Politik

Ukraine: "Wir kämpfen - bis zum letzten Mann, bis zur letzten Frau"

Lesezeit: 2 min
01.03.2022 16:48  Aktualisiert: 01.03.2022 16:48
Die DWN hat mit dem ukrainischen Musiker Roman Antonyuk telefoniert, der mit seiner Familie in Lwiw (Lemberg) lebt.
Ukraine: "Wir kämpfen - bis zum letzten Mann, bis zur letzten Frau"
Der Musiker Roman Antonyuk. (Foto: privat)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Roman Antonyuk ist als Sänger und Bandurist (die Bandura ist das ukrainische Nationalinstrument) "Verdienter Künstler der Ukraine". Die DWN haben mit ihm in seinem Heimatland telefoniert.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Antonyuk, wo befinden Sie sich gerade?

Roman Antonyuk: In meiner Heimatstadt Lwiw (zu Deutsch: Lemberg - Anm. d. Red.) in der West-Ukraine. Hier sind auch meine Familienangehörigen, das heißt meine Frau und unser Sohn sowie meine Mutter und Schwiegermutter.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ist der Krieg schon bis zu Ihnen vorgedrungen?

Roman Antonyuk: Nein, das ist er glücklicherweise noch nicht. In etwa 50 Kilometer Entfernung wurde ein Flughafen bombardiert, Kämpfe hat es bisher allerdings noch nicht gegeben. Allerdings haben sich pro-russische Sabotage-Gruppen in der Stadt eingenistet - übrigens nicht nur bei uns, sondern in jeder ukrainischen Stadt. Es handelt sich dabei wohl um russische als auch um ukrainische Staatsbürger. Letztere glauben der russischen Propaganda, mit der die Ukraine seit Jahren traktiert wird. Aber auch wenn die russische Armee noch nicht bis zu uns vorgedrungen ist, bereiten wir uns auf einen Angriff vor. So werden beispielsweise überall in der Stadt Barrikaden errichtet. Wir sind bereit, uns zu verteidigen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was werden Sie tun?

Roman Antonyuk: Ich bin Künstler, also ein Mensch, der Schönes schafft, kein Mensch, der zerstört. Aber dennoch werde ich kämpfen - auch wenn ich über keine militärische Ausbildung verfüge. So gut wie jeder meiner Landsleute kämpft oder wartet darauf, in den Kampf zu ziehen. Sie alle stehen Seite an Seite mit den regulären Streitkräften: Männer und Frauen jeden Alters, Schwangere, auch Intellektuelle und Künstler wie ich, denen das Kriegshandwerk eigentlich fremd ist. Ich stehe in Kontakt mit einem Opernsänger und dem Leiter eines Orchesters in Kiew. Sie kämpfen ebenfalls - obwohl sie teilweise zwei bis drei Nächte nicht geschlafen haben.

Es ist die Hölle. Ich weiß nicht, ob ich diese Menschen je wiedersehen werde. Aber alle tun heldenhaft ihre Pflicht - das ganze Volk tut es. Wir werden uns verteidigen, bis zur letzten Patrone. Bis zum letzten Mann, bis zur letzten Frau.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie gut sind Sie über die Ereignisse im Land informiert?

Roman Antonyuk: Wir informieren uns über die Medien, wir telefonieren mit Verwandten, Freunden und Bekannten. Der Generalstabschef hat bekannt gegeben, dass Putin den Einsatz von Atomwaffen angedroht hat. Ob er diese Drohung wahrmacht, weiß - außer ihm - allein Gott.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Fühlen Sie sich vom Ausland unterstützt oder eher alleingelassen?

Roman Antonyuk: Wir werden vom Ausland unterstützt, und dafür sind wir sehr dankbar. In den angrenzenden Ländern herrscht eine große Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen. Fast alle dieser Flüchtlinge sind übrigens Frauen mit ihren Kindern; die Männer sind in der Ukraine geblieben, um ihre Heimat zu verteidigen. Ich bitte das Ausland, uns zusätzliches Material zu senden. Wir benötigen Helme, Schutzwesten und medizinisches Versorgungsmaterial. Ich denke, wir brauchen auch Waffen, aber ich bin kein militärischer Experte - das wissen andere besser als ich.

Die Bundesregierung hat zunächst gezögert, uns zu helfen - die Abhängigkeit vom russischen Gas ist eben sehr groß. Aber mittlerweile haben wir auch aus Deutschland Waffen erhalten.

Persönlich bin ich überwältigt von der Anteilnahme, die mir aus Deutschland entgegenschlägt. Meine deutschen Freunde sind sehr besorgt um meine Familie und mich; sie alle wollen wissen: Wie können wir Dir helfen? Das erfüllt mich mit großer Dankbarkeit.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Gefühle hegen Sie gegenüber Russland?

Roman Antonyuk: Dies ist ein Krieg der Systeme. Zwischen Demokratie und Autokratie; zwischen einem Volk, das frei sein will auf der einen und Putin und Lukaschenko auf der anderen Seite.

Aber ich habe nichts gegen die russischen Soldaten. Sie werden verheizt in einem sinnlosen Krieg. Die russischen Mütter und Frauen wissen nicht, wo ihre Söhne und Männer sind, sie erfahren nichts von ihrem Schicksal. Ich kann russisches Fernsehen über Satelliten empfangen, dort wird immer nur von „unseren Helden“ gesprochen. Von Verlusten hört man kaum etwas (das russische Verteidigungsministerium bestätigte vergangenen Sonntag, den 27. Februar, zum ersten Mal, dass die eigenen Truppen Verluste erlitten hätten - Anm. d. Red.).

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Antonyuk, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und wünschen Ihnen und Ihrer Familie alles Gute.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Yulin Delegation - Erfolgreich veranstaltetes Wirtschafts- und Handelsaustauschtreffen in Berlin

Am 25. April 2024 organisierte eine Delegation aus der chinesischen Stadt Yulin ein erfolgreiches Wirtschafts- und Handelsaustauschtreffen...

DWN
Politik
Politik 1.-Mai-Demonstrationen: Gewerkschaften fordern dringend Gerechtigkeit
02.05.2024

Am Tag der Arbeit kämpfen Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen. Ihre Spitzenvertreter betonten die Notwendigkeit von...

DWN
Politik
Politik Militärhistoriker Dr. Lothar Schröter im DWN-Interview: Die Folgen des Massenmords von Odessa 2014
02.05.2024

Der Militärhistoriker Dr. Lothar Schröter ordnet im DWN-Interview den Massenmord in Odessa vom 2. Mai 2014 ein. Dabei geht er auch auf...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview: Ukraine-Krieg - Zehn Jahre nach dem Massenmord von Odessa
02.05.2024

Am 2. Mai 2014 ist es in der ukrainischen Stadt Odessa zu einem Massenmord gekommen, bei dem fast fünfzig Menschen qualvoll ums Leben...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin als Geldanlage: „Das ist gleichzusetzen mit einem Besuch im Casino“
02.05.2024

Bitcoin entzweit trotz neuer Kursrekorde die Anlegergemeinschaft. Die einen halten große Stücke auf den Coin, die anderen sind kritisch....

DWN
Politik
Politik Heimatschutz: Immer mehr Bürger dienen dem Land und leisten „Wehrdienst light"
01.05.2024

Ob Boris Pistorius (SPD) das große Ziel erreicht, die Truppe auf über 200.000 Soldaten aufzustocken bis 2031 ist noch nicht ausgemacht....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Weltweite Aufrüstung verschärft Knappheit im Metallsektor
01.05.2024

Die geopolitischen Risiken sind derzeit so groß wie seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr. Gewaltige Investitionen fließen in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nachhaltigkeit als Schlüsselfaktor für Unternehmenserfolg
01.05.2024

Die Studie „Corporate Sustainability im Mittelstand“ zeigt, dass der Großteil der mittelständischen Unternehmen bereits Maßnahmen...