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Kein Verzicht auf russisches Gas: Europa kann Putin einen Schlag versetzen, ohne sich selbst zu schaden

Daniel Gros hat eine Strategie entwickelt.
Autor
avtor
26.03.2022 11:04
Aktualisiert: 26.03.2022 11:04
Lesezeit: 3 min
Kein Verzicht auf russisches Gas: Europa kann Putin einen Schlag versetzen, ohne sich selbst zu schaden
Europa ist von russischem Gas abhängig - will aber Putins Kriegskasse nicht füllen. Was tun? Daniel Gros legt eine Strategie vor, die beide Bedingungen erfüllt. Ist sie umsetzbar? (Foto: dpa) Foto: Patrick Pleul

Angesichts der fortdauernden wahllosen Bombardierung ziviler Ziele in der Ukraine durch russische Truppen wird die Frage, ob die Europäische Union oder einzelne ihrer Mitgliedstaaten Gas-Importe aus Russland verbieten sollten, zunehmend drängender. Die USA haben diesen Schritt bereits ergriffen, doch würde ein Verbot in Europa – auf das vergangenes Jahr fast drei Viertel der russischen Erdgasexporte entfielen –Putins Kriegsanstrengungen weitaus mehr schaden.

Doch hätte ein Verbot russischer Gas-Importe zugleich möglichweise derart ernste kurzfristige wirtschaftliche Folgen für Europa, dass es (das Verbot) sich nicht aufrechterhalten ließe. Zum Glück gibt es eine andere Möglichkeit, die die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen in der EU auf ein Minimum beschränken würde: Die EU kann einen Einfuhrzoll auf russisches Gas einführen.

In normalen Zeiten würde ein derartiger Zoll gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verstoßen. Doch angesichts der russischen Aggression könnte sich die EU auf die in Artikel XXI des „Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens“ enthaltene Ausnahme zur nationalen Sicherheit berufen. Zudem erhebt Russland seit langem eine 30prozentige Ausfuhrsteuer auf Gas. Die EU kann geltend machen, dass ihr Importzoll lediglich einen Ausgleich für diese Verzerrung darstellt.

Ein zielgerichteter Zoll auf Energieträger ließe sich beinahe über Nacht umsetzen und birgt beträchtliche politische Vorteile. Er könnte das Gebot, Russland Kosten aufzuerlegen, mit der Notwendigkeit verknüpfen, sicherzustellen, dass sich die Europäer nicht hektisch um Alternativen für russische Energieträger bemühen müssen. Er könnte die Verringerung – und letztliche Überwindung – der Energie-Abhängigkeit Europas von Russland fördern. Und weil der Zoll auf EU-Ebene umgesetzt würde, wäre er ein greifbarer Beleg dafür, dass die Mitgliedstaaten in der Lage sind, gemeinsam zu handeln.

Ein Zoll auf Gas-Importe würde zudem stark dazu beitragen, die Anschuldigung zu widerlegen, dass Europa durch seine Energiekäufe Russlands Angriffskrieg finanziert. Natürlich würden diejenigen europäischen Länder, denen Alternativen zu russischem Gas zur Verfügung stehen, sofort auf andere Bezugsquellen zurückgreifen. Und jene Länder, denen diese Möglichkeit derzeit nicht offensteht, würden fürs erste zwar weiterhin russisches Gas kaufen, hätten jedoch genug Zeit, um ihre Energieversorgung in den kommenden Monaten und Jahren zu diversifizieren. Europas Nachfrage nach russischem Gas würde zunächst langsam, aber dann zunehmend schneller zurückgehen.

Hilfreich ist darüber hinaus, dass ein EU-Zoll der privaten Gas-Industrie einen starken langfristigen Anreiz bieten würde, den europäischen Staaten ein besseres Angebot zu machen. Wenn die EU deutlich macht, dass der Zoll Bestand haben wird, solange der russische Angriff auf die Ukraine andauert, würde das potenzielle Gaslieferanten weltweit motivieren, sich um neue Quellen zu bemühen oder mehr in die Ausbeutung ihrer bestehenden Vorkommen zu investieren, um in Zukunft Europa zu beliefern.

In der Zwischenzeit würde ein Zoll auf russische Gas-Importe der EU beträchtliche Einnahmen bringen. In einer Zeit hoher Kohlenwasserstoffpreise könnte ein 30prozentiger Zoll auf den Wert des russischen Gases 30 bis 50 Milliarden Euro (jährlich) in die Haushaltskassen der EU spülen.

Diese Einnahmen würden nicht nur die Unterstützung für einkommensschwache Bürger finanzieren, die von den höheren Gaspreisen besonders betroffen sind, sondern ließen sich außerdem nutzen, um die Unterstützung für die ukrainische Regierung auszuweiten und die Kosten der Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge zu bestreiten. Wenn für jeden Flüchtling etwa 5.000 Euro an Unterbringungs- und Lebenshaltungskosten anfallen und 3 bis 5 Millionen Ukrainer in der EU Schutz suchen, dann droht der Union eine Rechnung von 15 bis 25 Milliarden Euro.

Russland könnte nicht viel machen, um diesen Zoll zu vermeiden. Angesichts ihres großen Anteils an den russischen Gasexporten verfügt die EU über beträchtliche Verhandlungsmacht. Andere Kunden würden schlicht nicht genug Gas von Russland kaufen, als dass das Land die Verluste, die ihm durch einen Nichtverkauf nach Europa entstehen, ausgleichen könnte. Das gilt auch für China, das bereits erhebliche Mengen russischen Gases kauft und nicht noch abhängiger davon werden möchte.

Die wirtschaftlichen Argumente für eine Steuer auf russische Gasimporte sind klar. Da Russland 30 Prozent Ausfuhrsteuer berechnet, würden 30 Prozent Importsteuer einen vernünftigen und nachvollziehbaren Wert darstellen. Die Furcht, dass Russland die Preise einfach um 30 Prozent erhöhen würde, ist unbegründet, da Russland kaum über andere Kunden verfügt und niedrigere Gewinne akzeptieren müsste. Und selbst wenn die Preise etwas steigen würden, wären die Kosten für Europa letztlich gering, weil ja die Einnahmen aus dem Zoll in der EU verbleiben würden. Darüber hinaus könnte die Verhängung eines Zolls die Märkte beruhigen, da ihnen eine Zukunftsperspektive ohne vollständiges Verbot des russischen Gases eröffnet wird.

Dies verweist auf einen weiteren Vorteil eines zielgerichteten Gas-Zolls: Die Auswirkungen auf die Preise und die Versorgung mit Flüssiggas würden der Politik dringend benötigte Informationen hinsichtlich der mannigfaltigen Herausforderungen verschaffen, die damit verbunden sind, das europäische Gasnetz komplett von Russland abzukoppeln. Die Steuer könnte im Laufe der Zeit in Abhängigkeit von der jeweiligen politischen Lage angepasst werden.

Übrigens könnte auch auf Einfuhren russischen Öls ein Zoll verhängt werden, obwohl der Satz hierfür deutlich niedriger sein sollte als für Gas, weil sich Öl sehr viel einfacher transportieren lässt. Ein zu hoher Satz würde zur Umleitung aller russischen Exporte führen. Doch selbst ein Öl-Zoll von zehn Prozent könnte, wenn er von allen westlichen Verbündeten umgesetzt würde, beträchtliche Einnahmen bringen, die dann zur Unterstützung schutzbedürftiger Gruppen verwendet werden könnten.

Natürlich würde eine EU-Steuer auf Energie-Importe aus Russland Putin nicht dazu bewegen, seinen Krieg in der Ukraine kurzfristig aufzugeben. Er hat sich selbst in eine politische und strategische Sackgasse manövriert, aus der er sich nicht einfach zurückziehen kann.

Aber das heißt nicht, dass es sich nicht lohnt, Putins Regime möglichst stark unter Druck zu setzen, insbesondere, wenn man dadurch die eigene wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland längerfristig verringert. Europas Politiker sollten sich bei ihrem Versuch zur Einführung „intelligenter Sanktionen“ – Maßnahmen, die Russland möglichst stark weh tun und der EU möglichst wenig – vergegenwärtigen, dass ein Zoll auf Gas-Importe aus Russland die intelligenteste Sanktion von allen sein könnte.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2022.

www.project-syndicate.org

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Daniel Gros

                                                                            ***

Daniel Gros ist Direktor des europapolitischen Instituts der Università Commerciale Luigi Bocconi.

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