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Top-Ökonom: Europas Klimapolitik ist ideologisch motiviert und von Denkfehlern durchsetzt

Lesezeit: 4 min
31.07.2021 12:50  Aktualisiert: 31.07.2021 12:50
Top-Ökonom Hans-Werner Sinn zeigt auf, warum die europäische Klimapolitik fehlgeleitet ist.
Top-Ökonom: Europas Klimapolitik ist ideologisch motiviert und von Denkfehlern durchsetzt
Windräder allein werden die Energieprobleme Europas nicht lösen könnnen. (Foto: dpa)
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Die EU gehört zu den wenigen Unterzeichnern des 2015 geschlossenen Pariser Klimaschutzabkommens, das verpflichtende Mengenrestriktionen beim Ausstoß von Kohlendioxid vorsieht. Die Union hat damals versprochen, gegenüber dem Jahr 1990 den Verbrauch fossiler Brennstoffe bis 2030 um 40 Prozent (mittlerweile lautet das Ziel sogar 55 Prozent) zu reduzieren. Am 14. Juli 2021 hat die EU-Kommission darüber hinaus eine Reduktion um 100 Prozent bis 2050 propagiert und ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgelegt, mit dem sie schon kurzfristig den CO2-Ausstoß der Unternehmen und Haushalte massiv verringern will.

Niemals zuvor hat es auf der Welt auch nur annähernd vergleichbare Anstrengungen für den Umweltschutz gegeben, und niemals - außer in Kriegszeiten - sind Marktwirtschaften derart rigide einer zentralplanerischen Steuerung unterworfen worden, wie es jetzt geplant ist.

Zu dem Programm gehören drei verschiedene Emissionshandelssysteme für CO2. Erstens soll das bestehende System, das bereits für die Energie-Wirtschaft sowie für Teile der Grundstoff- und der chemischen Industrie gilt, auf den Schiffsverkehr ausgedehnt werden. Zweitens sollen zwei neue, separate Handelssysteme für den Wohnungsbau und den Verkehr geschaffen werden. Drittens soll die Zuteilung der Zertifikate nicht mehr umsonst sein. Vielmehr will die EU sie verkaufen, um mit den Erlösen auch Transfers an ärmere Bevölkerungsschichten finanzieren zu können. Wobei die Menge der Zertifikate Jahr um Jahr drastisch reduziert werden soll.

Bereits 2020 wurde ein System zur Klassifizierung der Unternehmen nach dem Grad Ihres „Grünseins“ (Taxonomie-Verordnung) eingeführt mit dem Ziel, die europäische Notenbank zu gestaffelten Kreditgeschäften zu veranlassen, die den grünen Firmen niedrigere Zinsen verschaffen. Hinzu kommt nun das Total-Verbot des direkten Einsatzes fossiler Brennstoffe für PKW-Motoren bis 2035. Die PKW sollen dann mit elektrischer Energie fahren, die entweder in Batterien oder Wasserstofftanks zwischengespeichert wird. Außerdem soll der CO2-Ausstoß des Flugverkehrs auf dem Niveau des Corona-Jahres 2020 eingefroren werden.

Letztendlich will die Kommission einen Mechanismus einführen, der das sogenannte „Carbon Leakage“ verhindern soll, also die Verlagerung von Industrie mit hoher CO2-Emission in andere Länder außerhalb der EU. Dies soll dadurch verhindert werden, dass in die EU eingeführte industrielle Grundstoffe entsprechend ihres Kohlenstoff-Fußabdrucks besteuert werden.

Ob diese schier atemberaubenden Maßnahmen funktionieren werden, ist mehr als fraglich. Sicher aber ist, dass sie den Lebensstandard der Europäer massiv beeinträchtigen werden. Sie werden die europäische Industrie in die Knie zwingen und ihrer Wettbewerbsfähigkeit berauben. Hinter den Maßnahmen steht vor allen der sozialdemokratische EU-Kommissar Frans Timmermans. Er ist dabei, Europa in ein protektionistisches Wirtschaftssystem zu verwandeln, das zentral aus Brüssel gelenkt wird – und er macht dabei sehr viele Fehler.

Beispielsweite verletzen die separaten Handelssysteme für die verschiedenen Sektoren der Wirtschaft und die Steuerung des Kapitalmarktes über die Taxonomie-Verordnung das Gesetz des einheitlichen Preises, jenes normative grundlegende Gesetz der Volkswirtschaftslehre, das unabdingbar für eine kosten-minimierende Strategie zur Vermeidung von CO2 ist.

Timmermann übersieht darüber hinaus die Tatsache, dass es sich bei Öl, Gas sowie bis zu einem gewissen Grad auch Kohle um Güter handelt, die international gehandelt werden. Die Kraftstoffe, die Europa nicht konsumiert, werden auf dem Weltmarkt an Länder verkauft werden, die froh darüber sein werden, dass sie sie zu einem günstigeren Preis bekommen. Das heißt, die EU wird das von ihr im Rahmen des Pariser Klimaabkommens gegebene offizielle Versprechen, ihre vom Verkehr verursachten Emissionen zu reduzieren, zwar einhalten – jedoch wird diese Reduktion dem weltweiten Klima nicht zugutekommen.

Damit das Verbot von Auto-Kraftstoffen tatsächlich einen positiven Einfluss auf das Klima hat, müsste die EU ihre nicht genutzten Kraftstoffe irgendwo auf ihrem Territorium in gut geschützten Tanks lagern. Das ist so absurd, dass die verantwortlichen Politiker über diese Möglichkeit lieber Stillschweigen bewahren - um die ganze Absurdität ihrer Herangehensweise an die Problematik nicht noch zusätzlich zu unterstreichen.

Überhaupt wird die Abschaffung von Benzinern und Dieseln zugunsten von Elektroautos kaum irgendetwas dazu beitragen, den weltweiten CO2-Ausstoß zu reduzieren. Das liegt daran, dass der in der EU verbrauchte Strom derzeit noch zu einem erheblichen Anteil aus Kohle gewonnen wird, und dass Deutschland, das größte und am stärksten industrialisierte Land der EU, seine Kernkraftwerke im Jahr 2022 abschalten will. Das heißt, auf absehbare Zeit werden die neuen E-Autos, die als Heilsbringer gepriesen werden, mit Strom fahren, der zu erheblichen Anteilen aus Kohle gewonnen wird – denn eine ausreichende Stromversorgung durch Windenergie und Solar-Anlagen ist aus den bekannten Gründen (der Wind weht nicht immer, die Sonne scheint nicht durchgehend) noch lange nicht gesichert.

Wenn man davon ausgeht, dass durch das Mehr an E-Autos der Bedarf an (durch Kohle erzeugten) Strom steigt, kann man also davon ausgehen, dass Europas Verbot von Verbrennungsmotoren den CO2-Ausstoß in den nächsten Jahren sogar in die Höhe treiben wird.

Das Hauptproblem ist, dass die EU ihre Aktionen mit anderen Ländern nicht abspricht – noch nicht einmal durch das Pariser Abkommen. Knapp 140 der 200 Unterschriften unter das Pariser Abkommen stammen von Ländern, die sich selbst nicht zu quantitativen Mengenbeschränkungen beim CO2-Ausstoß verpflichtet haben. Sie haben im Grunde nur den Umstand begrüßt, dass eine kleine Minderheit der Länder der Welt versprochen hat, ihnen nicht mehr so viele Brennstoffe vor der Nase wegzukaufen.

Die EU-Kommission glaubt, das „Carbon Leakage“ mit dem System des Grenzausgleichs verhindern oder eindämmen zu können. Ihre Hoffnung ist jedoch unbegründet, wenn nicht naiv, denn selbst wenn sie den CO2-Gehalt aller Importe besteuern könnte, hätte sie keine Möglichkeit, zu verhindern, dass die in der EU nicht mehr verbrauchten handelbaren Brennstoffe in andere Teile der Welt geliefert und dort genutzt werden. Die EU kapriziert sich auf den unerheblichen Teil des „Carbon Leakage“, der etwas mit dem Kohlenstoffgehalt der gehandelten Waren zu tun hat, und vergisst das direkte Leakage über den Verkauf der Brennstoffe selbst.

Der Grenzausgleich bringt - ähnlich wie der Verkauf der CO2-Zertifikate - für die EU allerdings den Vorteil, dass sie endlich zu einer ergiebigen eigenen Einnahmequelle kommt. Ob das auch diejenigen als Vorteil empfinden, die die Abgaben werden zahlen müssen, darf bezweifelt werden.

Die EU wird Europa mit ihrer unilateralen Klimastrategie in eine Handelsfestung mit Handelskriegen verwandeln. Sie wird weltweit einem neuen Protektionismus Vorschub leisten und anderen Regionen der Welt die Möglichkeit geben, sich mit der billigen Energie, die die EU freigibt, im eigenen Wirtschaftsverbund zu einer prosperierenden, arbeitsteiligen Wirtschaft zu entwickeln. Auf die Kontakte zu einem sich selbst kasteienden Europa wird man dort zunehmend weniger Wert legen. Und dem selbst ernannten Versuchskaninchen zu folgen, werden sich andere Länder wohlweislich hüten, denn ohne China und Indien, versehen nur mit ein paar Lippenbekenntnissen der USA, lässt sich kein Klimaklub gründen, der eine Anziehungskraft auf andere ausüben kann.

Zum Autor: Hans-Werner Sinn ist emeritierter Professor der "Ludwig-Maximilans-Universität München" und war Präsident des "ifo Instituts für Wirtschaftsforschung". Er ist einer der einflussreichsten Ökonomen in der Geschichte der Bundesrepublik.

Copyright: Project Syndicate, 2021.

www.project-syndicate.org

Hans-Werner Sinn war von 1999 bis 2016 Präsident des Münchener "ifo Instituts für Wirtschaftsforschung" sowie Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 

 


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