Deutschland

"Mit einem Bein im Blackout" - Volkswirte warnen vor Ende russischer Energie

Lesezeit: 2 min
30.04.2022 08:26  Aktualisiert: 30.04.2022 08:26
Mehrere Volkswirte warnen vor einem Stopp russischer Energielieferungen. Dieser würde für Deutschland Blackout und Rezession bedeuten.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Ein Ende russischer Energielieferungen auch an Deutschland und damit einhergehende einschneidende wirtschaftliche Auswirkungen auf die deutsche Konjunktur sind aus Sicht deutscher Volkswirte wahrscheinlicher geworden.

«Wir stehen mit einem Bein im Blackout-Szenerio», sagte Allianz-Volkswirtin Katharina Utermöhl in einer Umfrage. Damit beschreibt sie das Szenario, das eintreten würde, wenn Energielieferungen aus Russland eingestellt würden. Die Folge wäre aus ihrer Sicht ein Wirtschaftswachstum von nur noch 0,9 Prozent im laufenden Jahr und ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,4 Punkte im kommenden Jahr.

Auch Marc Schattenberg, Volkswirt und Arbeitsmarktexperte bei der Deutschen Bank Research, warnt vor der Möglichkeit des russischen Energieembargos. «Ein Stopp der Gaseinkäufe seitens der EU und Deutschlands ist bisher nicht beschlossen. Man kann aber eine Unterbrechung seitens Russlands nicht ausschließen», betonte er. Zuletzt hatte Russland den beiden EU-Ländern Polen und Bulgarien den Gashahn zugedreht.

Ähnlich sieht es die Chefvolkswirtin der staatlichen Bankengruppe KfW, Fritzi Köhler-Geib. Auch sie hält Wirtschaftswachstum in Deutschland nicht mehr für eine ausgemachte Sache. «Ohne ein Energieembargo dürfte die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr immer noch spürbar wachsen. Doch angesichts der großen Abwärtsrisiken könnte es auch anders kommen», sagte sie.

Die Gefahr fällt in eine ungünstige Zeit: Mit den unterbrochenen Lieferketten wegen Engpässen in China, der noch immer existierenden Beeinträchtigungen wegen des Kampfes gegen Corona, des Mangels an Fachkräften und der kriegsbedingten Preissteigerungen kommt ein ganzer Mix aus negativen Faktoren für die Konjunktur zusammen.

Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm aus dem Sachverständigenrat der Bundesregierung sieht Schlechtwetter für die deutsche Wirtschaft aufziehen. «Es ist zu erwarten, dass die Energiepreise auf hohem Niveau bleiben werden. Das ist längerfristig eine große Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit», sagt sie.

Es müsse nun so schnell wie möglich in die Erzeugung erneuerbarer Energien in Deutschland investiert werden. «Es müssen jetzt schnell die Investitionen getätigt werden, damit überhaupt schnell genügend Anlagen gebaut werden können», sagte Grimm. «Energiepolitik ist auch Sicherheitspolitik - das ist jetzt deutlich geworden.» Der Staat könne auch nicht dauerhaft für hohe Preise geradestehen.

Auch KfW-Expertin Köhler-Geib hält die hohen Preise für ein großes wirtschaftliches Risiko. «Die steigenden Energiepreise haben im März zu einer Rekordinflation geführt und senken die Kaufkraft», betont sie. Die Reallöhne würden in diesem Jahr aufgrund der anhaltend hohen Inflation voraussichtlich sinken. «Im vierten Quartal 2021 stiegen die tariflichen Stundenlöhne um 1,1 Prozent - bei einer Inflationsrate von 5 Prozent», so die Volkswirtin.

Allianz-Kollegin Utermöhl spricht sogar vom schärfsten Rückgang der Reallöhne seit der deutschen Wiedervereinigung. «Noch nie waren die Haushalte so pessimistisch wie jetzt. Wir erwarten einen herben Rückschlag beim Konsum», sagt sie. Mit Verzögerung werde die Problematik auch auf dem bisher weitgehend verschonten Arbeitsmarkt ankommen.

Ihr Deutsche-Bank-Kollege Schattenberg pflichtet bei: Spätestens dann, wenn es zu einer Unterbrechung russischer Gaslieferung komme, werde die positive Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt erst einmal beendet sein.


Mehr zum Thema:  

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit neuem Rekordhoch - geht es jetzt Richtung 100.000 US-Dollar?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag legt die wichtigste Kryptowährung direkt nach. Seit dem Sieg von Donald Trump bei...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Wirecard-Zivilprozess: Ein Musterkläger für 8500 Aktionäre - Kommt eine Entschädigung für Aktionäre?
21.11.2024

Holen sich Wirecard-Aktionäre jetzt eine Milliarden-Entschädigung von EY? Viereinhalb Jahre nach der Wirecard-Pleite geht es vor dem...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Ifo-Umfrage: Industrie bewertet Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit miserabel
21.11.2024

Seit 1994 hat die Industrie ihre Lage nicht mehr so schlecht eingeschätzt, sagt das ifo Institut. Im EU-Vergleich stehen deutsche...

DWN
Panorama
Panorama Finnland startet Ermittlungen zum Kabelschaden in der Ostsee
21.11.2024

Nachdem die schwedischen Behörden bereits tätig wurden, hat nun auch die finnische Kriminalpolizei Ermittlungen zu einem Kabelschaden in...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Nach vier Jahren: Castor-Transport erreicht Deutschland
20.11.2024

Nach vier Jahren hat erstmals wieder ein Castor-Transport mit hochradioaktiven Abfällen aus dem Ausland Deutschland durchquert. Der Zug,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Deutsche Bank-Aktie klettert: Einstieg bei KI-Start-up Aleph Alpha
20.11.2024

Das Heidelberger Start-up Aleph Alpha gilt als wichtiger Akteur in der deutschen KI-Branche. Jetzt investiert die Deutsche Bank in das...