Die EU will künftig riesige Mengen an Flüssiggas (LNG) aus den USA beziehen, um die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland zu reduzieren. Ein Deal zwischen US-Präsident Joe Biden und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht vor, dass die EU allein in diesem Jahr zusätzlich 15 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas (LNG) kauft. Langfristig soll die Menge sogar auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen. Damit könnte nach Kommissionsangaben etwa ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Russland ersetzt werden. In diesem Jahr sollen es immerhin bereits ein Zehntel sein.
«Sie wissen, dass wir unsere Abhängigkeit von Russland reduzieren wollen», erklärte von der Leyen am Freitag bei einem Auftritt mit Biden am Rande eines EU-Gipfels in Brüssel, bei dem es auch um die Abhängigkeit von russischen Energieimporten ging. Dieses Ziel könne durch Investitionen in erneuerbare Energien, aber auch durch zusätzliche Gaslieferungen, einschließlich LNG-Lieferungen, erreicht werden. Die Zusage der USA über 15 Milliarden Kubikmeter sei ein großer Schritt in die Richtung.
Für die USA ist der durch Russlands Krieg gegen die Ukraine zustande gekommene Deal sehr attraktiv, da sich die EU über ihn verpflichtet, bis 2030 große Mengen an amerikanischem LNG zu kaufen. Washington versucht bereits seit Jahren, mehr LNG auf dem europäischen Markt zu verkaufen.
Die EU war zuletzt in einer eher schlechten Verhandlungsposition. Sie will wegen des Ukraine-Kriegs so schnell wie möglich unabhängig von russischen Energielieferungen werden und russische Gasimporte bis Ende des Jahres möglichst um zwei Drittel reduzieren. Zuletzt kamen noch rund 40 Prozent des verbrauchten Gases in der EU aus Russland.
Konkret geht es bei dem Deal nach Angaben aus Kommissionskreisen darum, dass die EU und die USA die nötigen Bedingungen schaffen, damit private Unternehmen ihr LNG aus den USA nach Europa exportieren können - etwa durch die nötigen Genehmigungen oder den Aufbau von Infrastruktur. Dabei soll die Preisformel für das LNG sich unter anderem am amerikanischen Spot-Markt orientieren, wie aus einer gemeinsamen Erklärung hervorgeht. Dort können die Preise stark variieren. Aus Kommissionskreisen hieß es, die Preise sollten denen in längerfristigen Verträgen entsprechen, um Investitionssicherheit auf beiden Seiten zu ermöglichen.
LNG wird in den USA meist mittels der umstrittenen Fracking-Methode gefördert. Dabei wird unter hohem Druck eine Flüssigkeit in den Boden gepresst, um das Gestein durchlässiger zu machen und Gas oder auch Öl fördern zu können. Kritiker warnen vor umweltschädlichen Emissionen und einer möglichen Gefährdung des Grundwassers. So will etwa der US-Bundesstaat Kalifornien Fracking ab 2024 verbieten.
Besonders intensiv hatte sich zuletzt Bidens Vorgänger Donald Trump dafür eingesetzt, die Absatzchancen von LNG aus den USA auf dem europäischen Markt zu verbessern. Nach einem Deal mit dem ehemaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte Trump, die EU werde «ein sehr, sehr großer Käufer» von amerikanischen Flüssiggas sein. Zuvor hatte er mehrfach insbesondere die Einführung von Sonderzöllen auf europäische Autos angedroht.
Im Streit um den richtigen Umgang mit hohen Energiepreisen haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten derweil in einer stundenlangen Debatte verloren. Am späten Freitagnachmittag hieß es aus EU-Kreisen, dass neue Entwürfe einer Gipfelerklärung an die Delegationen der EU-Staaten verteilt und von ihnen studiert würden. In einem vor dem Gipfel ausgearbeiteten Entwurf hieß es, die EU-Kommission solle konkrete Maßnahmen gegen die hohen Strompreise vorlegen - ohne den Binnenmarkt oder die Energiewende zu gefährden.
Vor allem Spanien hatte zuvor umfangreichere Maßnahmen gefordert. So will Madrid etwa den Strompreis vom Gaspreis lösen, denn beide sind in der EU durch einen Preismechanismus gekoppelt. Auch über einen Preisdeckel wird debattiert, der neben Spanien unter anderem von Griechenland, Italien und Portugal befürwortet wird. Länder wie Deutschland und die Niederlande lehnen einen solchen Markteingriff ab. Es wird etwa befürchtet, dass Lieferanten Strom anderswo verkaufen könnten, wenn die gesetzten Preise zu niedrig sind.