Eine Analyse der Wahlprogramme aller nennenswerten Parteien lässt eine klare Prognose mit Blick auf die Digitalisierung zu: Die nächste Bundesregierung wird unabhängig von ihrer Zusammensetzung und von der Person des Kanzlers eine Digitalisierungsoffensive starten. Auffällig ist, dass in den Programmen von den Chancen der digitalen Transformation viel die Rede ist, kaum aber von den Risiken. Die kommende Technisierung werde alles verändern – so ertönt es aus Politikermund, als wäre das eine rundum erfreuliche Verheißung. Weithin übergangen wird dabei der Tatbestand, dass es in unserer Gesellschaft ein verbreitetes Misstrauen gegenüber der immer umfassenderen Digitalisierung gibt, das nicht zuletzt in Dutzenden von digitalisierungskritischen Büchern seinen Ausdruck findet.
Es geht also nicht nur um ein Bauchgefühl, sondern um intellektuelle Kritik. Der Zukunftsforscher Matthias Horx fragte schon 2018: „Geht es Ihnen auch manchmal so, dass das Wort ‚Digitalisierung‘ ein Gefühl flauer Übelkeit hinterlässt? Dass Sie das D-Wort einfach nicht mehr hören können, wie es im Maschinengewehrtakt auf jeder Businesskonferenz, jeder gehypten Messe, in jedem Standard-Powerpoint-Business-Vortrag und inzwischen sogar auf Parteitagen benutzt wird? Immer kommt es mit dem großen MUSS daher: Die Digitalisierung MUSS rasend voranschreiten, wir MÜSSEN den Breitbandausbau vorantreiben, Künstliche Intelligenz MUSS demnächst … Wenn dauernd etwas gemusst werden muss, ist längst etwas faul.“ Warum lässt der Bundestagswahlkampf die kritischen Aspekte der Digitalisierung fast vollkommen unerwähnt? Schließlich wird mit der Festlegung der Wahlprogramme bereits ein Stück weit Politik gemacht.
Die Alternativlosigkeit in Sachen Digitalisierung bei allen größeren Parteien ist angesichts der vielen vernünftigen Bedenken hinsichtlich dieser kulturumstürzenden Programmatik durchaus beunruhigend und kein ermutigendes Anzeichen einer pluralistischen Demokratie. Damit hier nicht womöglich der Verdacht aufkommt, es gehe im Folgenden um kulturpessimistisch oder gar verschwörungstheoretisch motivierte Überlegungen, sollen nun „methodisch“ ausschließlich solche Gefahren der Digitalisierung benannt und mit den Wahlprogrammen aller wichtigen Parteien konfrontiert werden, die einer der namhaftester Befürworter der digitalen Transformation weltweit selbst zur Sprache gebracht hat: Professor Klaus Schwab, seines Zeichens Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums (WEF). In seinem Buch „Die Zukunft der Vierten Industriellen Revolution. Wie wir den digitalen Wandel gemeinsam gestalten“ (2019) zeigt sich ein erstaunlich realistisches und ehrliches Risikobewusstsein, das in diesem Ernst und in dieser Breite im heurigen Bundestagswahlkampf ein merkwürdiges Desiderat geblieben ist.
Im Zuge der bevorstehenden Digitalisierungsoffensive geht es weniger um die bisher bekannten, quasi überschaubaren Möglichkeiten des Digitalen als vielmehr um künftig deutlich größere Chancen und damit auch erheblich größere Risiken für Mensch und Welt. Schwab weiß um denkbare positive und negative Effekte: „Technologien werden bei der Lösung vieler unserer heutigen Probleme unweigerlich eine Rolle spielen, doch sie tragen auch zu diesen Problemen bei und schaffen neue.“ Was es „bedeutet, ein Mensch zu sein“, werde sich „grundlegend verändern – und vieles andere mehr“; doch ob das eine positive Veränderung sein wird, dafür gibt auch Schwab keine Garantie. Vielmehr ist ihm klar, dass neue Technologien „vorhandene Systeme womöglich verschlechtern“ werden. Das wird hier in zwölf Punkten zu exemplifizieren und mit den deutschen Wahlprogrammen zu vergleichen sein.
1) Künstliche Intelligenz – ein Risiko für Mensch und Welt
Klaus Schwab weiß: Nicht alle Technologien sind fehlerlos programmierbar. Insbesondere sieht er die Gefahr der „Entwicklung einer allgemeinen Künstlichen Intelligenz (KI), deren Zielorientierung mit der mannigfaltigen Unordnung menschlichen Lebens kollidiert.“ Könnte nicht tatsächlich eine technokratische Überregelung am Ende zu mehr oder weniger totalitären Verhältnissen rund um den Globus führen? Die energische Förderung von KI durch die Politik mag marktwirtschaftlich im Blick auf internationale Konkurrenz sinnvoll sein – von daher will die AfD „die Kompetenzen im Bereich KI in der Bundesrepublik besser bündeln und nationale Kooperationen stärker fördern.“ Doch nötig wären dann strenge Regelungen, wie sie beispielsweise der Unternehmer-Gigant Elon Musk fordert, der KI mit ihrem Drang zur Verselbständigung für deutlich gefährlicher als Atomwaffen hält; wiederholt hat er betont, für ihn stelle KI die derzeit größte Gefahr für unsere Zivilisation dar. Weit davon entfernt wollen die größeren Parteien in Deutschland allesamt den Ausbau der KI fördern. So möchten CDU/CSU „Deutschland und Europa an die Weltspitze der Forschung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz“ bringen und die Chancen dieser „Schlüsseltechnologie“ namentlich „für den Alltag der Menschen nutzen“, wobei eine vage „Feigenblatt“-Formulierung besagt, man wolle zugleich Risiken minimieren. Auch die GRÜNEN wollen KI besonders fördern, ja „bereits heute den Grundstein legen für die europäische Souveränität in weiteren Trends der KI“. Die FDP möchte sogar die Entstehung von Clustern bei KI begünstigen und dafür digitale Freiheitszonen ausweisen: „Dort sollen weniger Regularien gelten.“ Die SPD setzt sich ihrerseits „für eine gezielte und koordinierte Unterstützung der deutschen und europäischen Digitalwirtschaft auf allen Technologie-Ebenen“ ein und damit auch für eine „verantwortungsvolle“ KI, die immerhin vorurteils- und diskriminierungsfrei programmiert sein sowie regelmäßig geprüft und zertifiziert werden soll. Wer freilich diese Verantwortung tragen und kompetent Algorithmen überprüfen und zertifizieren soll, bleibt offen. Klarer fordert nur die ÖDP: „Forschung und Entwicklung hochentwickelter künstlicher Intelligenz (KI) sind unter öffentliche Aufsicht zu stellen, um Chancen und Risiken der KI in den demokratischen Entscheidungsprozess einzubeziehen.“ Insgesamt kann man nur mit dem Philosophen Eduard Kaeser fragen: Woher diese „Anfälligkeit für Vortäuschungen von Intelligenz“? Verbindet sich nicht die „quasi-religiöse Erwartung“ der Digitalisierungs-Euphorie tatsächlich mit dem Fehlen eines kritischen Reflexionsniveaus, ja eben menschlicher Intelligenz?
2) Das Disruptions-Potenzial beim Internet der Dinge
Beim kommenden „Internet der Dinge“ sieht Schwab ein „Disruptionspotenzial“ – wobei unter dem Begriff Disruption die relativ plötzliche und vollständige, mitunter bedrohlich und zerstörend erscheinende Ablösung oder Verdrängung einer Technologie durch eine andere zu verstehen ist. Das Internet der Dinge werde unser Leben und unsere Welt völlig verändern, heißt es immer wieder – aber wer will das eigentlich? Wo bleibt der Weitblick des israelitischen Historikers Yuval Noah Harari ist, der warnt: Menschen sind am Ende „lediglich Instrumente, um das Internet der Dinge zu schaffen, das sich letztlich vom Planeten Erde aus auf die gesamte Galaxie und sogar das gesamte Universum ausbreiten könnte. Dieses kosmische Datenverarbeitungssystem wäre dann wie Gott.“ Allein die ÖDP sieht beim Internet der Dinge kritische Aspekte der Überwachung sowie deren Auswirkungen auf Demokratie und Freiheit – und nicht zuletzt der Datensicherheit.
3) Wie sicher ist das Netz vor Cyber-Angriffen?
Natürlich ist Schwab auch das Problem der Netzsicherheit nicht fremd. So warnte er vor einer „Cyber-Pandemie“, und kurz darauf wurde in Schweden die Supermarktkette Coop Opfer eines Cyber-Angriffs: All ihre 800 Supermärkte mussten notgedrungen geschlossen bleiben. In den USA gab es fast gleichzeitig eine große Hacker-Attacke gegen die IT-Sicherheitsfirma Kaseya und damit gegen mehr als 1.000 Unternehmen. Zuvor wurde der weltgrößte Fleischkonzern JBS angegriffen: Das Unternehmen musste als Folge für mehrere Tage Werke in den USA schließen und zahlte elf Millionen Dollar in Kryptowährungen als eine Art „Lösegeld“. Ein paar Tage darauf offenbarten die Enthüllungen über die Spionage-Software
Pegasus, dass es einen schwungvollen Handel mit Sicherheitslücken und Schadsoftware gibt. Eine potenzielle Cyber-Pandemie aber würde laut Schwab schlimmer sein als die aktuelle globale Krise. Natürlich wollen ungefähr alle Parteien höchste IT-Sicherheitsstandards. Aber das sind billige, wohlklingende Forderungen, denen die Realität krass widerspricht, wie allein die aktuellen Beispiele dieses Sommers illustriert haben. Die Unsicherheit des Netzes ist und bleibt bis auf Weiteres ein gravierendes Manko der Digitalisierung – privat wie öffentlich. Sie trotzdem um jeden Preis voranzutreiben, heißt die Unsicherheit vorantreiben – nicht zuletzt auf dem Gebiet kritischer Infrastruktur, die bekanntlich häufigen Cyberangriffen ausgesetzt ist und deswegen eigentlich vom Netz sollte, wie das schon Thomas Fischermann und Götz Hamann in dem Buch „Zeitbombe Internet“ gefordert haben. Warum nimmt keine Partei eine solche Forderung in ihr Programm auf?
4) Wenn der Datenschutz erodiert
Schwab warnt in seinem Buch, gerade die kommenden Quantencomputer könnten bald erhebliche Risiken für Datenschutz und Sicherheit schaffen. Dass der Datenschutz eine wichtige Angelegenheit sei, bestreitet im Grundsatz selbstverständlich keine Partei. Doch bei CDU/CSU heißt es einschränkend, Datenschutz sei kein „Super-Grundrecht“: Eine übertriebene Auslegung von Datenschutzanforderungen dürfe nicht dazu führen, Innovationen zu hemmen und Verfahren bürokratisch zu verlangsamen. Die SPD will „ein Datengesetz schaffen, das das Gemeinwohl in den Mittelpunkt rückt. Dafür werden wir eine vertrauenswürdige Daten-Teilen-Infrastruktur fördern, öffentliche Datentreuhänder einrichten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die großen Konzerne ihre Daten für gemeinwohlorientierte Ziele teilen müssen. Rückschlüsse auf einzelne Personen dürfen dabei nicht möglich sein.“ Die LINKE will das Prinzip der Datensparsamkeit gesetzlich wirksam verankern. Sie verlangt wegen neuer Möglichkeiten zur digitalen Leistungsüberwachung ein „Beschäftigtendatenschutzgesetz“ und wenigstens für den Schulbetrieb, dass die Datenspeicherung datenschutzkonform und dezentral zu erfolgen habe. Der FDP zufolge soll Deutschland international eine Führungsrolle beim Recht auf Privatsphäre, Anonymität im Internet und Verschlüsselung sowie beim Schutz personenbezogener Daten und vor Massenüberwachung einnehmen. Die AfD fordert gar ein neues, schlankes Datenschutzgesetz: „Einwilligungen zur Datenverarbeitung müssen jederzeit und wirksam widerrufbar sein.“ Datenschutzbehörden will die Partei stärken und „auch gegenüber staatlichen Stellen sanktionsfähig machen, da der Staat dieselben Datenschutzregeln wie der Bürger einzuhalten hat.“ Die „Piraten“ fordern: „Schluss mit Vorratsdatenspeicherung“. Ob und wie die künftige Bundesregierung angesichts ihres energischen Digitalisierungswillens einen wirklich strengen Datenschutz umsetzen oder ihn im Sinne einer Abwehr von „Übertreibungen“ aufweichen wird, muss die Zukunft erweisen. Laut EU-Datenschutzgrundverordnung dürfen nur für spezifische Zwecke nötige persönliche Daten verarbeitet werden; dem widerspricht aber die für die transnationale Digital-Identität im Zeichen von „ID2020“ geplante und von der EU-Kommission unterstützte Speicherung zu allgemeinen Verwaltungszwecken diametral. Wohin also wird der Weg gehen? Die Prognose fällt nicht allzu optimistisch aus, wenn man in die Wahlprogramme jener Parteien blickt, die für die nächste Regierungsbildung realistisch infrage kommen.
5) Ökologisches Desaster am Horizont
Zu den Risiken der digitalen Revolution, denen Schwab ins Auge zu schauen wagt, gehören die ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung: „Das Problem externer Effekte und ungewollter Folgen ist angesichts der Wirkmacht der Technologien der Vierten Industriellen Revolution und der Ungewissheit hinsichtlich ihrer langfristigen Auswirkungen auf komplexe Sozial- und Ökosysteme besonders akut.“ Er postuliert: „Wir müssen vermeiden, was tendenziell in den vorausgegangenen industriellen Revolutionen gemacht wurde: nämlich der Natur die Kosten für die neue Technologien aufzubürden. Das wird nicht einfach.“ Die meisten Wahlprogramme tun 2021 allerdings noch immer ungefähr so, als wäre es durchaus nicht schwer, diese Dinge in den Griff zu bekommen. Bezeichnend meinen die GRÜNEN sogar: „Mit digitalen und datengetriebenen Innovationen können wir den Energie- und Ressourcenverbrauch besser reduzieren und bei Zukunftstechnologien führend werden. Hierzu fördern und priorisieren wir digitale Anwendungen und Lösungen, die einen Beitrag zur Ressourcenschonung leisten oder nachhaltiger sind als analoge.“ Diese Sichtweise bezweifeln viele Experten und warnen, dass die Digitalisierung bedenkliche Folgen haben werde. So warnt der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), die kommende Vernetzung von Produkten könne zu erheblichen Mehrverbräuchen von Energie und Ressourcen führen; europaweit sei an Mehrverbräuche von bis zu 70 Terawattstunden pro Jahr zu denken. Bekanntlich verbrauchen Großrechner unter anderem dank des digitalen Krypto-Gelds wie etwa Bitcoin immer mehr Strom – inzwischen so viel wie allein die Niederlande insgesamt! Den Umweltschutz bejahen natürlich alle Parteien, aber die gravierenden ökologischen Herausforderungen durch die digitale Transformation werden gern totgeschwiegen oder kleingeredet. Lediglich die LINKE fordert politische Maßnahmen, die den Ressourcenverbrauch und Emissionen deckeln und absenken: „Die ökologischen Kosten neuer Anwendungen müssen gegen den gesellschaftlichen Nutzen abgewogen werden. Die Digitalisierung erfordert einen hohen Energie- und Ressourcenverbrauch für Rechenzentren und Endgeräte. Das betrifft sowohl den benötigten Strom als auch die erforderlichen Rohstoffe. Zudem sind die Arbeitsbedingungen in vielen Ländern im Rohstoffabbau, bei der Herstellung der Geräte und auch im IT-Service oft schlecht. Viele neue Technologien sind zwar energie-effizient, doch werden die Einsparungen durch größere Endgeräte, höhere Auflösung, stärkere Nutzung und kürzere Lebensdauer der Geräte wieder aufgefressen.“ Doch auch hier werden Ökologie und gesellschaftlicher Nutzen gegeneinander abgewogen – als könne man beides gegeneinander ausspielen! Mit Recht hat voriges Jahr Papst Franziskus gewarnt, es sei nicht die Zeit, weiter wegzuschauen, während der Planet aus Profitgier und im Namen des Fortschritts geschändet werde. Die Wahlkampfprogramme ticken indessen primär nach dem Diktat des Fortschrittsglaubens – und verkennen die „digitale Fortschrittsfalle“, von der meine so betitelte Broschüre (2. Aufl. 2019) handelt.
6) Gesundheitliche Gefahren
Klaus Schwab sieht nicht zuletzt die menschliche Gesundheit durch die fortschreitende Digitalisierung keineswegs nur bereichert, sondern auch bedroht. Tatsächlich schwärmen Wahlprogramme gern von den medizinischen Fortschritten dank Digitalisierung, breiten sich aber mitnichten über die Risiken aus. Selbstoptimierung namentlich für Gesunde ist der letzte Schrei der digitalen Revolution; doch welche körperlich und seelisch selbstzerstörerischen oder krankmachenden Elemente birgt der technologische Fanatismus? Welche inneren und äußeren Abhängigkeiten werden durch den Fortschritt produziert? Hier ist nur Raum für zwei exemplarische Themen. Erstens: Mikro-Chips in den eigenen Körper implantieren lassen – würde das überhaupt jeder Mensch vertragen? Der Biotechnologe Markus Schmidt warnt in einem Interview: „Am Ende hat man einen Elektronikfriedhof im Körper.“ Gewiss wird bei diesen Digitaltrend nicht jeder mitmachen wollen, aber Schmidt gibt zu bedenken: „Ab einem gewissen Punkt ist es kaum machbar, nicht mitzumachen… Ohne Gehirnchip wird man zum Menschen zweiter Klasse, obwohl man gesund ist. Andererseits könnte es auch einen Selektionsvorteil für diejenigen geben, die keinen Gehirnchip haben. Vielleicht, weil sie dann nicht anfällig sind für Cyberangriffe.“ – Zweitens: Strahlenschutz ist ein sich aufdrängendes Problem der forcierten Digitalisierung, weil und insofern es immer mehr ums mobile Internet geht. Viele Menschen und Bürgerinitiativen wehren sich aus gesundheitlichen Gründen gegen die zunehmende Mobilfunk-Bestrahlung – und können für ihre kritische Haltung nicht nur einzelne Forschermeinungen anführen, sondern auch wissenschaftliche Groß- und Überblicksstudien. Das Dilemma ist jedenfalls um den Erdball vorhanden und verstärkt sich derzeit sogar durch zusätzliche Mobilfunkstrahlung aus tausenden von Satelliten. Wie kann es sein, dass lediglich ein einziges der Wahlprogramme für den Deutschen Bundestag, nämlich das der ÖDP auf das Problem eines wirklich angemessenen Strahlenschutzes eingeht? Diese wohl unter der 5-Prozent-Hürde bleibende Partei fordert einen Stopp des Ausbaus vorhandener und zukünftiger 5G-/6G-Mobilfunkinfrastruktur, bis Risiken für Mensch und Umwelt durch unabhängige wissenschaftliche Studien ausgeschlossen sind – und die Förderung, ja breite Einführung technischer Alternativen der mobilen Informations- und Kommunikationsinfrastruktur wie etwa lichtbasierte Technik (Li-Fi/VLC). Nicht einmal die GRÜNEN konnten sich zur Berücksichtigung dieses bedrängenden, der Digitalisierung freilich zuwiderlaufenden Themas entschließen! Neben den großen Parteien fordert sogar die Tierschutzpartei ebenso wie die Piratenpartei einen flächendeckenden Ausbau der neuen Mobilfunkgenerationen.
Digitalisierungskritik steht nicht zur Wahl
Statt hier noch weitere Themen rund um die Digitalisierung politisch zu beleuchten, sei abschließend darauf hingewiesen, wie Klaus Schwab sich ungefähr die Lösung und Bekämpfung der kritischen Aspekte des digitalen Wandels denkt. Er behauptet beruhigend: „Wir haben es vollständig selbst in der Hand, wohin sich die Vierte Industrielle Revolution entwickelt – und sie steht noch ganz am Anfang.“ Dass sie noch ganz am Anfang steht, ist richtig, aber dass „wir“ – nun etwa als Wählerinnen und Wähler – die Entwicklung vollständig selbst in der Hand hätten, ist eine bittere Täuschung. Vielmehr wird es die nächste Bundesregierung bestimmen können – freilich in internationaler Abstimmung. Wenn Schwab einen „globalen Diskurs“ darüber fordert, wie Technologien die uns umgebenden Systeme verändern und „das Leben jedes einzelnen auf diesem Planeten beeinflussen“ können oder dürfen, fragt sich, ob er dabei insgeheim vor allem an die Plattform seines Weltwirtschaftsforums denkt – und wie er denn seine schönen oder besser: beschönigenden Formulierungen in Einklang bringen will mit dem Eingeständnis, dass „wir von neuen Systemen mit gewaltigem Einflussvermögen umgeben werden“. Klingt nicht angesichts der Faktenlage und manch besorgniserregender Aussichten seine Äußerung fast zynisch, alle Bürger seien „aufgefordert, die Vierte Industrielle Revolution gemeinsam zu gestalten“ – zumal er doch wörtlich einräumt, diese High-Tech-Revolution“ drohe „die Wahlmöglichkeiten der Menschen“ zu untergraben? Tatsächlich zeigt die Analyse der Wahlprogramme 2021 in Deutschland: Echte Wahlmöglichkeiten sind in Sachen Digitalisierung offensichtlich schon kaum mehr gegeben.