Politik

Olaf Scholz stoppt Zertifizierung von Nord Stream 2

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Zertifizierung der deutsch-russischen Pipeline Nord Stream 2 gestoppt. Ohne diese Zertifizierung kann Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen.
22.02.2022 12:41
Aktualisiert: 22.02.2022 12:41
Lesezeit: 3 min

Die Bundesregierung stoppt vorerst das Genehmigungsverfahren für die umstrittene Pipeline Nord Stream 2. Das sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag in Berlin. Konkret zieht die Regierung einen Bericht an die Bundesnetzagentur zurück. Er habe das Wirtschaftsministerium gebeten, den bestehenden Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückzuziehen, sagte Scholz. „Das klingt zwar technisch, ist aber der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann.“ Ohne diese Zertifizierung könne Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen, betonte Scholz.

Eine Nord Stream 2-Studie bricht Licht ins Dunkel

Nach einer gemeinsamen Studie von ewi Energy Research & Scenarios in Köln und dem Europäischen Zentrum für Energie- und Ressourcensicherheit (EUCERS) am King's College London, das vom Auswärtigen Amt finanziert wurde, wird sich die Mischung der EU-Gasversorgung grundlegend verändern, da die europäische Gasproduktion rückläufig ist. Trotz eines prognostizierten Rückgangs der europäischen Gasproduktion ist die EU in der Lage, ihre Gasimporte zu diversifizieren und ihre Gassicherheit zu gewährleisten.

In der Studie heißt es, dass die EU in den kommenden 20 Jahren mehrere Optionen zur Diversifizierung ihrer Gasimporte sowohl kurzfristig als auch langfristig hat. Die Studie konzentriert sich auf die Faktoren und die wichtigsten Akteure - darunter Russland und die Türkei, die voraussichtlich die europäische Erdgas-Zukunft deutlich beeinflussen werden. Es gebe zwei wesentliche Faktoren für die EU, um eine günstige strategische Position zu erreichen. Extern sind die Verfügbarkeit alternativer Erdgasquellen und die wachsende Möglichkeit für die Einfuhr von Flüssiggas (LNG) wichtig, um einen günstigen Rahmen für einen verstärkten Wettbewerb zu schaffen. Intern könnte die EU von weiteren Fortschritten bei der Marktintegration profitieren, insbesondere durch Infrastrukturinvestitionen, die ihren hochliquiden nordwestlichen europäischen Gasmarkt mit Märkten in Süd- und Osteuropa verbinden, heißt es in der Studie.

Die rückläufige europäische Gasproduktion wird in einem bedeutenden Ausmaß durch russisches Gas ersetzt werden, das eine bedeutende Quelle für die europäische Gasversorgung bleibt. Doch auch die LNG-Importe werden sich bis 2035 mehr als verdoppeln. In diesem Zusammenhang ist die Preisstrategie von Gazprom entscheidend.

Nur wenn Gazprom eine wettbewerbsfähige Preisstrategie annimmt, könnte der russische Energie-Riese weiterhin hohe Gasexporte nach Europa gewährleisten. In einem Szenario, in dem angenommen wird, dass Gazprom eine oligopolistische Preisstrategie anwendet, würden höhere Preise die LNG-Importe erleichtern und möglicherweise den Zufluss von neuem Gas aus dem Südlichen Korridor anziehen, so dass die russischen Exporte im Vergleich zu heute sinken.

Die Preisstrategie von Gazprom bezieht sich direkt auf die Profitabilität von Nord Stream 2: Die Pipelinekapazität wird nur in einem wettbewerbsorientierten Preisstrategie-Szenario benötigt. Sollte Gazprom stattdessen oligopolistische Preise wählen, wären die russischen Exportwege in hohem Maße ausgelastet und daher würden Investitionen in Nord Stream 2 nicht wirtschaftlich sein.

Allerdings ist die Profitabilität von Nord Stream 2 auch von den Tarifen für den Gasstransit durch die Ukraine – aktuell die wichtigste Pipelinestrecke für russische Gasexporte - betroffen. Die Regierung in Kiew kann, so die Studie, die wirtschaftliche Begründung für den Bau von Nord Stream 2 zunichtemachen, indem sie die Transitgebühren durch die Ukraine senkt. Der Co-Autor der Studie, Adnan Vatansever, vom King’s College sagt, das die die Zukunft der Gas-Diversifizierung der EU von politischen Faktoren abhänge, die für die politischen Entscheidungsträger in Europa, aber insbesondere in Russland und der Türkei, äußerlich bedingt sein könnten. „Ein Großprojekt wie Nord Stream 2 kann unter der Annahme durchgeführt werden, dass die EU und Russland nicht in eine politische Krise schlittern, die bis zur Eskalation reicht“, so Vatansever.

Der Bau von Nord Stream 2 würde Deutschland zum Haupttransitland für russisches Gas und zum wichtigsten Gasdrehkreuz Europas machen. Nord Stream 2 würde mit dem Bau neuer Verbundkapazitäten in Form von Pipelines zwischen Deutschland, Tschechien und der Slowakei einhergehen. Dies würde eine erhöhte Versorgung der osteuropäischen Staaten mit russischem und nicht-russischem Gas ermöglichen.

Die USA drohten Deutschland mit Konsequenzen

Doch zuvor hatten Stimmen aus den USA die Bundesregierung gewarnt. In einem Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten sagte der neokonservative US-Geopolitiker George Friedman im Zusammenhang mit Nord Stream 2: „Deutschland kann sich durchsetzen, wenn es den nötigen Preis zahlen kann. Dieses Projekt steht nicht im Einklang mit der Mission der NATO, und Deutschland ist Mitglied der NATO. Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass der Preis nicht so hoch sein wird. Wir werden sehen, ob der Preis ,nicht so hoch‘ sein wird.“

Bereits im Jahr 2020 gab die damalige US-Regierung der umstrittenen deutsch-russischen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 trotz der Fortsetzung der Bauarbeiten keine Chance mehr. Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter teilte auf dpa-Anfrage mit, das Nord-Stream-2-Konsortium mache „eine furchtbar große Sache“ um den Bau eines 2,6 Kilometer langen Leitungsabschnitts. Es handele sich um ein „Rohr, das niemals russisches Gas transportieren wird. Wenn Nord Stream 2 das Projekt wirklich fertigstellen könnte, hätten sie es schon längst getan.“ Es sei nicht einmal klar, wer den Bau versichere. Das Unternehmen mache dazu keine Angaben.

Washington warnt vor zu großer Abhängigkeit der EU von russischem Gas und behindert das Bauprojekt seit Monaten mit Sanktionen. Auch die Ukraine und mehrere EU-Staaten in Osteuropa wollen das Projekt verhindern.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Generälin über Krieg mit Russland: Ist Lettland die Schwachstelle der NATO?
11.07.2025

NATO-Generälin Jette Albinus rechnet mit russischem Angriff auf Lettland. Der Einsatz wäre kein Afghanistanszenario – sondern ein Kampf...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs unter Druck: Sorgen um US-Zölle dämpfen Rekordlaune
11.07.2025

Nach seinem Rekordhoch gerät der DAX-Kurs zum Wochenausklang unter Druck. Drohende Zölle aus den USA und schwache Unternehmensdaten...

DWN
Politik
Politik Zölle auf Wein? Deutsche Winzer blicken mit Sorge auf mögliche US-Zölle
11.07.2025

Strafzölle in Höhe von 200 Prozent auf Weinimporte aus der EU – mit diesem Szenario hatte US-Präsident Donald Trump noch im April...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenzen: Deutschlands Pleitewelle hält an – ein Blick auf Ursachen und Folgen
11.07.2025

Die Zahl der Insolvenzen in Deutschland steigt weiter – wenn auch etwas langsamer. Trotzdem deuten aktuelle Daten auf tiefgreifende...

DWN
Politik
Politik Trump kündigt Erklärung zu Russland an – neue Dynamik oder taktisches Manöver?
11.07.2025

Ein Treffen in Malaysia, neue russische Vorschläge und Trumps Ankündigung einer großen Russland-Erklärung: Zeichnet sich eine Wende im...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs aktuell: Wichtigste Kryptowährung setzt Rekordjagd fort – was das für Anleger bedeutet
11.07.2025

Der Bitcoin-Kurs ist auf ein historisches Allzeithoch gestiegen und über die Marke von 118.000 US-Dollar geklettert. Wie geht es weiter...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenzverwalter: „Enorme Geldverbrennung“ bei Wirecard
11.07.2025

Der Anwalt Jaffé ist seit fünf Jahren mit der Sicherung des übrig gebliebenen Vermögens beschäftigt. Er fand nach eigenen Angaben im...

DWN
Finanzen
Finanzen Kupferpreis explodiert: Was Trumps Zollfantasien auslösen
11.07.2025

Eine 50-Prozent-Zollandrohung von Trump lässt den Kupferpreis durch die Decke schießen – und sorgt für ein historisches Börsenchaos....