Politik

Rückblick: DWN-Interview mit George Friedman über Deutschland und Russland

Vor genau zwei Jahren hatte sich der US-Geopolitiker George Friedman in einem DWN-Interview über Nord Stream 2, ein mögliches deutsch-russisches Bündnis und den deutschen Anti-Amerikanismus geäußert. Erst seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs ergeben seine Antworten einen Sinn.
03.03.2022 11:50
Aktualisiert: 03.03.2022 11:50
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Rückblick: DWN-Interview mit George Friedman über Deutschland und Russland
Der US-Geopolitiker George Friedman. (Foto: G.Friedman) Foto: HAJNAL ANDRAS www.hajnalandras.h

Die DWN sprachen im Jahr 2020 mit dem US-amerikanischen Geopolitiker George Friedman über Deutschlands Rolle in Europa. Das Interview, das angesichts des Kriegs in der Ukraine noch heute interessanter erscheint, wird unkommentiert wiedergegeben:

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Der Streit zwischen Deutschland und den USA im Zusammenhang mit Nord Stream 2 eskaliert. Die Bundesregierung ist hartnäckig, wenn es um Nord Stream 2 geht. Die USA haben bereits mit Sanktionen gedroht. Was hat Deutschland zu verlieren, wenn es auf dem Nord Stream 2-Projekt besteht? Deutschland bezieht genug Gas von Nord Stream 1 und anderen Pipelines. Nord Stream 2 ist eigentlich ein Luxusprojekt.

Anti-amerikanische Parteien zur Rechten und zur Linken in Deutschland unterstützen die Bundesregierung in der Frage um Nord Stream 2. Was ist also an dieser Pipeline so wichtig?

George Friedman: Die Frage ist, wie hoch die Kosten für Nordstream sein werden und wie hoch der Preis für Erdgas sein wird. Die Kosten für Nordstream müssen im Voraus übernommen werden, während die Einnahmen später einfließen. Parallel dazu haben die USA Erdgas über Polen zu verkaufen. Natürlich kann Deutschland die Finanzierung an den privaten Sektor weitergeben, aber ich wäre überrascht, wenn die Privatbanken im aktuellen Energieumfeld das Projekt finanzieren würden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welchem Risiko ist Deutschland dann ausgesetzt?

George Friedman: Das Risiko für Deutschland besteht also darin, eine Pipeline zu bauen, die zum aktuellen Zeitpunkt finanziert wird. Bei der ersten Konzeption war Nordstream ein hervorragendes Geschäftsangebot. Aber seitdem hat sich die gesamte Umgebung verändert. Ich vermute, dass Deutschland mit dem Druck der USA zufrieden ist, da es eine Entschuldigung dafür bieten kann, einen Deal zurückzuziehen, der nicht mehr funktioniert. Beachten Sie die intensive antirussische Stimmung, die Deutschland über die Vergiftung von Nawalny zum Ausdruck gebracht hat. Das Risiko geht also nicht mehr von den USA, sondern von der radikalen Veränderung des Marktes seit dem Abschluss des Deals aus. Zu diesem Zeitpunkt ist die Hebelwirkung, die die USA durch Russland zu befürchten haben, nicht vorhanden. Erstens gibt es andere Quellen, und am wichtigsten ist, dass Russland dringend Bargeld benötigt. Daher war es für Moskau vor fünf Jahren denkbar, Verkäufe zu blockieren. Doch das kann Russland jetzt nicht mehr machen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Hat Deutschland geheime imperiale Ambitionen?

George Friedman: Die Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, dass Deutschland Russland unbedingt braucht. Deutschland und Russland sind keine Feinde, sondern Freunde. Die USA werden jedoch als Bedrohung angesehen. Was denken Sie? Sind diese Gedankengänge sinnvoll?

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sind die Deutschen anti-amerikanisch eingestellt?

George Friedman: Die deutsche Öffentlichkeit hatte immer einen latenten Antiamerikanismus, an den ich mich in den 1980er Jahren erinnere. Der vernünftige Grund, warum Deutschland Russland braucht, liegt darin, einen Hebel gegenüber den USA zu haben. US-Truppen werden in Polen gegen einen möglichen russischen Schritt eingesetzt, daher wollen die USA Deutschland nicht zu nahe an Russland heranlassen. Ich denke, dass die deutschen politischen Entscheidungsträger dies als wichtigen Verhandlungschip mit den USA nutzen. Die Stimmung in der Öffentlichkeit und die Berechnung der Regierung erreichen also aus sehr unterschiedlichen Gründen den gleichen Punkt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie, Herr Friedman, sind unter den Deutschen besonders unbeliebt, weil Sie vor einigen Jahren gesagt haben, die USA hätten immer versucht, ein Bündnis zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Diese Offenbarung hat viele Deutsche wütend gemacht. Was denken Sie darüber? Haben Sie immer noch die gleiche Meinung? Ist das noch das US-Ziel?

George Friedman: Dies war keine Offenbarung, sondern eine Wiederholung des grundlegenden Zwecks der NATO. Eine russisch-deutsche Entente würde Europa dominieren, die Gründe für die NATO beenden und das genaue Ergebnis erzielen, das die USA sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch im Kalten Krieg verhindern wollten. Es gab eine Zeit, in der Deutschland diese Sichtweise auf Russland teilte. Es wurde also nichts enthüllt, außer der bekannten Absicht sowohl Deutschlands als auch der USA.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Könnten die USA scheitern?

George Friedman: Natürlich können die USA scheitern. Deutschland ist ein souveränes Land, aber in Wahrheit vertrauen die Russen weder den Deutschen noch die Deutschen den Russen. Das hat historische Gründe. Aber wir werden sehen, was Deutschland tut, wenn Russland aggressiver wird, was aktuell der Fall ist. Der wichtige Punkt ist, dass meine Ansicht keine Offenbarung von irgendetwas war, sondern das gemeinsame Verständnis zwischen Deutschland und den USA. Es gibt hier keine Geheimnisse.

Dr. George Friedman ist der Gründer und Vorsitzende von Geopolitical Futures, einer Publikation, die Trends im internationalen System analysiert und prognostiziert.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Government Pension Fund Global: Norwegens Ölfonds trotzt den USA
08.09.2025

Der Government Pension Fund Global (GPFG) sorgt für Streit: Nach dem Ausschluss von Caterpillar und israelischen Firmen drohen die USA mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Autozulieferer unter Druck: Stellenabbau bei Bosch, Conti, ZF – Autobranche kämpft ums Überleben
08.09.2025

Die deutsche Autobranche steckt in einer existenziellen Krise. Auftragseinbrüche, Milliardeninvestitionen in E-Mobilität und massiver...

DWN
Finanzen
Finanzen Wölfe der Wall Street: US-Börsen zwischen Rekorden und Unsicherheiten – steigt der Goldpreis auf 5.000 Dollar?
08.09.2025

Die US-Börsen schwanken zwischen Euphorie und Risiko: Rekorde bei S&P 500 und Nasdaq treffen auf Sorgen um Fed-Unabhängigkeit und...

DWN
Politik
Politik Höhere Beitragsbemessungsgrenzen: Sozialbeiträge werden für Beschäftigte 2026 spürbar steigen
08.09.2025

Die schwarzrote Koalition will die Beitragsbemessungsgrenzen für Rente, Pflege und Krankenversicherung anheben – mit der Begründung,...

DWN
Politik
Politik EU-Asylagentur: Deutschland bei Asylanträgen nicht mehr führend
08.09.2025

Seit mehr als zehn Jahren lag Deutschland bei Asylanträgen in Europa unangefochten an der Spitze. Nun übernehmen Frankreich und Spanien...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Warum Führungskräfte manchmal unlogische Entscheidungen treffen – und was zu tun ist
08.09.2025

Führungskräfte treffen oft irrationale Entscheidungen – aus Zeitdruck, Denkfehlern oder Selbstüberschätzung. Doch wer mutig ist und...

DWN
Politik
Politik Zwei Jahre nach dem Start: Wird die Regierung das Heizungsgesetz abschaffen?
08.09.2025

Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Heizungsgesetzes plant die schwarz-rote Koalition Änderungen. Zwischen Klimazielen, Förderkürzungen...

DWN
Politik
Politik USA kürzen Sicherheitshilfe für Europa – Baltikum besonders betroffen
08.09.2025

Die USA kürzen ihre Sicherheitshilfe für Osteuropa drastisch. Besonders das Baltikum gerät ins Wanken – die Hauptempfänger dieser...