Politik

Gewaltlos, doch gefährlich: Verfassungsschutz warnt vor „legalistischen Islamisten“

Der sogenannte „legalistische Islamismus“ hat mehr als 13.000 aktive Anhänger in Deutschland. Anders als die Salafisten, lehnen sie Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele ab. Doch auch ihre Ziele sind nicht vereinbar mit der demokratischen Grundordnung und der deutschen Verfassung. Die Sicherheitsbehörden schlagen Alarm.
28.12.2020 16:07
Aktualisiert: 28.12.2020 16:07
Lesezeit: 2 min
Gewaltlos, doch gefährlich: Verfassungsschutz warnt vor „legalistischen Islamisten“
Thomas Haldenwang (l-r), Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, und Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, sitzen gemeinsam auf einer Pressekonferenz zur Neuorganisation der Sicherheitsbehörden im Bundesinnenministerium. (Foto: dpa) Foto: Gregor Fischer

Aus einer Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der FDP geht hervor:

„Sicherheitsbehörden warnen vor der Gefahr, die von den gewaltfrei agierenden islamistischen Organisationen in Deutschland ausgeht. Zur Abgrenzung von gewaltorientierten Strukturen bezeichnet sie der Verfassungsschutz als ,legalistische Islamisten‘. Insbesondere trifft dies auf die in Europa agierenden Ableger der Muslimbruderschaft (MB) zu. Laut dem Verfassungsschutzbericht 2019 gibt es im Bereich der Personen mit Islamismuspotenzial einen Anstieg um ca. 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, womit sich die Zahl auf 28.020 Personen beläuft (vgl. Verfassungsschutzbericht 2019, S. 180). Davon wird fast die Hälfte aller Personen dem legalistischen Islamismus zugeordnet. Laut einer Umfrage von SWR und BR unter allen Verfassungsschutzämtern in Deutschland hat der ,legalistische Islamismus‘ mehr als 13.000 Anhänger.“

Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) führt dazu aus: „Die meisten Islamisten in Deutschland lehnen es ab, Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele anzuwenden. Nicht-gewaltorientierte, sogenannte legalistische islamistische Gruppen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln innerhalb der bestehenden Rechtsordnung. Sie bestehen auf einer strengen Lesart des Korans, der unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig ist. Richtschnur sind die Weisungen, die im islamischen Recht der Scharia enthalten sind. Die Vorschriften der Scharia dürfen ihrer Ansicht nach nicht relativiert werden. Doppelstrategie: Durch Lobbyarbeit versuchen legalistische Islamisten, Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen. Dabei verfolgen sie eine Doppelstrategie: Während sie sich nach außen offen, tolerant und dialogbereit geben, bestehen innerhalb der Organisationen weiterhin antidemokratische und totalitäre Tendenzen. Ziel legalistischer Islamisten ist es, zunächst Teilbereiche der Gesellschaft zu islamisieren. Langfristig streben sie die Umformung des demokratischen Rechtsstaats in einen islamischen Staat an. Um ihre Ziele zu erreichen, betreiben legalistische Islamisten Kulturvereine und Moscheen, die einerseits der Werbung von Mitgliedern, anderseits der Verbreitung der Ideologie dienen. Über ihre Dachverbände versuchen sie, sich dem Staat als Sprachrohr der Muslime anzubieten.“

Ein Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) teilte der „Welt“ mit: „Außenstehenden ist es kaum möglich, die tatsächlichen Absichten legalistischer islamistischer Gruppierungen zu erkennen. Vielmehr verfügen insbesondere die öffentlichen Kontaktpersonen dieser Organisationen oftmals über eine charismatische Ausstrahlung und gute rhetorische Fähigkeiten, weshalb sie sowohl für die Politik und die Verwaltung als auch für soziale Partner wie die Kirchen einen angemessenen Ansprechpartner darstellen.“

BR24“ führt aus: „Ein Beispiel: die Furkan-Gemeinschaft. Sie wurde in den 90er Jahren in der Türkei von ihrem Anführer Alparslan Kuytul ins Leben gerufen. In Deutschland hat die Gemeinschaft in den vergangenen Jahren in mehreren Städten Ableger gegründet: in Hamburg, Dortmund oder München. Schon im Mai können SWR und BR mit einem Vertreter dieser Bewegung sprechen. Furkan-Sprecher Cenk Göncü betont im Interview, dass seine Organisation keine Gewalt ausübe. Eine pluralistische Demokratie schwebt der Furkan-Gemeinschaft aber nicht vor. Göncü zufolge sind Islam und Säkularismus ,nicht miteinander kompatibel‘.“

„Für den Islamwissenschaftler Professor Matthias Rohe von der Universität Erlangen-Nürnberg sind die Positionen der Furkan-Gemeinschaft nicht nur unvereinbar mit einem säkularen Rechtsstaat, in dem es keine Staatsreligion geben kann. Positionen wie etwa zum Thema Handabhacken seien auch theologisch heute kaum noch vertretbar: ,Die meisten islamisch geprägten Länder haben diese drakonischen Körperstrafen abgeschafft. Und das lässt sich durchaus auf der Basis von Scharia-Argumentationen begründen. Wenn man nämlich das islamische Recht als eine dynamische Materie liest; und es gibt eine Mainstream Meinung, die sagt: Das Recht ist abhängig von den Zeiten und von den Umständen der Lebensverhältnisse‘“, so der „SWR2“.

Doch auch die sozialen Medien werden von den „legalistischen Islamisten“ gezielt genutzt. „Mit großer Sorge beobachten Verfassungsschützer auch Bewegungen, die im Internet unterwegs sind und dort großflächig Kampagnen starten. Zum Beispiel die ,Realität Islam‘. Sie ist aus Sicht der Verfassungsschützer demokratiefeindlich. Die Organisation ist im Rhein-Main-Gebiet ansässig. Mehr als 35.000 Nutzer haben die Facebook-Seite von ,Realität Islam‘ gelikt“, so BR24.

„Im Schatten der Berichterstattung über salafistische und jihadistische Islamisten dürfen legalistische Islamisten nicht außer Betracht gelassen werden“, so die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS).

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Umfrage: Deutsche gegen militärische Führungsrolle in Europa
25.11.2025

Rente, Bürgergeld, Wehrdienst – bei solchen Themen ist die Stimmung der Bürger gut erforscht. Für die Außenpolitik gilt das hingegen...

DWN
Politik
Politik Lawrow zu Europa: "Ihr hattet eure Chancen, Leute"
25.11.2025

Haben sich die Ukraine und die USA geeinigt? Europa jedenfalls habe seine Chance verspielt, den Ukrainekonflikt politisch zu entschärfen,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Biotech-Unternehmen wandern aus: Europa verliert 13 Mrd. Euro an die USA
25.11.2025

Europas Biotech-Branche steht an einem Wendepunkt, weil zentrale Finanzierungsquellen immer seltener im eigenen Markt zu finden sind....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeitsmarkt 2030: Diese Fachkräfte werden in fünf Jahren gebraucht
25.11.2025

Automatisierung, KI und Klimawandel verändern den globalen Arbeitsmarkt rasant. Bis 2030 entstehen Millionen neuer Jobs, doch viele...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KI-Blase: Experten warnen vor wachsenden Risiken am Markt
25.11.2025

Die Finanzmärkte stehen unter spürbarer Spannung, während Anleger die Dynamik rund um künstliche Intelligenz bewerten. Doch weist die...

DWN
Finanzen
Finanzen Doppelbesteuerung Rente: Ob Sie betroffen sind und was Sie tun können!
25.11.2025

In Deutschland müssen auch Rentner ihre Rente versteuern, weil Renten als Einkünfte gewertet werden, obwohl Arbeitnehmer bereits im...

DWN
Politik
Politik Georgiens Krise: Welche Machtverschiebung Europa jetzt alarmieren sollte
25.11.2025

Ein Land am Schwarzen Meer verliert seine demokratischen Sicherungen, während die Regierung Kritiker verfolgt und neue Allianzen mit...

DWN
Politik
Politik Insa-Umfrage aktuell: AfD bleibt in Sonntagsfrage vor Union
25.11.2025

Die aktuelle Insa-Umfrage zeigt eine AfD auf Rekordkurs - und eine Union, die langsam näher rückt. Gleichzeitig bröckelt das Tabu-Image...