Technologie

Anschluss der Ukraine ans europäische Stromnetz birgt Chancen und Risiken

Die Notfall-Synchronisation soll das ukrainische Stromnetz stabilisieren – bringt aber auch mögliche Nebenwirkungen mit sich.
Autor
18.03.2022 06:39
Aktualisiert: 18.03.2022 06:39
Lesezeit: 2 min
Anschluss der Ukraine ans europäische Stromnetz birgt Chancen und Risiken
Etwa 400 Millionen Kunden in 24 Ländern werden mithilfe des gemeinsamen europäischen Stromnetzes versorgt. (Foto: dpa)

Seit Mittwoch, dem 16. März, ist die Ukraine mit dem europäischen Stromnetz verbunden. Die sogenannte „Notfallsynchronisation“ erfolgte auf dringendes Ersuchen sowohl des ukrainischen Übertragungsnetzbetreibers "Ukrenergo" als auch Moldawiens. Noch Ende Februar hatte sich die Ukraine, damals nur probeweise, vom gemeinsamen Verbundnetz mit Russland und Weißrussland getrennt. Das war wenige Stunden vor Kriegsbeginn. Danach bestand seitens der Ukraine – aus nachvollziehbaren Gründen – kein Interesse mehr an einer Wiederanbindung.

Im Gegenteil - die Ukraine bat um eine Beschleunigung des ohnehin seit 2017 geplanten Synchronisationsprojekts. Diesem Gesuch wurde stattgegeben – wenn auch nur unter Vorbehalt einer 14-tägigen Übergangsfrist. Diese Frist hatte die europäische Stromnetzbetreiber-Vereinigung Entso-e erbeten, um im Falle eines frühen Erfolges der russischen Invasion nicht vorschnell gehandelt zu haben. Doch der frühe Erfolg blieb aus und Entso-e gab – nach Prüfung der technischen Machbarkeit – den Anschluss des ukrainisch-moldawischen Stromnetzes bekannt.

Die Synchronisation sei „ein bedeutender Meilenstein für die Zusammenarbeit der Stromnetzbetreiber Kontinentaleuropas mit Ukrenergo und Moldelectrica, die ihre jeweiligen Energiesysteme unter extrem schwierigen Bedingungen betreiben“, betont Entso-e und bedankt sich bei den nationalen Stromnetzbetreibern und der EU-Kommission. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kommentierte auf Twitter: „Ukraine, Moldawien und die EU: Gemeinsame Werte, gemeinsame Elektrizität und Solidarität.“

Von der Leyen heißt die Synchronisation, die „in diesen dunklen Zeiten für warme Häuser und Beleuchtung“ sorgen solle, willkommen. Doch der Anschluss des Stromnetzes sorgt auch für Bedenken. Trotz der Beteuerung seitens Entso-e, dass Studien und Maßnahmen zur Risikominderung die Beschleunigung des Vorgangs überhaupt erst ermöglicht haben, scheint ein gewisses Sicherheitsrisiko nicht ausgeschlossen.

So betont FAZ-Wirtschaftskorrespondent Andreas Mihm, dass der Anschluss zwar Sicherheit für die Ukraine bedeute, gleichzeitig aber auch mögliche Gefahren für die europäischen Stromnetze berge: „Ein plötzlicher Lastabfall im ukrainischen Netz, etwa wenn ein oder mehrere Kraftwerke in kürzester Zeit ausfielen und das Netz dort viel Strom ziehen würde, könnte in Sekundenbruchteilen zu Folgeproblemen in den angrenzenden Ländern führen, die wiederum weit bis nach Westeuropa schwappen könnten.“ Solche kritischen Lagen hätte es innerhalb des Entso-e-Netzes in den vergangenen Jahren mehrfachen gegeben - durch die Aufnahme der Ukraine würde das Risiko jetzt zusätzlich erhöht.

Auch Matthias Hauer, Wirtschaftsredakteur der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“, spricht mögliche Gefahren des Stromnetzanschlusses an. Er schreibt, ein „Vertreter eines heimischen Energieunternehmens“ hätte gegenüber der „Presse“ erklärt, der Anschluss der Ukraine an das europäische Netz könne die Gefahr von Stromausfällen und Hackerangriffen auch in der EU steigern. Laut Hauer wollen die Netzbetreiber dieser Gefahr vorbeugen, indem das ukrainische Stromnetz lediglich an das europäische „angelehnt“ wird, „ohne große Stromflüsse zu erlauben“. Auf diese Weise blieben die Risiken beherrschbar, und ein Schutzautomatismus würde die Netze im Notfall wieder voneinander entkoppeln. Dem Schutz Europas könne der Anschluss des ukrainischen Stromnetzes jedoch dienen, wenn im Zuge eines Stromausfalls in der Ukraine Atomkraftwerke vom Netz gingen und die EU in einem solchen Fall gezielt intervenieren könnte.

Potenzielle Angriffe russischer Hacker auf das Stromnetz stellen allerdings einen Faktor dar, auf den die EU – außer durch Vorkehrungen in der Cyber-Sicherheit – kaum Einfluss hat. So kam es am 23. Dezember 2015 in der Ukraine zum weltweit ersten von Hackern verursachten Stromausfall in dieser Größendimension. Rund 230.000 Ukrainer waren betroffen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik ging damals davon aus, dass eine russische Hackergruppe für die Tat verantwortlich gezeichnet hatte.

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst beschuldigte sogar die russische Regierung: Der Hackerangriff sei eine Vergeltungsaktion für eine Strommasten-Sprengung ukrainischer Aktivisten gewesen, die mutmaßlich den Handel mit der von Russland annektierten Krim hatten stören wollen. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine rückt die Gefahr von Cyberattacken zunehmend wieder ins öffentliche Bewusstsein. In einem Interview mit der US-amerikanischen Online-Plattform „Intelligencer“ unterstrich Sicherheitsexperte Anton Dahbura kürzlich jedoch, dass ein russischer Hackerangriff auf die Energieversorgung der Ukraine aufgrund des allseitigen Stillstands im Land keinen Sinn machen würde. Für Europa dürften diese Entwarnungen allerdings kaum gelten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Das Zeitalter des intelligenten passiven Einkommens: Bitcoin-Mining mit BlackchainMining

In der heutigen, sich rasant entwickelnden digitalen Wirtschaft sind Kryptowährungen wie Bitcoin nicht nur Vermögenswerte, sondern auch...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Medienkrieg: Warum Paramount Skydance das Netflix-Angebot sprengt
10.12.2025

Ein Übernahmekampf erschüttert die US-Medienbranche, weil Paramount Skydance das vermeintlich entschiedene Rennen um Warner Bros....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Volkswagen beendet Fahrzeugproduktion: Umbaupläne für Gläserne Manufaktur in Dresden
10.12.2025

Die VW-Fahrzeugproduktion in Dresden endet aus wirtschaftlichen Gründen nach mehr als 20 Jahren. Über die Zukunft des ehemaligen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Jobabbau bei BASF und Co.: Deutsche Chemie-Industrie historisch schlecht ausgelastet
10.12.2025

Teure Energie, Wirtschaftskrise und Preisdruck: Die deutsche Chemiebranche steckt in der schwierigsten Krise seit 25 Jahren. Auch 2026...

DWN
Politik
Politik Schutz vor Einschüchterung: Bundesregierung beschließt besseren Schutz vor Schikane-Klagen
10.12.2025

Die Bundesregierung schützt Journalisten, Wissenschaftler und Aktivisten künftig besser vor sogenannten Schikane-Klagen. Mit dem Vorhaben...

DWN
Finanzen
Finanzen Kapitalmarkt 2026: Mehr Börsengänge in Deutschland und Europa erwartet
10.12.2025

Mit Ottobock, TKMS und Aumovio zählen drei deutsche Börsendebüts zu den gewichtigsten in Europa im laufenden Jahr. Doch viele...

DWN
Finanzen
Finanzen Weihnachtsfeier steuerlich absetzen: So gelingt es – Tipps vom Steuerberater
10.12.2025

Viele Unternehmen möchten ihre Weihnachtsfeier steuerlich absetzen und gleichzeitig die Kosten im Blick behalten. Eine gut geplante Feier...

DWN
Politik
Politik „Reichsbürger“-Verfahren: Prinz Reuß wird zu Vorwürfen sprechen
10.12.2025

Der mutmaßliche „Reichsbürger“ Heinrich XIII. Prinz Reuß wird zu den Vorwürfen eines geplanten „Staatsstreichs“ Stellung...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KI-Blase: Warum die Rekordausgaben der Tech-Giganten zum Risiko werden
10.12.2025

Die Tech-Konzerne pumpen Milliarden in künstliche Intelligenz und treiben ihre Investitionslast auf historische Höhen. Doch aus dem...