Politik

„Putins Bluff“: Kanzler Scholz besichtigt medienwirksam Gas-Turbine

Bundeskanzler Olaf Scholz hat heute mit einem großen Auftritt die berühmt-berüchtigte Gas-Turbine besichtigt. Er will somit „Putins Bluff“ aufgedeckt haben. Gazprom widerspricht dieser Darstellung.
03.08.2022 15:26
Aktualisiert: 03.08.2022 15:26
Lesezeit: 3 min

Lange war der Aufenthaltsort der Gas-Turbine für Nord Stream 1 unbekannt. Auch die Bundesregierung hat wochenlang dazu nicht Stellung genommen. So sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vor Kurzem, er wisse, wo die Turbine sei, sage es aber nicht.

Nun hat Kanzler Olaf Scholz der Turbine zur Chefsache erklärt und ihr einen medienwirksamen Besuch abgestattet. Dabei hat Scholz Russland indirekt vorgeworfen, Vorwände für die ausbleibenden Gaslieferungen zu nutzen. Die Turbine für die Pipeline Nord Stream 1 sei jederzeit einsetzbar und könne geliefert werden, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch bei einem Besuch des Energietechnik-Konzerns Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr. Dort ist die Maschine auf dem Weg von Kanada nach Russland zwischengelagert. Habeck ließ jetzt mitteilen, dass das Aggregat seit dem 18. Juli in Deutschland sei.

„Die Turbine ist da, sie kann geliefert werden, es muss nur Jemand sagen, ich möcht' sie haben, dann ist sie ganz schnell da“, betonte Scholz. Dem Gastransport durch Nord Stream 1 stehe dann nichts mehr im Weg. „Es ist offensichtlich, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts dem Weitertransport dieser Turbine und ihrem Einbau in Russland entgegensteht.“ Die Reduzierung der Gaslieferungen über Nord Stream 1, die Nichterfüllung der Gaslieferungsverträge habe keinerlei technische Gründe, sagte der Kanzler weiter.

Turbine von Gas-Sanktionen ausgenommen

Die Turbine sei nicht nur in perfektem Zustand, ihrer Nutzung stünden auch keinerlei Gas-Sanktionen entgegen. Man müsse sich angesichts des russischen Kriegs in der Ukraine aber bewusst sein, „dass es jederzeit irgendwelche vorgeschobenen, vorgebrachten Gründe geben kann, die dazu führen, dass irgendetwas nicht funktioniert“, sagte der Kanzler.

Scholz sagte, es gebe „erhebliche Kapazitäten bei Nord Stream 1“. Es gebe keinen Mangel an Möglichkeiten, alle Verträge, die Russland für ganz Europa geschlossen habe, mit Hilfe dieser Pipeline und der auch noch in Betrieb befindlichen Ukraine-Pipeline zu erfüllen. Nicht vergessen werden dürfe, dass es noch eine Pipeline durch Weißrussland und Polen gebe, die Jahrzehnte in Betrieb war. „Russland selbst hat entschieden, die Pipeline zu sanktionieren.“

Die Schuldfrage

Seit Juni hat Russland die Gaslieferungen über Nord Stream 1 zurückgefahren. Der Energiekonzern Gazprom begründete dies mit der fehlenden Turbine. Sie sei wichtig, um den nötigen Druck zum Durchpumpen des Gases aufzubauen. Gazprom warf seinem Vertragspartner Siemens Energy wiederholt vor, nicht die nötigen Dokumente und Informationen zur Reparatur der Maschine übermittelt zu haben. Siemens Energy wies die Vorwürfe zurück.

Russland bekräftigte seine Sicht der Dinge am Mittwoch. Die Turbine sei zwar mittlerweile in Deutschland, aber Gazprom als Eigentümer fehlten weiter notwendige Papiere, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

Siemens-Energy-Vorstandschef Christian Bruch sagte in Mülheim, dass die gewartete Turbine eigentlich erst im September zum Wiedereinbau vorgesehen war. An der Gasverdichterstation Portowaja gebe es noch ein baugleiches Ersatzteil, „was da ist, was man jetzt schon einbauen könnte“. Dies mache Gazprom aber üblicherweise nur dann, wenn das nächste Ersatzteil schon wieder im Zulauf ist. „Aus unserer Sicht ist alles vorbereitet, was geht.“ Man versuche, das Gazprom auch tagtäglich klarzumachen. „Es gibt einen Dialog mit Gazprom nach wie vor, und es gibt nach wie vor noch die Klärung der Thematiken, was denn nun eigentlich fehlt und oder nicht.“

Mit den Turbinen werden Kompressoren angetrieben, die den für den Gastransport durch die Pipeline nötigen Druck aufbauen. Nach Bruchs Angaben stehen in Portowaja für beide Nord Stream 1-Stränge neben zwei kleineren Turbinen sechs große Turbinen. „Sie brauchen fünf von solchen Turbinen, damit 100 Prozent Leistung erzeugt wird. Davon läuft heute eine. Deswegen sind wir bei 20 Prozent.“ Aus technischer Sicht könne man nicht nachvollziehen, warum keine Betriebsbereitschaft da sein sollte.

Mit seinem Besuch in Mülheim wolle er die Debatte „entmystifizieren“, sagte Scholz. Er habe sich gedacht, es wäre vielleicht ganz sinnvoll, „wenn wir uns sie mal gemeinsam anschauen, damit man sieht, es gibt sie wirklich, sie steht hier, sie ist einsatzbereit“. „Und es ist übrigens in der Welt, in der wir heute leben, etwas ganz einfaches, sie zu transportieren. Es muss nur einer sagen: Bitte schickt sie los.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen EU-Vermögensregister und Bargeldbeschränkungen: Risiko für Anleger

Das EU-Vermögensregister gehört derzeit zu den größten Risiken für Anleger. Daher ist es wichtig, sich jetzt zu überlegen, wie man...

DWN
Politik
Politik Recht auf Schutz: Gericht bestätigt Anspruch afghanischer Familie auf Visa
08.07.2025

Trotz der Einstellung des Bundesaufnahmeprogramms für gefährdete Afghanen hat das Verwaltungsgericht Berlin eine klare Entscheidung...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Urlaub wird teurer: Flugkosten steigen auch bei Billig-Airlines
08.07.2025

Fliegen vom deutschen Flughafen ist deutlich kostspieliger geworden – und das nicht nur bei klassischen Airlines. Auch...

DWN
Politik
Politik Haushaltsstreit 2025: Klingbeils Pläne, Kritik und offene Milliardenlücken
08.07.2025

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat den Haushaltsentwurf für 2025 und die Finanzplanung bis 2029 in den Bundestag eingebracht....

DWN
Unternehmen
Unternehmen VW-Konzern behauptet Spitzenposition im deutschen E-Auto-Markt
08.07.2025

Der VW-Konzern setzt im deutschen E-Auto-Markt neue Maßstäbe. Die aktuellen Zahlen zeigen eine eindrucksvolle Entwicklung – doch der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft China frisst Europas Industrie und niemand wehrt sich
08.07.2025

Chinas Staatskonzerne zerlegen Europas Industrie Stück für Stück – doch Berlin, Brüssel und Paris liefern nur leere Worte. Während...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Dow schließt Chemieanlagen: Was das für Deutschland bedeutet
07.07.2025

Der US-Konzern Dow zieht sich teilweise aus Mitteldeutschland zurück – und das hat Folgen. Standorte in Sachsen und Sachsen-Anhalt...

DWN
Politik
Politik Folgekosten in Millionenhöhe: Corona-Krise und die Schattenseite staatlicher Beschaffung
07.07.2025

Milliardenkosten, ungenutzte Schutzmasken und politische Spannungen: Die Folgen der Maskenkäufe in der Corona-Krise wirken bis heute nach....

DWN
Politik
Politik Kontrollen an der Grenze zu Polen: Grenzkontrollen jetzt beidseitig aktiv
07.07.2025

Mitten in der Urlaubszeit zieht Polen die Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland an. Reisende spüren die Auswirkungen sofort –...