Politik

Washington Post: Der Weg zum Krieg

Lesezeit: 3 min
17.08.2022 11:31
Die US-amerikanische Tageszeitung zeichnet über eine Reihe von Interviews mit Behördenvertretern aus den USA, der Ukraine sowie der EU und der NATO einzelne diplomatische Etappen bis zum Kriegsbeginn nach.
Washington Post: Der Weg zum Krieg
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj: Er hatte Angst, dass seine Regierung aus dem Weg geräumt werden würde. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Ukraine  
Russland  
USA  

Krieg in der Ukraine: Die US-amerikanische Tageszeitung Washington Post untersuchte in einer monatelangen Recherche die einzelnen Etappen des Kriegsbeginns. Dabei führten die Redakteure der Zeitung Interviews mit rund 36 hochrangigen Behördenvertretern aus den USA, der Ukraine sowie der Europäischen Union und der NATO.

Im Rahmen ihrer Untersuchung ist die Washington Post zum Ergebnis gekommen, dass die US-amerikanischen Geheimdienste in mehrere Bereiche des russischen Staatsapparates eingedrungen waren, und herausfanden, dass Wladimir Putin eine großangelegte Invasion der Ukraine vorbereitet.

Joe Biden und die Kriegspläne

Bereits im Oktober des vergangenen Jahres hatten die Berater von Joe Biden ihrem Präsidenten die Kriegspläne für eine russische Invasion Russlands der Ukraine vorgelegt. Dabei hatte der US-Geheimdienst anhand von Satellitenbildern, abgefangenen Nachrichten und menschlichen Quellen nachgewiesen, dass Putin Truppen entlang der ukrainischen Grenze zusammenzog, um die Hauptstadt Kiew und einen Großteil des Landes einzunehmen und nur einen ukrainischen Rumpfstaat im Westen zu hinterlassen.

Auch war dem Geheimdienst bekannt, dass Putin die Mittel für Militäroperationen drastisch erhöhte, während er seine Pandemiebekämpfung unterfinanziert ließ. "Wir gehen davon aus, dass sie einen bedeutenden strategischen Angriff auf die Ukraine aus mehreren Richtungen gleichzeitig planen", sagte General Mark A. Milley, Vorsitzender der Joint Chiefs, zu Biden. Diese Taktik wird als „Shock and Awe“ bezeichnet, deren Ziel es ist, durch eine oder mehrere auf Schockwirkung basierende militärische Maßnahmen den Gegner so zu verunsichern, dass es zu keinen nennenswerten Verteidigungsmaßnahmen kommt.

Keinen Grund zum Angriff geben

Weiter schreibt die Washington Post, dass jede Entscheidung über die Bewaffnung der Ukraine darauf ausgerichtet war, Russland keinen Grund auf einen Angriff der USA und die NATO zu geben. So war Biden entschlossen, die NATO-Verbündeten zu mobilisieren, ohne einen direkten Konflikt mit Russland zu riskieren. Auch wenn das zu Missbilligungen von ukrainischen Beamten führte, die die USA drängten, immer mehr und stärkere Waffen zu schicken, obwohl sie öffentlich bezweifelten, dass es zu einer Invasion kommen würde. „Ich entschuldige mich nicht für die Tatsache, dass eines unserer Ziele darin besteht, einen direkten Konflikt mit Russland zu vermeiden“, sagte Jake Sullivan, Bidens nationaler Sicherheitsberater.

CIA-Direktor William J. Burns wurde nach Moskau geschickt, um Putin von einem Büro im Kreml aus, mitzuteilen, dass sie wüssten, was er vorhabe, und machten ihn darauf aufmerksam, dass eine Invasion ernste Konsequenzen haben würde. Dabei überbrachte Burns auch ein persönliches Schreiben Bidens an den russischen Kreml-Chef, der sich zu der Zeit – während einer Corona-Welle, in der Moskau abgeriegelt wurde – in den Ferienort Sotschi zurückgezogen hatte.

Putin seinerseits beklagte sich in einer mittlerweile bekannten Tirade über die NATO-Erweiterung und die Unrechtmäßigkeit der ukrainischen Regierung und sprach sehr abfällig über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Burns hatte scheinbar nach dem Telefongespräch mit Putin den Eindruck, dass er noch keine unumkehrbare Entscheidung für eine Invasion getroffen habe, allerdings „meine Besorgnis ist gestiegen, nicht gesunken“, so Burns.

"Jungs gräbt die Gräben aus"

Hingegen sollen sich die ukrainischen Beamten bei den USA darüber beschwert haben, dass die USA sie nie über den vollen Umfang über die Einzelheiten ihrer Erkenntnisse informierten. Im November besuchten der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba und Selenskyjs Stabschef das Washingtoner Außenministerium, wo sie ein Beamter mit einer Tasse Kaffee und einem Lächeln im Gesicht und den Worten „Jungs, grabt die Gräben aus“, begrüßt haben soll.

„Als wir zurücklächelten“, so Kuleba, soll der US-Beamte gesagt haben: „Ich meine es ernst. Fangt an, Gräben zu graben…Ihr werdet angegriffen. Ein großangelegter Angriff, und Sie müssen sich darauf vorbereiten.“

Weiter befürchtete ukrainische Staatschef Selenskyj laut Washington Post, dass die NATO-Mächte eine Verhandlungslösung mit Moskau über die Ukraine suchen könnten, nachdem seine Regierung aus dem Weg geräumt worden wäre und eine vom Kreml unterstütztes Regime installiert. „Ich denke, die meisten Leute, die mich angerufen haben – nun ja, fast alle – haben nicht daran geglaubt, dass die Ukraine dem standhalten und durchhalten kann“, so Selenskyj.

Auch die Warnung an die Ukrainer, sich auf einen Krieg vorzubereiten, wie es einige Partner von ihm wollten, hätte das Land wirtschaftlich geschwächt und den Russen die Eroberung erleichtert. „Man kann in der Zukunft darüber diskutieren, ob es richtig war oder nicht“, erinnerte sich Selenskyj, „aber ich weiß definitiv und intuitiv – wir diskutierten dies jeden Tag im Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat – ich hatte das Gefühl, dass die Russen uns auf eine sanfte Kapitulation des Landes vorbereiten wollten. Und das ist beängstigend.“ (ps)


Mehr zum Thema:  

DWN
Immobilien
Immobilien Immoscout: Vorsichtige positive Signale auf dem Immobilienmarkt
19.03.2024

Stark ansteigende Kreditzinsen und Baukosten haben den Kauf eines Eigenheims für viele in den vergangenen Jahren unerschwinglich gemacht....

DWN
Finanzen
Finanzen Fundamentale Aktienanalyse - so bewertet man Wertpapiere richtig
18.03.2024

Die fundamentale Aktienanalyse ist ein unverzichtbares Instrument für jeden Investor, der Wertpapiere nicht nur verstehen, sondern auch...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Umfrage: Sehr viele Deutsche sorgen sich vor weiteren Energiepreissprüngen
18.03.2024

Die Menschen in Deutschland haben einer Umfrage zufolge Sorgen vor weiteren Energiesprüngen und allgemeinen Preissteigerungen - trotz der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Airbus-Jubiläum: 50 Jahre Linienflüge im Airbus - Boeing hat Wettkampf quasi verloren
18.03.2024

Kein Hersteller baut so gute und so viele Flugzeuge wie Airbus. Eine Erfolgsgeschichte, an die sich Frankreich und Deutschland gerade in...

DWN
Finanzen
Finanzen Bankenaufsicht: Mehrzahl der Geldinstitute kann kräftigen Gegenwind überstehen
18.03.2024

In Deutschland und Europa ist das Gros der Geldhäuser gut kapitalisiert. Die Krise an den Märkten für Büro- und Handelsimmobilien...

DWN
Technologie
Technologie Verhandelt Apple mit Google über KI-Technologie?
18.03.2024

Gibt es bald Googles KI auf Apples iPhones? Laut gut informierten Kreisen verhandelt Apple angeblich mit Google über die Integration von...

DWN
Panorama
Panorama ifo-Institut und EconPol Europe: Wirtschaftsforscher fordern mehr Energie-Zusammenarbeit in Europa
18.03.2024

Wirtschaftswissenschaftler appellieren an die EU, im Zusammenhang mit ihrer Energiepolitik aus der aktuellen Energiekrise zu lernen und mit...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeiten ohne Grenzen: Was beim Homeoffice im Ausland zu beachten ist
18.03.2024

Arbeiten über Grenzen hinweg: Ein Trend, der immer beliebter wird - und große Chancen bietet, wenn Sie steuer- und...