Schanghai bereitet sich auf das Ende des zweimonatigen Corona-Lockdowns vor. Zur Erleichterung der mehr als 25 Millionen Einwohner haben die Behörden in der chinesischen Wirtschaftsmetropole am Dienstag damit begonnen, die Zäune um die Wohnanlagen abzubauen und Polizeibänder von öffentlichen Plätzen und Gebäuden zu entfernen, mit denen die Bewegungsfreiheit der Einwohner massiv eingeschränkt wurde. Um Mitternacht soll der rigide Lockdown dann aufgehoben wird.
Zunächst werden für etwa 22,5 Millionen Menschen in Stadtteilen mit geringem Ansteckungsrisiko die Beschränkungen gelockert. Sie müssen allerdings weiterhin Masken tragen und Versammlungen meiden. Der Verzehr von Speisen in Restaurants bleibt vorerst verboten. Die Geschäfte können mit 75 Prozent ihrer Kapazität arbeiten. Turnhallen werden später wieder geöffnet.
"Ich fühle mich ein wenig nervös", sagte der Schanghaier Joseph Mak, der im Bildungswesen arbeitet. "Es ist schwer zu glauben, dass es tatsächlich passiert." Die meisten Einwohner werden aber noch bis Mitternacht in ihren Häusern festsitzen, wie schon in den vergangenen zwei Monaten. Das Vorgehen der Behörden hat bei vielen Menschen in Schanghai zu Einkommensverlusten geführt, da sie nicht arbeiten gehen konnten. Auch der Einkauf von Lebensmitteln und der Zugang zu medizinischer Versorgung war für Millionen Menschen schwierig.
Die anhaltende Isolation hat zu für chinesische Verhältnisse seltenen Protesten in Schanghai geführt. Die Industrie und die exportorientierte Wirtschaft der Metropole wurde in Mitleidenschaft gezogen. Das ist bis nach Deutschland zu spüren, schließlich ist die Volksrepublik der wichtigste deutsche Handelspartner. Außerdem sind etwa 2000 deutsche Unternehmen in der Metropole aktiv.
Ab Mittwoch soll sich das Leben wieder einigermaßen normalisieren. Dann werden auch die Wohn-Sonderausweise abgeschafft, die den Aufenthalt im Freien auf ein paar Stunden beschränkten. Auch der öffentliche Verkehr soll wieder aufgenommen werden und die Einwohner wieder zur Arbeit gehen können. "Dies ist ein Tag, von dem wir lange geträumt haben", sagte die Sprecherin der Schanghaier Regierung, Yin Xin, vor Reportern. "Alle haben viel geopfert. Dieser Tag wurde hart erkämpft, und wir müssen ihn schätzen und schützen und das Schanghai, das wir kennen und vermissen, wieder willkommen heißen."
Es gelten aber weiter strikte Schutzmaßnahmen. Die Einwohner müssen sich alle 72 Stunden testen lassen, um öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und öffentliche Einrichtungen zu betreten. Für alle, die sich mit Corona infiziert haben, und ihre engen Kontaktpersonen gilt weiterhin eine strenge Quarantäne.
China ist die einzige große Wirtschaftsmacht, die eine Null-Covid-Politik verfolgt, um größere Ausbrüche um jeden Preis einzudämmen. Die hochgradig ansteckende Omikron-Variante kann aber jederzeit für Rückschläge sorgen, sagen Experten.
Todd Pearson, Geschäftsführer der Camel Hospitality Group, die einige Restaurants, Bars und Fitnessstudios in und um Schanghai betreibt, bleibt deshalb vorsichtig. Seine Restaurants können lediglich Auslieferungen vornehmen, die nur etwa fünf Prozent des Umsatzes einbringen. Das reiche nicht aus, um Gehälter und Miete zu zahlen. Zumindest können seine Mitarbeiter, die vor Ort geschlafen haben, um eine Arbeitsunfähigkeit wegen Quarantäne zu vermeiden, ab Mitternacht endlich nach Hause gehen. "Ich bin zuversichtlich, dass sie sich beeilen werden, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln", sagte Pearson. "Ich hoffe nur, dass dies nicht auf Kosten weiterer Ausbrüche geschieht. Ich bin mir nicht sicher, ob viele Unternehmen oder die Menschen noch viel mehr verkraften könnten."
Schanghai meldete für Montag noch 31 Fälle, nach 67 am Sonntag. Auch in ganz China gehen die Corona-Fallzahlen wieder zurück, landesweit auf zuletzt unter 200. Das Lockdown-Ende bedeutet nicht, dass die Schanghaier zu ihren alten Lebensgewohnheiten zurückkehren können. Einige Bankangestellte fürchten, dass sie ab Mittwoch wieder vollständige Schutzanzüge und Masken tragen müssen. Ein Angestellter sagte, er werde eine Grundausstattung mit zur Arbeit nehmen - für den Fall, dass ein Kollege positiv getestet wird und das Personal im Büro isoliert werden muss.
Anleger reagieren mit Zukäufen
Anleger fassen angesichts der Lockerungen neuen Mut. Wie das nationale Statistikamt am Dienstag in Peking berichtete, stieg der Einkaufsmanagerindex (PMI) für das herstellende Gewerbe im Mai von 47,4 im Vormonat auf 49,6 Punkte. Der Anstieg fiel damit etwas stärker aus, als von Bloomberg befragte Experten es erwartet hatten. Der gesonderte Einkaufsmanagerindex für die Dienstleistungsbranche überraschte ebenfalls positiv und legte von 41,9 Punkte auf 47,8 Punkte zu. Hier hatten Experten mit einem Anstieg auf lediglich 45,5 Punkte gerechnet.
Das wichtige Konjunkturbarometer liegt damit aber weiter jeweils unter der kritischen Grenze von 50 Punkten, wo erst wieder von einer Ausweitung der industriellen Aktivitäten ausgegangen wird. Der offizielle Index spiegelt vor allem die Stimmung in großen und staatlichen Unternehmen wider, die von den eingeleiteten Konjunkturmaßnahmen stärker profitieren als mittelgroße oder private Firmen.
Der Ende März begonnene Lockdown in Schanghai habe die Lieferketten vor allem im April massiv gestört, schrieb Volkswirt Hao Zhou von der Commerzbank. Da sich die Covid-Situation im Mai verbessert habe, könnten die wirtschaftlichen Aktivitäten etwas Auftrieb erhalten haben. In den kommenden Monaten bleibe der Gegenwind für die Wirtschaft aber stark, da Peking an seiner Null-Covid-Strategie festhalte.
Die Börse in Schanghai gewann ein Prozent, der CSI-300-Index in Schenzen mit den 300 wichtigsten Unternehmen des chinesischen Festlands rückte um 1,5 Prozent vor. Nach dem Rückfall im April stand damit für Mai wieder ein Zuwachs zu Buche. Für den Hongkonger Hang-Seng-Index ging es am Dienstag um 1,27 Prozent auf 21 392,12 Zähler hoch.