Politik

Risse in der Nato: USA versuchen Türkei von neuer Syrien-Invasion abzubringen

Die Spannungen zwischen den Nato-Partnern Ankara, Athen und Washington nehmen weiter zu. Nun ruft Kanzler Scholz öffentlich zur Ruhe auf.
01.06.2022 10:00
Aktualisiert: 01.06.2022 10:04
Lesezeit: 3 min
Risse in der Nato: USA versuchen Türkei von neuer Syrien-Invasion abzubringen
2016: Der damalige Vize-Präsident der USA, Joe Biden und der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan. (Foto: dpa) Foto: Turkish Presidential Press Offic

Der Außenminister der Türkei, Mevlüt Cavusoglu, hat eine geplante Invasion seines Landes im Nachbarland Syrien verteidigt. Es gebe weiterhin „Terroristen“ in Nordsyrien, die man bekämpfen müsse, sagte Cavusoglu am Dienstag. Die USA versuchten jedoch, die Türkei von dem potenziell bevorstehenden Einsatz abzubringen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte vergangene Woche mit einer neuen Militäroperation in dem Nachbarland gedroht, bei der man bis zu 30 Kilometer in syrisches Gebiet eindringen wolle.

Vergangene türkische Militäreinsätze in Syrien waren vor allem gegen die Kurdenmiliz YPG gerichtet, die Ankara als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und ebenfalls als Terrororganisation sieht. Die US-Armee hingegen arbeitet mit der YPG im syrischen Stellvertreterkrieg als Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischen Staat (IS) zusammen.

Ankara kontrolliert bereits Gebiete nahe der Grenze. Der Analyst Salim Cevik vom Centrum für Türkeistudien (Cats) in Berlin sagte, türkische Operationen im Westen Nordsyriens fänden mit russischer Zustimmung statt. Östlich des Euphrat benötige die Türkei die Zustimmung der USA und Russlands. "Erdogan sieht jetzt seine Chance, da Russland mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt ist. Seine Vetokarte in der Nato nutzt er, um die USA zu Zugeständnissen auf syrischem Boden zu drängen."

Die türkische Regierung blockiert derzeit den geplanten Beitritt Schwedens und Finnlands zur Nato, um eigene Interesse zu erpressen.

Streit mit Griechenland eskaliert

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan legt zudem im neu aufgeflammten Streit mit Griechenland nach. Er habe angewiesen, keine bilateralen Gespräche mehr mit Griechenland zu führen, sagte Erdogan am Mittwoch. Beide Seiten hatten erst im vergangenen Jahr nach fünf Jahren Unterbrechung ihre Verhandlungen wiederaufgenommen, um ihren Konflikt zu lösen, der sich vor allem um Territorialstreitigkeiten im Mittelmeerraum dreht. Diese Gespräche hatten jedoch kaum Fortschritte gebracht.

Bereits in der vergangenen Woche hatte Erdogan den Ton verschärft, als er erklärte, der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis existiere für ihn nicht mehr. Er beschuldigte Mitsotakis, bei einem Besuch in den USA versucht zu haben, den Verkauf von F-16-Kampfjets an die Türkei zu blockieren.

Kanzler Olaf Scholz forderte die Türkei auf, in dem Streit mit Griechenland Zurückhaltung zu wahren. "Der Bundeskanzler ist der Ansicht, dass gerade angesichts der aktuellen Lage es geboten ist, dass alle Verbündeten in der Nato zusammenstehen und Provokationen untereinander unterlassen", sagte ein Regierungssprecher in Berlin mit Blick auf den Ukraine-Krieg. "Das Eindringen in den griechischen Luftraum und das Überfliegen von griechischen Inseln ist nicht in Ordnung, es erscheint kontraproduktiv und entgegen dem Geist der Allianz."

Scholz habe über die jüngsten Spannungen im östlichen Mittelmeer am Rande des EU-Gipfels am Dienstag mit Mitsotakis gesprochen. Dort prüft die Türkei Möglichkeiten zur Förderung von Öl und Gas. Die fraglichen Gebiete werden jedoch auch von Griechenland beansprucht, weshalb es seit längerem Spannungen zwischen den beiden Nato-Ländern gibt. Deutschland setze sich dafür ein, "dass die offenen Fragen zwischen Griechenland und der Türkei im vertraulichen Dialog und auf Grundlage des Völkerrechts gelöst werden", sagte der Sprecher. Er betonte zugleich, "dass das Infragestellen der Souveränität von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union für uns nicht akzeptiert werden kann".

Die Türkei und Griechenland sind seit langem in einer Reihe von Fragen zerstritten, etwa in Bezug auf die Seegrenzen, die Reichweite ihrer Festlandsockel, den Luftraum und das ethnisch geteilte Zypern. Der Zypern-Streit spielt sich vor dem Hintergrund der jahrzehntealten Teilung der Insel und der Bevölkerung in griechische und türkische Zyprer ab. Die Türkei pocht auf eine Zweistaatenlösung. Der nördliche türkische Teil wird zwar von der Türkei als eigener Staat anerkannt, nicht aber von den Vereinten Nationen. Der Süden ist als eigene Republik Zypern Mitglied der EU und wird von Griechenland unterstützt.

Die Türkei drängt zudem seit längerem auf den Kauf von US-Kampfflugzeugen, was die Regierung in Washington aber bislang verweigert. Westliche Diplomaten vermuten, dass die Türkei ihre Zustimmung zum Beitritt von Schweden und Finnland zur Nato von der Lieferung der Jets abhängig macht. Bei der Aufnahme neuer Mitglieder müssen alle Nato-Länder zustimmen. Die USA hatten 2019 die geplante Lieferung von F-35-Jets an die Türkei gestoppt, nachdem das türkische Militär das russische Raketenabwehrsystem S-400 beschafft hatte. Später hatte die Türkei ihren Kaufwunsch auf F-16-Jets geändert.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie EU warnt: Reale Emissionen von Plug-in-Hybriden 5-mal so hoch wie angegeben
06.11.2025

Plug-in-Hybride gelten als umweltfreundliche Alternative, doch ihre realen CO₂-Emissionen liegen deutlich über den offiziellen Angaben....

DWN
Finanzen
Finanzen BMW-Aktie im Aufwind: Autobauer erzielt Gewinn wie prognostiziert – was Anleger jetzt wissen müssen
05.11.2025

Die BMW-Aktie legt deutlich zu, doch hinter den glänzenden Zahlen verbirgt sich mehr als nur ein starkes Quartal. Stabilisierung in China,...

DWN
Finanzen
Finanzen Aktien Frankfurt: DAX-Kurs schließt wieder über 24.000 Punkten – Anleger in Frankfurt atmen auf
05.11.2025

Nach einem turbulenten Wochenbeginn zeigt sich der DAX-Kurs überraschend robust. Trotz globaler Unsicherheiten und schwankender US-Daten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Industrie im Umbruch: Produktion wächst, Aufträge und Beschäftigung sinken
05.11.2025

Die Industrie in Europa zeigt ein uneinheitliches Bild. Einige Länder steigern ihre Produktion, während andernorts Aufträge und...

DWN
Technologie
Technologie „DeepL Agent“: Start-up DeepL startet autonomen KI-Agenten
05.11.2025

Der Kölner KI-Übersetzungsspezialist DeepL hat bislang selbst großen Tech-Konzernen erfolgreich die Stirn geboten. Nun fordert das...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Stellenabbau Mittelstand: Jedes vierte Familienunternehmen baut Jobs ab
05.11.2025

Auch bei den Familienunternehmen in Deutschland sind zunehmend Jobs in Gefahr: 23 Prozent der Unternehmer wollen in diesem Quartal...

DWN
Politik
Politik New York: Demokrat Mamdani wird Bürgermeister - eine Niederlage für US-Präsident Trump
05.11.2025

Die liberale Hochburg New York bekommt einen neuen Bürgermeister: Zohran Mamdani ist 34 Jahre alt, Muslim – und präsentiert sich schon...

DWN
Technologie
Technologie Reduzierung von CO2: Deutsche Bahn setzt erstmals Schienen aus „grünem“ Stahl ein
05.11.2025

Die Deutsche Bahn schließt einen Liefervertrag mit dem saarländischen Hersteller Saarstahl für klimafreundlich produzierte Schienen....