Ein neues Gesetz, das am 7. Januar im türkischen Amtsblatt veröffentlicht wurde, ermächtigt die türkische Polizei und den nationalen Geheimdienst MIT, militärische Ausrüstung und schwere Waffen gegen Vorfälle wie Proteste, Demonstrationen und Terroranschläge einzusetzen, die „die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung und die Sicherheit bedrohen“. Die türkische Polizei und der MIT dürfen somit künftig sogar Panzer aus dem Inventar der türkischen Streitkräfte einsetzen, wenn dies erforderlich ist.
Das neue Gesetz folgt großen Studentenprotesten in dieser Woche wegen der Ernennung eines neuen Rektors an der Boğaziçi-Universität in Istanbul, der Mitglied der Regierungspartei AKP ist. Die Boğaziçi-Universität ist eine der Hochburgen der Linken und Sozialdemokraten. Der englischsprachige Dienst der „Deutschen Welle“ führt aus: „Die renommierte Boğaziçi-Universität in Istanbul ist dafür bekannt, linke Anliegen zu fördern, die sie in der Vergangenheit zu einem Regierungsziel gemacht haben.“
„Die Studentenproteste gegen den neuen Rektor an der Boğaziçi-Universität waren die größten in den letzten vier oder fünf Jahren. Aus ihren Aussagen und Reaktionen geht hervor, dass die Regierung sehr besorgt ist. Daher stellt diese neue Gesetzgebung keinen Zufall dar“, sagte Ali Tirali, Vorstandsmitglied der Social Democracy Foundation (SODEV) der Online-Zeitung „Balkan Insight“.
Der Vorsitzende der Nationalen Bewegungpartei (MHP), die mit der Regierungspartei AKP koaliert, Devlet Bahçeli, sagte: „Der Widerstand gegen einen rechtmäßig ernannten Rektor mit terroristischen Methoden vorzugehen und die Absicht, einen zweiten Gezi-Park-Putsch zu schaffen, ist eine Verschwörung, die sofort zerschlagen werden sollte.“
Die Regierung von Präsident Erdoğan verurteilte die jüngsten Proteste, und die Studenten und Akademiker wurden von der Polizei mit Gummigeschossen und Tränengas zerstreut. Dutzende Studenten wurden während und nach dem Protest von Spezialoperationsteams der Polizei festgenommen. Tirali sagte, die Regierung verliere die Unterstützung und habe keine andere Wahl, als die Öffentlichkeit mit Angst zu kontrollieren. „Die Regierung findet es schwierig, ihre Macht über die Bürger aufrechtzuerhalten, und jetzt versuchen sie, ihre Macht mit brutaler Gewalt und Angst aufrechtzuerhalten“, so Tirali im Zusammenhang mit der Militarisierung der Polizei. Tirali meint, dass es weltweit einen Trend zur Militarisierung der Polizei gebe. Das sei ein Trend, der in der Türkei nun besonders ausgeprägt sei.
Das „Stockholm Freedom Center“ führt aus: „Mehmet Yılmaz von der T24-Nachrichten-Website fragte in einer Kolumne, was der MIT mit militärischen Waffen vorhabe. ,Vergiss die Polizei. Was wird der MIT mit schweren Waffen machen? Wird der MIT seine gesetzlichen Grenzen überschreiten und einen Krieg führen? Kann die CIA einen Militärpanzer einsetzen? Besitzt der MI6 einen Flugzeugträger? Der Journalist Erk Acarer von der Tageszeitung Birgün sagte, der Staat plane, Militärpanzer gegen sein eigenes Volk einzusetzen. Die türkische Regierung wird von Menschenrechtswächtern häufig dafür kritisiert, dass sie die Versammlungsfreiheit einschränkt. Laut Amnesty International gibt es starke Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung in der Türkei. Die Behörden verbieten willkürlich Demonstrationen und wenden unnötige und übermäßige Gewalt an, um friedliche Demonstranten zu zerstreuen.“
Studierende protestieren seit Montag gegen die Ernennung von Melih Bulu zum Direktor der Boğaziçi-Universität durch Erdoğan. Sie kritisieren unter anderem die Nähe Bulus zur AKP. Die Studenten verurteilten die Ernennung aber auch als undemokratisch und gegen die Tradition der Universität, ihre Direktoren selbst zu wählen. Seit Inkrafttreten des Präsidialsystems im Juli 2018 ist Erdoğan alleine berechtigt, Rektoren an staatlichen Universitäten einzusetzen. Bereits mit dem Ausnahmezustand nach dem Putschversuch 2016 war den Hochschulen das Recht entzogen worden, ihre Direktoren selbst zu wählen. Erdoğan verteidigte die Einsetzung Bulus. Er sei in Einklang mit geltendem Recht eingesetzt worden und sei „angemessen“ für die Position.
Erdoğan hatte die Proteste als von Terroristen initiiert bezeichnet. „Dahinter stecken ja keine Studenten, das sind Terroristen, die dahinterstecken“, zitiert die dpa Erdogan. Die Oppositionspolitikerin Canan Kaftancıoğlu, die sich mit den Protestierenden solidarisiert hatte, nannte Erdoğan eine „Militante“ der marxistisch-leninistischen Untergrundorganisation DHKP-C in der Türkei.