In vielen Medien heißt es immer wieder, dass die Taliban in Afghanistan auf einem Billionenschatz an Rohstoffen sitzen und China aus dem Abzug der westlichen Staaten nun beachtliche wirtschaftliche Vorteile ziehen kann. Wie realistisch ist das? Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sprachen mit Dr. Henrike Sievers, Geologin und Rohstoffexpertin an der „Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe“ (BGR).
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Bodenschätze befinden sich in Afghanistan?
Henrike Sievers: Aus Afghanistan sind zahlreiche Rohstoffvorkommen bekannt. Das Land verfügt über Vorkommen an Kupfer, Eisen, Chromit und Gold, an Industrie-Mineralen, Natursteinen sowie Schmuck- und Edelsteinen.
Aus wirtschaftsgeologischer Sicht scheinen derzeit am ehesten die Kupfer- und Eisenerz-Lagerstätten des Landes interessant. An Metallen für Zukunftstechnologien verfügt Afghanistan über große Lithium-Vorkommen. Eine Gewinnung der erwähnten Rohstoffe findet allerdings, wenn überhaupt, nur in global unbedeutendem Maße statt.
Der Kleinbergbau liefert Kohle, Chromit, Baurohstoffe wie Sand und Kies, Industrieminerale wie Schwerspat und Steinsalz sowie Edel- und Schmucksteine. Im industriellen Maßstab werden bisher an mineralischen Rohstoffen nur Flussspat, Talk sowie Naturwerksteine (Marmor) gefördert. Auch hier ist die globale Bedeutung des Sektors, bis auf die Natursteine, eher untergeordnet.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wird die Bedeutung des Bergbaus in Afghanistan zunehmen?
Henrike Sievers: Bereits seit einigen Jahren ist der Bergbau in Afghanistan aufgrund der Sicherheitslage, der unzureichenden Infrastruktur und einer nicht ausreichend aufgestellten Bergbau-Verwaltung stark eingeschränkt. Er spielte daher bislang auch für die afghanische Wirtschaft eine untergeordnete Rolle. Eine nachhaltige Rohstoffgewinnung kann in Afghanistan derzeit nicht garantiert werden. Auch in der nahen Zukunft wird der wirtschaftliche Beitrag des Bergbaus gering bleiben. Nur wenn langfristig die Entwicklung industrieller Bergbauprojekte gelingt, könnten nennenswerte Einnahmen generiert werden.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Gibt es Bodenschätze in Afghanistan, die für den Weltmarkt von Bedeutung wären? Und hätte der Zugang zu ihnen auch geopolitische Relevanz?
Henrike Sievers: Global betrachtet, besitzen die afghanischen Rohstoffvorkommen keine Alleinstellung. Die Zahlen zeigen, dass es weltweit genügend vergleichbare Vorkommen gibt.
Die Kupferlagerstätte Mes Aynak ist allerdings auch in internationalem Maßstab von ihrer Größe her interessant. In Afghanistan sind etliche Kupfervorkommen bekannt, unter denen Aynak die größte Lagerstätte ist. Aufgrund der komplexen Geologie kommen im Land neben sedimentgebundenen Lagerstätten auch Kupfer-Skarn-Lagerstätten und Kupfer-Porphyre vor. Aynak liegt im Norden der Provinz Lugar, circa 35 Kilometer südöstlich von Kabul. Es handelt sich um eine stratiforme, sedimentgebundene Kupfer-Lagerstätte. In Explorationsarbeiten in den 70er Jahren wurden in der Umgebung von Aynak weitere Kupfer-Kobaltvorkommen nachgewiesen, deren Potenzial aber weitgehend unbekannt ist.
Nach Angaben der „China Metallurgical Group und Jiangxi Copper Company Ltd.“, die 2008 die Abbaurechte für 30 Jahre erhielt, enthält das Vorkommen Aynak etwa 11 Millionen Kupfer (705 Millionen Tonne Erz mit einem Gehalt von 1,56 Prozent Kupfern). Die Entwicklung des Projektes Aynak stagniert aber aufgrund von archäologischen Funden, der Sicherheitslage im Land und Uneinigkeiten über infrastrukturelle Maßnahmen. Bislang wurde kein Erz in Aynak gefördert.
Eine geopolitische Relevanz lässt sich aus dem Vorhandensein dieser Rohstoffe nicht ableiten.
Auch wenn Afghanistan zum Teil über interessante Rohstoffpotenziale verfügt, müssten die Vorkommen erst mit hohem finanziellen Aufwand erkundet werden, um abschließend bewerten zu können, wieviel Reserven dort vorhanden sind, und ob eine wirtschaftliche Gewinnung möglich ist. Die damit verbundenen vielschichtigen Risiken sind auch in der Vergangenheit nur in Einzelfällen von internationalen Unternehmen eingegangen worden.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche infrastrukturellen Voraussetzungen müssten erfüllt sein, um die afghanischen Bodenschätze gewinnbringend abbauen zu können?
Henrike Sievers: Zunächst einmal müsste eine systematische geologische Erkundung des Rohstoffpotenzials mit modernen Methoden erfolgen. Da es jedoch in Afghanistan in den letzten drei Jahrzehnten keine systematische moderne Rohstoffexploration gegeben hat, sind die tatsächlichen Mineralressourcen des Landes weitgehend unbekannt.
Zur Entwicklung der Rohstoffvorkommen müssten beträchtliche Investitionen in die Infrastruktur erfolgen. So würde zum Beispiel zur Entwicklung der Eisenerzlagerstätte Hajigak, die von einigen Quellen als größte noch nicht entwickelte Lagerstätte Asiens bezeichnet wird, eine Schwerlast-Montanbahn für den Transport von Eisenerz zu einem Hafen – wahrscheinlich in Pakistan - gebraucht, wo das Eisenerz für den Seetransport umgeschlagen würde. Der Transportweg nach zum Beispiel Karatschi dürfte rund 1.400 km betragen. Für eine Einschätzung der erforderlichen Infrastrukturkosten ist der Aufwand in etwa mit der Entwicklung der ebenfalls sehr großen Eisenerzlagerstätte Simandou in Guinea vergleichbar, wo für rund 650 Kilometer Bahnstrecke und Transportinfrastruktur rund zwei Drittel der Gesamtprojektkosten in Höhe von 20 Milliarden Dollar vorgesehen werden.
Bei dem Bau eines Stahlwerkes in Afghanistan, das der Lagerstättengröße entsprechen würde, kämen zu den Kosten der Transportinfrastruktur noch die Kosten für die Entwicklung der fehlenden Energieinfrastruktur hinzu.
Die Entwicklung der Kupferlagerstätte Aynak bewegt sich möglicherweise eher im Rahmen der Möglichkeiten von Afghanistan, da hier der Transport der Kupferkonzentrate auf den Straßen oder mit einer noch zu bauenden Normalspur-Eisenbahn möglich wäre. Auch wäre eine direkte Verhüttung von Kupferkonzentraten zu Blisterkupfer in der Nähe der Lagerstätte denkbar. Dieses Kupfer könnte vermarktet und an anderer Stelle außerhalb von Afghanistan, wo Energie günstig vorhanden ist, raffiniert werden.
Im Grunde genommen ist in Afghanistan derzeit nur der Abbau von Rohstoffen wirtschaftlich machbar, die ein hohes Wert- zu-Transportkostenverhältnis aufweisen, wie zum Beispiel Edelsteine, Gold und hochpreisige Metallrohstoffe. Aber auch dies setzt eine stabile Sicherheitslage, eine gewisse Rechtssicherheit für die Betreiber und eine funktionierende Infrastruktur voraus.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie lange würde es dauern, bis Afghanistan hierfür ausreichend erschlossen ist?
Henrike Sievers: Die Lösung der Transport- und Energie-Problematik würde Jahrzehnte dauern. Das zeigt zum Beispiel ein Blick nach Guinea und die Erschließung der dortigen Eisenerzvorkommen. Als Grundbedingung müssten Inverstoren gefunden werden, die an eine langfristige Stabilität in Afghanistan glauben. Außerdem ist zu bedenken, dass der Aufbau eines nachhaltigen Bergbau- und Rohstoffsektors auf jeden Fall Fachkräfte in allen Ebenen (Unternehmen, Betriebe, Behörden, Universitäten, etc.) benötigen würden. Eine besondere Rolle würde hierbei den Fachbehörden zukommen, deren Kapazitäten bei einer gesteigerten Rohstoffgewinnung erhöht werden müssten.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Frau Sievers, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.