung am 10. Dezember ein neues Hilfspaket beschließen wird. In deren Zentrum dürfte aus ihrer Sicht das Krisen-Anleihenkaufprogramm PEPP stehen.