Deutschland

Lebensmittelpreise explodieren: Top-Ökonomen fordern Entlastungen – Lindner dagegen

"Die Politik sollte nicht länger warten, sondern jetzt handeln, um frühzeitig soziale Härten zu vermeiden."
11.05.2022 16:02
Aktualisiert: 11.05.2022 16:02
Lesezeit: 2 min
Lebensmittelpreise explodieren: Top-Ökonomen fordern Entlastungen – Lindner dagegen
Auch im Einkaufswagen werden die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zunehmend spürbar. (Foto: dpa) Foto: Sven Hoppe

Angesichts des stärksten Anstiegs der Lebensmittelpreise seit mehr als 14 Jahren fordern Top-Ökonomen die Bundesregierung zum Handeln auf. Nahrungsmittel kosteten im April durchschnittlich 8,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch bekanntgab. Das ist der höchste Wert seit März 2008. Nahrungsmittel befeuern damit neben Energie die Inflation in Deutschland: Die gesamten Verbraucherpreise zogen im April mit 7,4 Prozent so kräftig an wie seit 1981 nicht mehr.

DIW-Präsident: "Die Politik sollte nicht länger warten, sondern jetzt handeln."

"Ich befürchte, wir haben das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht und werden einen weiteren Anstieg der Lebensmittelpreise erleben, da die Lieferketten weiterhin gestört sind", betonnte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. "Die Politik sollte nicht länger warten, sondern jetzt handeln, um frühzeitig soziale Härten zu vermeiden."

Sie sollte etwa die Leistungen für Grundsicherungsempfänger erhöhen und gleichzeitig eine Lebensmittelpauschale, ähnlich der Energiepauschale, für Menschen mit geringen Einkommen umsetzen. "Wenn sich dieses als zu bürokratisch und schwierig erweisen sollte, dann sollte die Politik den reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Grundversorgung von sieben Prozent temporär abschaffen", sagte Fratzscher. "Das würde zwar nicht nur Menschen mit geringen Einkommen helfen, hätte aber den großen Vorteil, dass es sehr schnell umgesetzt werden kann."

Lindner: Entlastungen "nicht das, was wir brauchen"

Bundesfinanzminister Christian Lindner zeigte sich zurückhaltend zu den Vorschlägen. "Da würde ich sagen, das ist nicht das, was wir brauchen", sagte der FDP-Politiker zu Forderungen nach einer dauerhaften Senkung der Mehrwertsteuer. Das wäre nicht gezielt. Daher sehe er entsprechende Vorschläge mit großer Skepsis, sagte Lindner.

Auch das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sieht Handlungsbedarf. "Tatsächlich sind viele der normalerweise günstigen Grundnahrungsmittel deutlich teurer geworden – Hackfleisch, Mehl, Nudeln, Eier, aber auch Kartoffeln", sagte dessen wissenschaftlicher Direktor Sebastian Dullien.

"Da kann schnell ein Plus beim Wocheneinkauf - auch und gerade bei Hartz-IV-Haushalten - von 20 Prozent herauskommen." Gerade bei ärmeren Rentnerinnen und Rentnern, Studierenden und Grundsicherungsempfängern sollte die Regierung daher bei den Entlastungspaketen noch einmal nachbessern.

Ende des Preisauftriebs nicht in Sicht

Erheblich teurer wurden im April etwa Speisefette und Speiseöle (+27,3 Prozent), Fleisch und Fleischwaren (+11,8 Prozent), Molkereiprodukte und Eier (+9,4 Prozent) sowie frisches Gemüse (+9,3 Prozent). "Hier werden zunehmend die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine sichtbar", betonten die Statistiker.

Der Krieg verteuerte auch Energie stark, die 35,3 Prozent mehr kostete als ein Jahr zuvor. Mit einem Aufschlag von 98,6 Prozent haben sich die Preise für leichtes Heizöl fast verdoppelt. Auch Kraftstoffe (+38,5 Prozent) und Erdgas (+47,5 Prozent) verteuerten sich merklich, ebenso Strom (+19,3 Prozent). Infolge des Anstiegs der Kraftstoffpreise wiederum steigt der Düngerpreis massiv.

Ein Ende des starken Preisauftriebs ist noch nicht in Sicht. Aktuell wollen so viele Unternehmen wie noch nie in den kommenden drei Monaten ihre Preise erhöhen, wie eine Umfrage des Münchner Ifo-Instituts ergab. "Die Inflation in Deutschland dürfte damit auch in den kommenden Monaten bei über sieben Prozent liegen", sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser deshalb voraus.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Gold und Silber auf Rekordkurs: Edelmetalle profitieren von Zinserwartungen und Geopolitik
23.12.2025

Edelmetalle rücken erneut in den Fokus der Finanzmärkte und markieren ungewöhnliche Preisbewegungen in einem zunehmend unsicheren...

DWN
Politik
Politik Mike Pompeo über China und Russland: Die wahre Bedrohung für den Westen
23.12.2025

Der frühere US-Außenminister Mike Pompeo entwirft ein Bild globaler Machtverschiebungen, in dem Abschreckung und strategische Klarheit...

DWN
Politik
Politik Nato-Chef Rutte: Wie sich ein Angriff Russlands verhindern lässt
23.12.2025

Ein Nato-Generalsekretär, der von Gefahr spricht, wählt seine Worte nicht leichtfertig. Mark Rutte zeichnet das Bild eines Russland, das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft DIHK: Wirtschaftlicher Abstieg Deutschlands rückt näher
23.12.2025

Deutschlands Wirtschaft kommt nicht vom Fleck, die Ungeduld wächst. Während Investitionen einbrechen und Arbeitsplätze verschwinden,...

DWN
Panorama
Panorama Kartoffelsalat und Würstchen: So teuer wird der Weihnachtsklassiker 2025
23.12.2025

Kartoffelsalat mit Würstchen bleibt zum Fest günstiger als im Vorjahr. Vor allem die Essig-Öl-Variante spart Geld, während regionale...

DWN
Finanzen
Finanzen Wie die Geldentwertung Gold und Bitcoin in den Vordergrund rückt
23.12.2025

Ersparnisse verlieren Jahr für Jahr an Wert. Nicht durch Zufall, sondern durch System. Warum Geldentwertung Gold und Bitcoin immer...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: US-Aktien steuern mit Gewinnen auf das Jahresende zu, Goldpreis erreicht neues Rekordhoch
22.12.2025

Die US-Aktien legten am Montag zu, wobei die drei großen Indizes den dritten Tag in Folge Gewinne verzeichneten. Gold setzte seine Rallye...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Globale Wirtschaft: Fed-Zurückhaltung bremst Wachstum und Aktienmärkte weltweit
22.12.2025

Nach der starken Rally an den Aktienmärkten mehren sich die Zweifel, ob das globale Wachstum ohne neue geldpolitische Impulse tragfähig...