Brasilien steht an einem politischen Scheideweg. Vor den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr stehen die 211 Millionen Einwohner des Landes vor der Wahl zwischen dem Sozialdemokraten Lula Da Silva (Präsident zwischen 2003 und 2010) und dem Amtsinhaber Jair Bolsonaro. Doch viele brasilianische Bürger befürchten, dass es noch vor den Wahlen zu einem Militärputsch kommen könnte.
Nach Angaben der Zeitung „The Guardian“ erklärte Bolsonaro kürzlich, dass es für ihn nur drei potenzielle Zukunftschancen gibt: verhaftet und eingesperrt werden, getötet werden – oder Präsident bleiben. Diese Aussage nährt das Gerücht über einen möglichen Militärputsch, der sich gegen Bolsonaro richten könnte. Seine Gegner behaupten hingegen, dass Bolsonaro selbst einen Militärputsch plane, um an der Macht zu bleiben.
Der brasilianische Präsident treibt sich international in die Isolation, weil er die weltweiten Corona-Maßnahmen nicht mittragen will. Bolsonaro besteht darauf, dass Corona nichts anderes als eine „kleine Grippe“ sei, hält Kundgebungen ohne Corona-Maßnahmen ab und fördert angebliche Corona-Heilmittel wie Hydroxychloroquin.
Damit machte sich Bolsonaro auch unbeliebt bei bewaffneten Banden und der organisierten Kriminalität. Brasilianische Paramilitärs, die der organisierten Kriminalität angehören, verhängten in den Vierteln, die von ihnen kontrolliert werden, Ausgangssperren. „Wenn die Regierung nicht das Richtige tut, wird es die organisierte Kriminalität tun“, heißt es in einer Pressemitteilung einer Bande in Rio de Janeiro.
„Brasilien ist in seiner vielleicht dunkelsten Stunde einem geistesgestörten Wahnsinnigen ausgeliefert. Das ist keine Übertreibung“, schrieb „Brasil Wire“.
Bolsonaro wird zunehmend eingekreist. Die Wirtschaft ist in einem schlechten Zustand, und ein Großteil der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes hat sich gegen ihn gewandt. Der Lebensstandard der Bevölkerung verschlechtert sich, da die Nahrungsmittel- und Treibstoffinflation inmitten hoher Arbeitslosigkeit zunimmt.
Wird er sein Amt verlassen, wenn er die nächste Wahl verliert? Bereits im Vorfeld der gestrigen Demonstrationen gab es Befürchtungen, die Polizei könnte zugunsten Bolsonaros meutern. Aktiven Polizeikräften ist jede politische Manifestation gesetzlich untersagt. Sie können wählen, aber es ist strengstens verboten, an einem Protest teilzunehmen oder diesen lautstark zu unterstützen.
In den vergangenen Wochen gaben mehrere Kommandeure der Reserve und Militärpolizei im Ruhestand Erklärungen ab, um die regierungsnahe Proteste und Bolsonaro zu unterstützen. Ein ehemaliger Polizeikommandant in São Paulo forderte die Veteranen der Polizei auf, Bolsonaro zu verteidigen und den „Kommunismus zu bekämpfen“.
Am besorgniserregendsten war, dass ein aktiver Polizeikommandant im Bundesstaat São Paulo, der für fünftausend Soldaten verantwortlich ist, seine „Freunde“ aufforderte, bei den Demonstrationen anwesend zu sein.
Die offensichtliche Schlussfolgerung ist, dass verschiedene Polizeiführungen bereit sind, Bolsonaro zu verteidigen. Eine frühere Studie hatte gezeigt, dass 71 Prozent der Polizisten für Bolsonaro gestimmt hatten und dass 81 Prozent weiterhin den Präsidenten unterstützten.
Was das Militär betrifft, bleibt unklar, wo es steht. Den meisten Militärs dürfte es vor allem darum gehen, ihren Ruf und ihre Privilegien zu schützen. Wenn Lula Da Silva den Militärs garantieren kann, dass er ihre Privilegien nicht antasten wird, falls er Präsident werden sollte, könnten Brasiliens Generäle Schritte gegen Bolsonaro unternehmen. Das würde spätestens dann geschehen, wenn Bolsonaros außenpolitische Isolation komplett abgeschlossen ist. Bolsonaro hat nicht die Macht, um die Militärpolizei für einen Putsch zu gewinnen.
Doch er könnte bald an einen Punkt angelangen, wo er vom Generalstab „weggeputscht“ wird. Dann würde Brasilien auch dazu übergehen, sich an die Vorgaben des WHO und des IWF bei der Pandemiebekämpfung zu halten. Doch damit nicht genug. Das Land würde vom IWF Milliarden Dollars an Corona-Hilfen erhalten, was wiederum die neue Regierung in Brasilia und die Wirtschaft stärken würde.