Finanzen

Kein neuer „Lehman Moment“: Warum China den taumelnden Immobiliengiganten Evergrande nicht stützen wird

Lesezeit: 2 min
21.09.2021 10:45  Aktualisiert: 21.09.2021 10:45
Beobachter rechnen damit, dass die chinesische Regierung den Immobilienkonzern im Falle einer Zahlungsunfähigkeit nicht retten wird.
Kein neuer „Lehman Moment“: Warum China den taumelnden Immobiliengiganten Evergrande nicht stützen wird
Das Schild des China Evergrande Centre an der Fassade des Gebäudes. (Foto: dpa)
Foto: Katherine Cheng

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der Chef des vom Zusammenbruch bedrohten chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande hat Mitarbeitern in einem Brief Mut zugesprochen. Er sei fest davon überzeugt, dass man den „dunkelsten Moment“ überwinden könne, hieß es in dem am Dienstag anlässlich des chinesischen Mondfestes verschickten Schreiben von Vorstandschef Xu Jiayin, das von Staatsmedien verbreitet wurde.

Evergrande werde in der Lage sein, die Wiederaufnahme des Baus und der Produktion in vollem Umfang zu beschleunigen und das Hauptziel der „Sicherstellung der Übergabe von Gebäuden“ zu erreichen, um Hauskäufern, Investoren, Partnern und Finanzinstituten eine „verantwortungsvolle Antwort“ zu geben.

Evergrande hat Schulden von umgerechnet mehr als 300 Milliarden US-Dollar (256 Mrd Euro) angehäuft. Anleger befürchten einen Zahlungsausfall. Der angeschlagene Konzern muss frisches Geld auftreiben, um Banken, Zulieferer und Anleihegläubiger fristgerecht zu bezahlen. Wie der Finanzdienst Bloomberg berichtete, muss der Konzern am Donnerstag auf zwei Anleihen Zinszahlungen im Umfang von über 100 Millionen Dollar leisten. Jedoch gelte eine Nachfrist von 30 Tagen, was Evergrande weitere Zeit verschaffen könnte.

Die Angst vor einem bevorstehenden Kollaps hat den Aktienkurs von Evergrande am Dienstag erneut kräftig schwanken lassen. An der Hongkonger Börse verloren die Papiere des Konzerns in der Spitze um über sieben Prozent, holten im Verlauf des Tags aber wieder auf. Seit Anfang des Jahres haben die Aktien des Konzerns bereits mehr als 85 Prozent eingebüßt.

Kein systemisches Risiko

Der US-Ratingagentur S&P zufolge könne nicht von einer Rettung des Konzerns durch die chinesische Regierung ausgegangen werden. Peking wäre demnach nur dann zum Eingreifen gezwungen, „wenn es zu einer weitreichenden Ansteckung käme, die den Zusammenbruch mehrerer großer Bauunternehmen zur Folge hätte und systemische Risiken für die Wirtschaft darstellen würde“, so die Agentur. Eine Pleite von Evergrande allein würde jedoch wahrscheinlich nicht zu einem solchen Szenario führen, so S&P weiter.

„Wir erwarten nicht, dass staatliche Maßnahmen Evergrande helfen werden, es sei denn, die Systemstabilität ist gefährdet. Ein Rettungspaket würde die Kampagne der Regierung untergraben, dem Immobiliensektor mehr Finanzdisziplin zu verordnen“, zitiert die South China Morning Post Analysten von S&P Global Ratings.

Die chinesische Zentralbank hatte im August 2020 mehrere Regulierungsvorschriften erlassen, um eine weitere Überhitzung des Marktes und weiterhin stark steigende Schuldenstände zu unterbinden.

Der britischen Großbank Barclays zufolge können angesichts der Situation bei Evergrande keine Rückschlüsse auf den chinesischen Immobiliensektor als solches gezogen werden. „Die Bilanz von Evergrande scheint kein guter Indikator für den gesamten Immobiliensektor zu sein; seine Verbindlichkeiten sind viel schneller gewachsen als die des gesamten chinesischen Immobiliensektors. Und die Gewinnmargen von Evergrande sind über viele Jahre eingebrochen – was auch im Widerspruch zum gesamten Immobilienkomplex steht“, schrieben die Barclays-Analysten Ajay Rajadhyaksha und Jian Chang in einer Mitteilung. „Wir glauben nicht, dass das Geschäftsmodell der chinesischen Immobilienfirmen im Großen und Ganzen kaputt ist; Evergrande ist in schlechterer Verfassung als die meisten anderen, sowohl in Bezug auf die Verschuldung als auch auf das Geschäftsmodell.“

Die Citiegroup lehnt deshalb Vergleiche mit dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 ab. Die Regierung werde notfalls einschreiten, um Zeit für die Restrukturierung zu schaffen. Der Einbruch beim Aktienkurs sei eine Möglichkeit, günstig an gut im Markt positionierte Werte zu kommen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Finanzen
Finanzen Deutschland im Investitionstief: Rückgang setzt Wirtschaft unter Druck
02.05.2024

Deutschlands Attraktivität für ausländische Investitionen schwindet weiter: 2023 markiert den niedrigsten Stand seit 2013. Manche...

DWN
Politik
Politik 1.-Mai-Demonstrationen: Gewerkschaften fordern dringend Gerechtigkeit
02.05.2024

Am Tag der Arbeit kämpfen Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen. Ihre Spitzenvertreter betonten die Notwendigkeit von...

DWN
Politik
Politik Militärhistoriker Dr. Lothar Schröter im DWN-Interview: Die Folgen des Massenmords von Odessa 2014
02.05.2024

Der Militärhistoriker Dr. Lothar Schröter ordnet im DWN-Interview den Massenmord in Odessa vom 2. Mai 2014 ein. Dabei geht er auch auf...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview: Ukraine-Krieg - Zehn Jahre nach dem Massenmord von Odessa
02.05.2024

Am 2. Mai 2014 ist es in der ukrainischen Stadt Odessa zu einem Massenmord gekommen, bei dem fast fünfzig Menschen qualvoll ums Leben...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin als Geldanlage: „Das ist gleichzusetzen mit einem Besuch im Casino“
02.05.2024

Bitcoin entzweit trotz neuer Kursrekorde die Anlegergemeinschaft. Die einen halten große Stücke auf den Coin, die anderen sind kritisch....

DWN
Politik
Politik Heimatschutz: Immer mehr Bürger dienen dem Land und leisten „Wehrdienst light"
01.05.2024

Ob Boris Pistorius (SPD) das große Ziel erreicht, die Truppe auf über 200.000 Soldaten aufzustocken bis 2031 ist noch nicht ausgemacht....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Weltweite Aufrüstung verschärft Knappheit im Metallsektor
01.05.2024

Die geopolitischen Risiken sind derzeit so groß wie seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr. Gewaltige Investitionen fließen in...