Deutschland

Trotz 150 Milliarden Euro Kosten pro Jahr: Sanierungswelle für den Klimaschutz soll sozialverträglich werden

Deutschland muss sich auf eine Sanierungswelle gefasst machen, wenn es seine Klimaziele bis 2045 erreichen will. Doch kann das ohne soziale Verwerfungen funktionieren?
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11.03.2022 10:00
Lesezeit: 4 min
Trotz 150 Milliarden Euro Kosten pro Jahr: Sanierungswelle für den Klimaschutz soll sozialverträglich werden
Etwa 19,3 Millionen Häuser müssten bis 2045 renoviert werden, damit der deutsche Gebäudesektor seine Klimaziele erreicht. (Foto: dpa)

Klima-Sorgenkind Gebäudesektor

Die Erreichung des im Klimaschutzgesetz festgeschriebenen Ziels, bis 2045 vollständig klimaneutral zu werden, dürfte für Deutschland zunehmend zur Mammutaufgabe werden. 30 Prozent der CO2-Emisssionen in Deutschland gehen dabei nach Angaben des Umweltbundesamts auf den deutschen Gebäudesektor zurück.

Laut einer Studie der Denkfabrik Agora-Energiewende verfehlte der Gebäudesektor zudem im Jahr 2021 – nach 2020 schon im zweiten Jahr in Folge – die von der Politik vorgegeben Klimaziele. Damit, so der Tenor der Studie, gehe die Schere zwischen den ambitioniertesten Klimazielen der deutschen Geschichte und ihrer Umsetzung immer weiter auseinander.

Dementsprechend groß sind die Erwartungen an die neue Bundesregierung. Dabei beschränken sich diese Erwartungen nicht nur auf die Erreichung der Klimaziele. Vielmehr sollen sie auch auf sozialverträgliche Weise erreicht. Denn die Kosten der anrollenden Sanierungswelle dürften enorme Ausmaße annehmen.

So rechnete die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge) in Kiel vor, dass allein die Sanierungspläne der Ampel-Regierung etwa 3,6 Billionen Euro in 23 Jahren beanspruchen dürften. Pro Jahr wären also rund 150 Milliarden Euro nötig, um etwa 19,3 Millionen Wohngebäude klimagerecht zu sanieren.

Als handele es sich dabei nicht ohnehin schon um eine horrende Summe, fällt die Umbau-Offensive der Ampel auch noch in eine Zeit, in der Wohn- und Mietkosten zunehmend ansteigen. Erstere nicht zuletzt aufgrund der deutschen Energiepolitik, die das Land – den Atom- und Kohleausstieg vor Augen – von russischem Erdgas abhängig gemacht hat.

Die Umbau-Offensive der Ampel – ein Husarenstück?

Unter diesen Umständen lässt sich das Anliegen der deutschen Bundesregierung, die Klimaziele im Bausektor auf sozialverträgliche Weise zu erreichen, bei Erfolg mit Fug und Recht als Husarenstück bezeichnen. Ein Vorhaben, das zwar einerseits in der Tat einen großen technologischen und baupolitischen Fortschritt bedeuten könnte, andererseits aber auch das Risiko enormer sozialer Spannungen birgt.

Dieses Risiko hatten sicherlich auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Deutsche Mieterbund (DMB) bedacht, als sie jüngst ihr „Sofortprogramm für Klimaschutz und bezahlbares Wohnen“ veröffentlichten. Das Hauptanliegen ihres Forderungskatalogs lautet nämlich: Soziale und klimapolitische Fragen müssten zusammen gedacht und die Kosten der Sanierungswelle – genauso wie der CO2-Preis – gerecht zwischen Eigentümern und Mietern aufgeteilt werden.

Dabei argumentieren die DUH und der DMB nicht bloß „aus sozialer und klimapolitischer Perspektive“, sondern verweisen zurecht auch auf sicherheitspolitische Gesichtspunkte: die Abhängigkeit von fossiler Energie müsse beendet werden. Dass dabei die Abhängigkeit fossiler Energien im Grunde mit der Abhängigkeit von russischem Erdgas gleichgesetzt und die gegenwärtige energiepolitische Lage Deutschlands so als alternativlos präsentiert wird, dürfte im Ausland, gerade im osteuropäischen Ausland, bestenfalls mit einen Kopfschütteln quittiert werden.

Dennoch bietet das Sofortprogramm einige diskussionswürdige Ansätze und legt oft, mal mehr und mal weniger gewollt, den Finger in die zahlreichen Wunden der Sanierungspläne der Ampelkoalitionäre.

Staat soll tief in die Tasche greifen – und könnte es trotzdem mit Image-Problemen zu tun kriegen

So fordern die DUH und der DMB, dass die Bundesregierung die „Mittel für klimafreundliches Bauen und Sanieren als auch die Förderung des sozialen Wohnungsbaus“ deutlich erhöht und langfristig sichert, um Planbarkeit zu gewährleisten. „Alles andere wäre vor dem Hintergrund der angespannten Wohnungsmärkte nicht vermittelbar“ – anders formuliert: die Autoren des Sofortprogramms wissen, dass die angedachten Sanierungsmaßnahmen der Bundesregierung durchaus mit Image-Problemen zu kämpfen haben dürften.

In Zeiten steigenden Kostendrucks für Mieter – und nirgendwo in der EU gibt es so viele Mieter wie in Deutschland – groß angelegte, kostspielige Sanierungsprojekte durchzuführen, kann einem Spiel mit dem Feuer gleichen. Vor einer solchen Entwicklung warnte auch Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang. So sei es denkbar, dass Extremisten nach Ende der Pandemie auf das Thema Klimaschutz umsatteln könnten: „Eine Intensivierung staatlicher Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels könnte als unrechtmäßig empfunden und abgelehnt werden."

Neben umfassenden Investitionen der öffentlichen Hand, sollen sieben weitere Maßnahmen für die Sozialverträglichkeit der Ampelpläne sorgen. So sollen Mieter, die in unsanierten Gebäuden wohnen, vollständig vom CO2-Preis befreit werden. Die Stromsteuer soll auf ein EU-Minimum abgesenkt werden. Darüber hinaus sollen Mieter vor sogenannten Luxussanierungen geschützt werden, indem nur noch solche Maßnahmen umgelegt werden könnten, die zur Energiekosteneinsparungen beitragen. Außerdem sollen flächendeckend Energiebedarfsausweise eingeführt, Mietern verpflichtende Informationen zu Sanierungskosten zur Verfügung gestellt und Mindest-Effizienzstandards eingeführt werden.

Geradezu sinnbildlich für die Probleme des Unterfangens steht dabei die Forderung eines Systemwechsels im Hinblick auf die Modernisierungsumlage: Um die finanzielle Last für Mieter zu senken, solle einerseits die Modernisierungsumlage auf vier Prozent oder weniger abgesenkt werden und dürfe andererseits die Miete aufgrund energetischer Sanierungen um nicht mehr als 1,50 Euro pro Quadratmeter steigen. Denn: Selbst, wenn die Bundesregierung der Forderung überhaupt in diesem Ausmaße nachkommen würde, dürfte sogar diese scheinbar sozialverträgliche Begrenzung gerade einkommensschwache Haushalten dennoch ein beträchtliches Loch in die Kasse schneiden.

Sanierungs-Offensive der Bundesregierung hat ein großes Problem

Überhaupt scheint die Sanierungs-Offensive der Bundesregierung, die laut Expertenmeinungen den Bürgern schon dieses Jahr ins Haus stehen dürfte, ein großes Problem zu haben: Egal wo die Bundesregierung ansetzt, um ein Loch in der Klimaneutralität des Bausektors zu flicken – an anderer Stelle vermag sich dafür jederzeit ein neues finanzielles, soziales oder letztlich auch sicherheitspolitisches Loch zu öffnen. Das haben riskante Großprojekte, vor denen man sich hierzulande offenbar viel weniger scheut als im Ausland, an sich: Sie neigen dazu, ihren Leitern mehr Problemlösungskompetenz zuzumuten, als diese überhaupt in Stellung bringen können.

Und egal welche Gruppe sich am Ende als die gelackmeierte herausstellt: Immobilienbesitzer – deren Eigentumsrechte in der öffentlichen Debatte ohnehin kaum mehr eine Rolle zu spielen scheinen, was wiederum langfristig zu Bau- und Investitionshemmungen führen könnte – oder Mieter – die inzwischen ohnehin schon von allen Seiten mit Preiserhöhungen traktiert werden. Dass der Bundesregierung ihr Husarenstück reibungslos gelingen könnte, ist eine mindestens gewagte Annahme.

Schließlich stellt sich sogar die Frage, ob der Mieterbund und die Umwelthilfe der Bundesregierung letzten Endes nicht die Quadratur des Kreises abverlangen, wenn sie innerhalb der Bevölkerung Hoffnungen auf eine Vereinbarkeit von Sozial- und Klimapolitik im Bausektor säen, denen die Ampelkoalition schlimmstenfalls nicht nachkommen kann. Eine solche Unfähigkeit könnte nachhaltige Vertrauensverluste mit sich bringen, gerade in Krisenzeiten.

Dementsprechend sind die Einsätze dieses Großprojekts sehr hoch, genauso aber auch die potenziellen Gewinne: Deutschland könnte innerhalb der EU zum Vorreiter in klimafreundlicher Baupolitik werden – und tatsächlich ein Stück weit Souveränität in der Energiepolitik zurückgewinnen. Ob die etwaigen Gewinne dann aber auch die Einsätze – und gegebenenfalls auch Verluste – wirklich wert gewesen sein werden, ist noch nicht abzusehen.

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