Finanzen

Erinnerungen an die Dotcom-Blase werden wach: Börsengänge erreichen neuen Höchststand

Lesezeit: 3 min
23.12.2020 12:58  Aktualisiert: 23.12.2020 12:58
Im Krisenjahr 2020 ist die Zahl der Börsengänge weltweit enorm angestiegen. Analysten vergleichen die Entwicklung mit der Phase kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000.
Erinnerungen an die Dotcom-Blase werden wach: Börsengänge erreichen neuen Höchststand
Händler an der New Yorker Börse. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Trotz – oder gerade wegen – der Corona-Pandemie war 2020 das stärkste Jahr für Börsengänge seit einem Jahrzehnt. Weltweit beantragten 1.322 Unternehmen die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft und damit 15 Prozent mehr als im Vorjahr, wie eine am Dienstag veröffentlichte Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY ergab. Das weltweite Emissionsvolumen stieg um 26 Prozent auf 263 Milliarden Dollar und erreichte damit den höchsten Wert seit dem Jahr 2010.

Die Aktienmärkte profitierten von den weit geöffneten Geldschleusen der Zentralbanken, der Digitalisierungsboom trieb die Nachfrage nach Technologieunternehmen und auch der Gesundheitssektor stand im Fokus der Investoren.

Besonders stark stieg das Emissionsvolumen der Studie zufolge in den USA - um 69 Prozent auf 86 Milliarden Dollar. In China einschließlich Hongkong legt es um 51 Prozent auf 116 Milliarden Dollar zu. In Europa war das Wachstum dagegen vergleichsweise bescheiden: Das Emissionsvolumen kletterte um neun Prozent auf 27 Milliarden Dollar.

In Deutschland schwächelte der Markt für Börsengänge, gerade einmal zwölf deutsche Unternehmen schafften es in der ein oder anderen Form auf den Kurszettel. Neun Unternehmen gingen in Frankfurt an die Börse und erlösten dabei insgesamt 1,1 Milliarden Euro. Die Tübinger Impfstoff-Firma Curevac wählte die US-Technologiebörse Nasdaq, der Display-Produzent VIA optronics die New York Stock Exchange. Das Tübinger Biotechunternehmen Immatics schaffte durch die Fusion mit einem börsennotierten Firmenmantel (SPAC) den Sprung an die Nasdaq.

Die drei größten Börsengänge 2020 stemmten chinesische Konzerne. Angeführt wird die Liste vom Chip-Hersteller Semiconductor Manufacturing International, der 7,6 Milliarden Dollar einbrachte, gefolgt von der Erstemission des Online-Händlers JD.com mit 4,5 Milliarden Dollar. An dritter Stelle steht mit einem Emissionsvolumen von 4,4 Milliarden Dollar der Hochgeschwindigkeitsbahnbetreiber Beijing-Shanghai High Speed Railway.

Erinnerungen an 1999 werden wach

Der deutliche Anstieg der Börsengänge weckt Erinnerungen an das Jahr 1999, als es kurz vor dem Platzen der sogenannten „Dotcom“-Blase im Frühjahr Jahr 2000 weltweit zu einer Welle von Börsengängen kam.

Damals herrschte an den Finanzmärkten Aufbruchstimmung. Insbesondere die damals neuartigen Technologiekonzerne trieben – wie auch heute wieder – die Kurse in immer neue Höhen. Angesteckt von dem Gefühl, dass die Märkte sowieso immer weiter nach oben schieben würden, strebten hunderte Unternehmen an die Börse und machten ihre Gründer oder Eigner damit reich.

Als sich nach und nach herausstellte, dass viele dieser hochgelobten Firmen kein tragfähiges Geschäftsmodell betrieben, kamen erst vermehrt Zweifel bei Spekulanten und Investoren auf, welche sich schließlich in einem gewaltsamen Markteinbruch im März des Jahres 2000 entluden.

Verkaufen Insider ihre Unternehmen, weil sie wissen was kommt?

Einen bedeutenden Unterschied gibt es allerdings zwischen dem Finale der Dotcom-Blase 1999 und der aktuellen Phase: Im Gegensatz zur Zeit der Jahrtausendwende sind heute massive Diskrepanzen zwischen den Rekordständen an den Börsen einerseits und der in einer schweren Rezession gefangenen Weltwirtschaft andererseits nicht zu übersehen. Und die Aussichten sind trotz der Durchbrüche bei den Impfstoffen nicht positiv – im Gegenteil: Die sich seit der Finanzkrise von 2008 drehende Schuldenspirale bei Staaten, Unternehmen und Privathaushalten ist im Zuge Billionen-schwerer Rettungsprogramme der Zentralbanken inzwischen vollkommen außer Kontrolle geraten.

Das Wallstreet Journal schreibt dazu: „Die Entwicklung der Börsengänge unterschied sich noch nie so sehr vom Zustand der amerikanischen Wirtschaft. Die Coronavirus-Pandemie hat Unternehmen den Boden unter den Füßen weggezogen und die Arbeitslosigkeit im Frühjahr auf einen Allzeit-Höchststand katapultiert. Aber sie hat auch einen Umschwung in der Volkswirtschaft ausgelöst. Weil mehr Leute Technologie nutzen, um zu arbeiten, ihre Kinder zu beschulen oder mit ihren Freunden und Familien zu kommunizieren, ist der Wert von Tech-Unternehmen gestiegen. Und weil die Nullzinsen die Renditen bei traditionell sicheren Investments wie Anleihen begrenzen, jagen Investoren nach Rendite wo immer sie können.“

Der zuletzt angesprochene Aspekt deutet auf eine massive Überbewertung und eine Blasenbildung an den Aktienmärkten hin – einfach deshalb, weil es einer der wenigen Märkte ist, in dem noch Geld verdient werden kann, sammelt sich dort Kapital in immensem Umfang. Mit den realwirtschaftlichen Gegebenheiten haben die Bewertungen in vielen Fällen nichts mehr zu tun.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die berechtigte Frage, ob viele der Gründer und Firmeneigner ihre Unternehmen derzeit in so hoher Zahl versilbern, weil sie wissen, dass es in den kommenden Jahren wirtschaftlich bergab gehen wird.

Ein Vergleich mit dem Jahr 1999 deute darauf hin, dass zwar kein unmittelbarer Absturz drohe, sondern an den Aktienmärkten in den kommenden Wochen noch weitere Rekord aufgestellt werden könnten, zitiert Bloomberg einen Analysten von Miller Tabak + Co. Doch auf Sicht der kommenden Monate könnte es Probleme geben: „Die Erfahrung zeigt uns, dass Überschwänglichkeiten im Markt für Börsengänge ein wichtiger vorauseilender Indikator für eine Trendumkehr am Aktienmarkt ist, kein Indiz für einen unmittelbar bevorstehenden Einbruch. In anderen Worten sagen uns die Vorgänge, dass wir in den kommenden sechs bis neun Monaten eine bedeutende Korrektur sehen werden, aber nicht zwangsläufig in den kommenden Tagen oder Wochen.“

Grafik: Die drei Anlageklassen, welche 2020 die höchsten prozentualen Kapital-Zuflüsse verzeichnen konnten:


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik WSJ: Saudi-Arabien drohte den USA mit Wirtschaftskrieg
10.06.2023

Im Öl-Streit mit den USA im letzten Herbst drohte Saudi-Arabien im Hintergrund mit einem Abbruch der Beziehungen und wirtschaftlicher...

DWN
Politik
Politik In Österreich liegt die FPÖ in allen Umfragen auf Platz 1
10.06.2023

Hierzulande herrscht helle Aufregung über den starken Zuwachs der AfD. Doch in Österreich liegt die FPÖ in allen Umfragen auf Platz 1...

DWN
Deutschland
Deutschland Spekulanten machen mit E-Autos Kasse
10.06.2023

In Deutschland machen Spekulanten mit E-Autos Kasse. Der Steuerzahler finanziert die Gewinn-Margen der Händler teilweise mit.

DWN
Politik
Politik Schweden erlaubt Stationierung von NATO-Truppen
10.06.2023

Schweden will die Stationierung von NATO-Truppen erlauben. Zwar ist das Land kein Mitglied der Militärallianz. Doch die Integration...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Europas Gaspreise in einer Woche um 35 Prozent gestiegen
10.06.2023

Die Energie-Krise kehrt mit Wucht zurück nach Europa. Die Erdgaspreise sind am Freitag so stark gestiegen wie seit einem Jahr nicht mehr,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Warum China keine Inflation hat
10.06.2023

Wegen der schwachen Weltwirtschaft lag die Inflation in China im Mai erneut nahe null. Die niedrigen Preise entlasten die chinesischen...

DWN
Politik
Politik Linke fordert Wagenknecht zur Rückgabe von Mandat auf 
10.06.2023

Sahra Wagenknecht lässt nicht ab vom Gedanken, eine neue Partei zu gründen. Die Linke-Spitze fordert sie daher abermals auf, ihr Mandat...

DWN
Finanzen
Finanzen China erhöht Goldbestände den siebten Monat in Folge
09.06.2023

Chinas Zentralbank hat im Mai ihre Goldreserven weiter aufgestockt. Zugleich gingen die chinesischen Dollarbestände weiter zurück....