Politik

Zwischen Europa und Russland tobt ein harter Kulturkampf

Der geopolitische Wettbewerb zwischen Europa und Russland nimmt Konturen eines Kulturkampfs an, bei dem es um Religion, Familienwerte und viel Geopolitik geht.
01.03.2021 14:00
Lesezeit: 2 min
Zwischen Europa und Russland tobt ein harter Kulturkampf
Russlands Präsident Wladimir Putin. (Foto: dpa) Foto: Mikhail Klimentyev / Ria Novosti

Die Spannungen zwischen Russland sind nicht nur auf den Erdgas-Streit, den Ukraine-Konflikt, den Syrien-Krieg und weitere Bereiche von geopolitischer Bedeutung, sondern auch auf einen tiefsitzenden Kultur- und Religionskampf zurückzuführen. Kürzlich hatte Russlands Präsident Wladimir Putin in einem historischen Rückblick gesagt, dass es die westlichen Kreuzfahrer waren, die das christlich-orthodoxe Byzantinische Reich derart geschwächt hätten, dass aus dem Osten nur noch der letzte Schlag ausgeführt werden musste. „Wir müssen uns an diese historischen Ereignisse erinnern und sie niemals vergessen“, so Putin (HIER). Diese Aussage zeigt, wie verwurzelt das Misstrauen der russischen Eliten gegenüber den westlichen Eliten ist. Doch es zeigt auch, dass Russland slawischer, orthodoxer und konservativer wird, um gleichzeitig die muslimischen Turkvölker und die Kaukasier in dieses neue Bollwerk gegen den Westen direkt einzubeziehen.

Auf der Ebene der Werte stehen sich Russland und Europa diametral gegenüber. In ihrer symbiotischen Beziehung verbindet die Russisch Orthodoxe Kirche (ROC) öffentlich die Mission des russischen Staates unter der Führung von Putin mit der Mission der Kirche und sakralisiert die nationale Identität Russlands. Die russische Regierung stützt sich auf die Kirche, um ihr historische und kulturelle Legitimität zu verleihen, und die Kirche verlässt sich auf den Kreml, um ihre Position als moralischer Schiedsrichter für die Gesellschaft zu unterstützen. Um den russischen Wertekanon zum Schutz von Volk und Familie zu gewährleisten, wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe von Gesetzen verabschiedet. Dazu gehört das sogenannte LGBT-Propagandagesetz von 2013, das Gesetz über ausländische Agenten von 2012, das Gesetz zum Schutz religiöser Gefühle von 2013 und das Gesetz über unerwünschte Organisationen von 2015, das nach Angaben der EU die Meinungsfreiheit ernsthaft einschränkte und die Zivilgesellschaft behinderte. Dem Patriarchen Kirill zufolge würden beispielsweise gleichgeschlechtliche Ehen „die moralische Natur eines Menschen abschaffen und die gleiche Empörung hervorrufen wie die Gesetze des nationalsozialistischen Deutschlands“. Die regierungsnahen russischen Oligarchen unterstützen den konservativen Ansatz der ROC und des Kremls. Konstantin Walerjewitsch Malofejew, der zu den bekanntesten Oligarchen gehört, sagte „Gazeta.ru“ zufolge: „Wir müssen geistig und dann auf kultureller und sozialer Ebene die materialistischen, künstlichen Lehren des 20. Jahrhunderts loswerden, denen ich Marxismus, Faschismus und Liberalismus zuschreibe.“

Die „FAZ“ wörtlich: „In Putins dritter Amtszeit als Präsident wird Russland als Hüterin konservativer Werte gegen einen dekadenten, schwulen, toleranten Westen inszeniert: Glücklich, wer da von Putin regiert wird. In diesem Ringen um Legitimation spielen Malofejew und Putins Weggefährte Wladimir Jakunin, der jahrelang, von Korruptionsvorwürfen unbehelligt, die Russischen Staatsbahnen führte, eine wichtige Rolle. Gemeinsam luden die Stiftungen der beiden Männer zum Beispiel im September 2014 zu einem Kongress namens ,Große Familien und die Zukunft der Menschheit‘ nach Moskau in den Kreml und die Christ-Erlöser-Kathedrale. Evangelikale und reaktionäre Gruppen aus Russland und westlichen Staaten schimpften einträchtig auf ,Homosexuellenpropaganda‘, Genderpolitik und Abtreibung. Damals wirkte das wie Randgruppen unter sich.“

Seit den ersten groß angelegten Protesten gegen die Regierung im Jahr 2011 l werden Oppositionelle in Russland im Regelfall als „eine verräterische fünfte Kolonne“ bezeichnet, die durch die Akzeptanz der freizügigen westlichen Haltung und des Geldes ausländischer Geber korrumpiert wurden. Im Jahr 2019 sagte Putin nach Angaben der „Financial Times“, dass der Liberalismus obsolet geworden sei.

Aus all diesen Ausführungen lässt sich erkennen, dass die von Moskau propagierten Werte von Familie, Staat und Religion nicht vereinbar sind mit jenen Werten, die in Europa propagiert werden. Doch auch in Europa gibt es Kreise, die sich gegen „Homosexuellenpropaganda“ und gegen die „Gender-Ideologie“ positionieren, weshalb sie in Russland ein Vorbild sehen.

Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass der umschriebene „Kulturkampf“ zwischen Russland und Europa auch bald innereuropäisch ausgetragen wird. Doch die Wahrheit ist auch, dass die europäischen Parteien, die Russland für seine Betonung von Volk, Familie und Heimat loben, selbst von Kinderlosen und Familienlosen, Singles, Homosexuellen oder Getrennten angeführt werden. All diese Tatsachen widersprechen dem erwünschten konservativen Ansatz, der in diesem Artikel ausgeführt wurde.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Immobilien
Immobilien Baufinanzierung Zinsen: Entwicklung des Bauzinses 2025 - und wie es 2026 weitergeht
06.12.2025

Nachdem die Zinsen – darunter der Bauzins – in Deutschland seit 2019 eine gewisse Schieflage erreicht haben, scheint nun Ruhe...

DWN
Finanzen
Finanzen Marktausblick 2026: Internationale Aktien und Small-Cap-Aktien sind am besten positioniert
06.12.2025

KI treibt Teile der Weltwirtschaft nach vorn, während andere Branchen stolpern. Gleichzeitig locken Staaten mit neuen Ausgabenprogrammen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schiene unter Druck: Expertenrunde soll Bahnverkehr stabilisieren
06.12.2025

Wegen anhaltender Probleme im Zugverkehr arbeitet eine neue Taskforce an kurzfristigen Lösungen für mehr Pünktlichkeit und Stabilität...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Automobilindustrie erholt sich: Nachfrage kehrt zurück
06.12.2025

Die europäischen Neuzulassungen ziehen spürbar an und signalisieren eine langsame, aber stabile Erholung der Automobilindustrie. Doch...

DWN
Technologie
Technologie Bidirektionales Laden in Schweden: E-Autos und Solaranlagen bieten neue Energie für Haushalte
06.12.2025

In Schweden entwickelt sich eine neue Form der dezentralen Energieversorgung, bei der Haushalte Strom selbst erzeugen und intelligent...

DWN
Politik
Politik Benelux-Einigung: Wie ein radikaler Zusammenschluss Europa herausfordern würde
06.12.2025

Mitten in einer Phase wachsender geopolitischer Spannungen nehmen belgische Politiker eine Vision wieder auf, die lange undenkbar schien...

DWN
Politik
Politik Trumps US-Sicherheitsstrategie und die Folgen für Europa
05.12.2025

Donald Trumps neue US-Sicherheitsstrategie rückt Europa ins Zentrum – allerdings als Risiko. Das 33-seitige Papier attackiert...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs schließt über 24.000 Punkten: Erholung geht am Freitag weiter
05.12.2025

Der deutsche Aktienmarkt legt zum Wochenschluss spürbar zu und der Dax überschreitet eine wichtige Schwelle. Doch der Blick richtet sich...