In den letzten Monaten sind neben den Preisen zahlreicher Metalle und Vorprodukte wie Kupfer, Aluminium, Bauholz, Zement und Plastik auch die Notierungen fossiler Brennstoffe (Erdöl, Erdgas und Kohle) in die Höhe geschossen. Die europäischen Gaspreise befinden sich auf einem Allzeithoch, und auch Kohle hat einen explosiven Preisanstieg hinter sich.
Im Kontext der letzten zehn Jahre ist die Verteuerung von Kohle äußerst bemerkenswert. Seit Jahresbeginn hat sich der Kohlepreis nahezu verdreifacht.
Droht ein Kohle-Engpass?
Muss man sich vor einer dauerhaften Versorgungskrise bei Kohle Sorgen machen? Nun, wie sich die Versorgungs-Situation entwickeln wird, weiß niemand so genau. Ein guter Anhaltspunkt sind allerdings die Erwartungen der Märkte, die sich an der Struktur der sogenannten Terminkurve ablesen lassen.
Am Terminmarkt werden Terminkontrakte (Futures) gehandelt – Zukunftsgeschäfte basierend auf einem unterliegenden Basiswert, in diesem Fall also dem Preis von Kohle. Der Preis eines Kohle-Kontrakts auf der Terminkurve entspricht dem Durchschnittspreis, zu dem für diesen Liefertermin Lieferungen am Terminmarkt vereinbart wurden.
Am Terminmarkt für fossile Brennstoffe tummeln sich sowohl Energielieferanten und Großabnehmer, die über Termin(ver)käufe schon heute einen Preis für zukünftige Lieferungen vereinbaren (und damit das Risiko sinkender beziehungsweise steigender Preise absichern), als auch Spekulanten, die überhaupt nicht an tatsächlichen physischen Lieferungen interessiert sind, sondern nur auf steigende oder fallende Preise spekulieren.
Vor allem aufgrund von Lagerkosten befindet sich die Terminkurve bei Rohstoffen wie Kohle üblicherweise in einem sogenanten "Contango" – einer steilen Terminkurve. Der Terminpreis für Lieferungen in der Zukunft liegt bei Fälligkeit dann über dem aktuellen Spotpreis.
Bei Kohle ist es momentan anders, die Terminkurve ist invers. Als Basiswert wurden hier die „NewCastle Coal Futures“ herangezogen, die an der Energie- und Rohstoffbörse ICE gehandelt werden.
Der Markt erwartet also, dass sich der Kohlepreis innerhalb eines Jahres auf einem Niveau von rund 100 Dollar einpendeln wird. Im historischen Kontext wäre das allerdings immer noch recht hoch. Zuletzt ist das Handelsvolumen bei Kohle-Futures enorm gestiegen, die Volatilität ist höher als üblich. Es ist also durchaus denkbar, dass die Terminkurve am kurzen Ende innerhalb kurzer Zeit die Richtung ändert.
Ende des Kohlezeitalters: Noch lange nicht
Engpässe in der Kohle-Versorgung bedeuten wie bei anderen Rohstoffen nicht zwingend, dass es weltweit zu wenig von diesem Rohstoff gibt. Eine Knappheit mit entsprechenden Preissteigerungen entsteht auch dann, wenn die Menge zwar vorhanden ist, aber nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aktuell impliziert die Terminkurve nur ein temporäres Versorgungsproblem, welches sich spätestens im nächsten Jahr normalisieren sollte. Würden die Marktteilnehmer erwarten, dass es langfristig eine Unterversorgung mit Kohle geben wird, würde sich das in einem Anstieg der länger laufenden Kontrakte zeigen, was hier jedoch nicht der Fall ist.
Mit einer Überversorgung ist aber genauso wenig zu rechnen. Das vermeintliche „Ende des Kohlezeitalters“ scheint noch in sehr weiter Ferne zu liegen. Der Anteil von Kohle am weltweiten Energiemix beträgt laut „Statistical Review of World Energy 2020“ knapp 30 Prozent, während erneuerbare Energien (inklusive Wasserkraft) nur auf rund 13 Prozent kommen.
Die globale Nachfrage nach dem aufgrund seiner negativen C02-Bilanz umstrittenen Energieträger ist weiterhin hoch, und insbesondere in Asien wird das sehr wahrscheinlich auch langfristig so bleiben.
Die Kohle-Knappheit ist überwiegend ein asiatisches Phänomen
In Indien, Russland und den Ländern Ostasiens sowie Südostasiens leben über 3,5 Milliarden Menschen und damit knapp die Hälfte der Weltbevölkerung. Überwiegend handelt es sich um Schwellenländer, die bei der Stromerzeugung stark auf Kohle setzen. Alleine in China, Japan, Indien, Vietnam und Indonesien befinden sich zum aktuellen Zeitpunkt – und im Widerspruch zu internationalen Klimazielen – mehr als 600 Kohleverstromungs-Anlagen mit einer Gesamtkapazität von über 300.000 Gigawatt in Planung. Nur fünf Länder planen demnach 80 Prozent der weltweiten Kohlekraftwerks-Neubauten.
Das Schlüsselland ist eindeutig China, auf das etwa die Hälfte des Jahresvolumens der globalen Steinkohle-Förderung entfällt. China ist gleichzeitig Großabnehmer und deckt zwei Drittel seines Energiebedarfs mit Kohle. Zuletzt musste aufgrund des hohen Strombedarfs der Industrie vermehrt Kohle aus dem Ausland importiert werden, was die Preise nach oben getrieben hat.
Die Regierung steuert dagegen an. Einerseits will China den Stromverbrauch in diesem Jahr ohnehin um drei Prozent senken, um strengere Klimaziele zu erreichen. Der Staat drehte der eigenen Industrie zuletzt teilweise gar den Strom ab, in großen Industriegebieten kam es zu Verbrauchsbeschränkungen und Stromausfällen. Die künstliche Stromknappheit sollte auch den Bedarf nach Kohle senken.
China will Kohlepreis mit allen Mitteln stabilisieren
Andererseits bekämpft China auch direkt die gestiegenen Energiekosten. Die staatliche Wirtschaftsplanungsbehörde setzt auf Marktinterventionen, um den Kohlepreis zu bändigen. Erst vor wenigen Tagen wurde ein offizielles Preisziel für Kraftwerks-Kohle ausgerufen, das deutlich unter dem aktuellen Marktpreis liegt. Um die Kohle-Versorgung zu stabilisieren, werden Bergbauunternehmen zur Erhöhung der Abbaumengen aufgefordert und können dabei auf finanzielle Unterstützung der Regierung zählen. Die Planungsbehörde hat außerdem zuletzt die Inbetriebnahme von 153 zuvor hauptsächlich aus Sicherheitsgründen stillgelegten Kohleminen genehmigt.
Aus Pekinger Analysten-Kreisen heißt es dazu: „"Wir gehen davon aus, dass Peking beispiellose Maßnahmen zur Entschärfung der Strom-/Kohlekrise ergreifen wird, auch wenn das Risiko von Stromrationierungen über den Winter bestehen bleibt und der Kohlepreis gegenüber dem derzeitigen Niveau weiter sinken könnte.“
Es wäre aber falsch, den jüngsten Preisrückgang als Erfolg der chinesischen Preiskontrollen zu werten. Die alleinige Ankündigung, dass Chinas Regierung den Kohlepreis auf einem gewissen Niveau festhalten möchte, ist natürlich ein bedeutendes Signal für die Marktteilnehmer. Viel relevanter sind aber die langfristigen Aussichten und da zeigt sich anhand der Terminkurve, dass es – stand heute – keine längerfristige globale Kohle-Knappheit geben dürfte.
Zumal die Preisexplosion Kohle-Produzenten einen starken Anreiz zur Ausweitung der Förderung gibt. Im bitterkalten Osten Sibiriens wird beispielsweise seit rund zehn Jahren in der gigantischen Kohlemine „Elga“ gefördert. Dort hat man es sich zum Ziel gesetzt den Jahres-Output von derzeit rund fünf Millionen Tonnen bis 2023 auf 45 Millionen Tonnen zu erhöhen – lange bevor es jüngst zum massiven Preisanstieg kam. Die Kohle-Versorgung dürfte auf lange Sicht nicht zum Problem werden.