Deutschland

Deutschland steckt fest im Griff der Rezession

Im zweiten Quartal war die deutsche Wirtschaft noch minimal gewachsen und hatte wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. Doch nun steckt Deutschland fest in der Rezession.
25.08.2022 09:43
Aktualisiert: 25.08.2022 09:43
Lesezeit: 3 min
Deutschland steckt fest im Griff der Rezession
Container Terminal Burchardkai am Hamburger Hafen. Die Rezession in Deutschland hat längst begonnen. (Foto: dpa) Foto: Christian Charisius

Trotz des Ukraine-Krieges ist die deutsche Wirtschaft überraschend gewachsen und hat das Niveau von vor der Corona-Pandemie wieder erreicht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte zwischen April und Juni gegenüber dem Vorquartal um 0,1 Prozent zu, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Donnerstag mitteilte und damit eine Schnellschätzung revidierte. Zunächst war von einer Stagnation der Wirtschaftsleistung die Rede gewesen. Anfang des Jahres hatte sich noch ein Zuwachs von 0,8 Prozent ergeben.

"Trotz der schwierigen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat sich die deutsche Wirtschaft in den ersten beiden Quartalen 2022 behauptet", sagte Destatis-Präsident Georg Thiel. Verglichen mit dem vierten Quartal 2019, also kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, zeige sich, dass das BIP im Frühjahr erstmals wieder das Vorkrisenniveau erreichte.

Gestützt wurde die deutsche Wirtschaft dem Amt zufolge vor allem von den privaten und staatlichen Konsumausgaben. Der Wegfall nahezu sämtlicher Corona-Einschränkungen Ende März weckte laut Destatis die Reiselust.

Die Ausgaben für Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergung und Gaststätten sowie Verkehr stiegen im zweiten Quartal kräftig: "Ein noch kräftiger privater Konsum hat einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts verhindert", erläuterte der wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts IMK, Sebastian Dullien.

Und auch der Handel mit dem Ausland nahm laut Destatis insgesamt zu. Obwohl im zweiten Quartal unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine deutlich weniger Waren nach Russland exportiert wurden als zu Beginn des Jahres, meldeten die Unternehmen insgesamt stabile Exporte: Trotz der weltweit gestörten Lieferketten wurden 0,3 Prozent mehr Waren und Dienstleistungen exportiert als im ersten Quartal. Die Importe legten im Vorquartalsvergleich mit 1,6 Prozent aber stärker zu.

Deutschland im Griff der Rezession

Chefökonom Thomas Gitzel von der Liechtensteiner VP Bank verweist darauf, dass Deutschland im Euro-Zonen-Vergleich mit dem Mini-Wachstum nur im hinteren Drittel landet. Stellenweise wurden deutlich kräftigere BIP-Zuwächse verbucht - etwa in Spanien (1,1 Prozent) und Italien (1,0 Prozent).

Die deutsche Wirtschaft hat sich laut Gitzel im zweiten Quartal besser geschlagen als es die reine Wachstumszahl nahelegt: "Die inländische Nachfrage legte kräftig zu. Die Bauwirtschaft war allerdings eine kräftige Belastung. Doch mit Blick auf das laufende Quartal gilt: Die deutsche Volkswirtschaft steckt bereits in der Rezession." Die massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten kosteten Kaufkraft, gleichzeitig sei auch die Industrie mit hohen Energiekosten und noch immer fehlenden Vorprodukten belastet.

Die Bundesbank erwartet, dass die Wirtschaftsleistung im Sommer "in etwa auf der Stelle treten" wird und es im Winterhalbjahr im Zuge der Gaskrise zu einer Rezession kommen könnte. Der seit sechs Monaten andauernde russische Krieg gegen die Ukraine wird die deutsche Wirtschaft zudem noch über Jahre belasten, wie DIW-Präsident Marcel Fratzscher jüngst im Reuters-Interview sagte.

Trotz der Belastungen durch den Ukraine-Krieg und der Corona-Pandemie ist das deutsche Staatsdefizit im ersten Halbjahr stark gesunken. Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherung gaben bis Ende Juni zusammen 13,0 Milliarden Euro mehr aus als sie einnahmen, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Das Defizit entspricht 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Im ersten Halbjahr 2021 hatte der Fehlbetrag noch 75,6 Milliarden Euro betragen, was einer Defizitquote von 4,3 Prozent entsprach. Die Bundesbank rechnet auch im Gesamtjahr mit einem Defizit, das aber geringer ausfallen sollte als 2021 mit 3,7 Prozent. Grund seien die abklingenden fiskalischen Lasten durch die Corona-Krise.

Ifo-Index: Stimmung der Firmen so schlecht wie Mitte 2020

Die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft hat sich im August zum dritten Mal in Folge eingetrübt. Der Ifo-Geschäftsklimaindex fiel zwar nur minimal um 0,2 auf 88,5 Punkte, aber zugleich auf den tiefsten Stand seit Juni 2020, wie das Münchner Ifo-Institut am Donnerstag zu seiner Umfrage unter rund 9000 Führungskräften mitteilte.

"Die Unsicherheit unter den Unternehmen bleibt hoch", sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. "Die Wirtschaftsleistung dürfte im dritten Quartal schrumpfen." Die Befragten äußerten sich zu ihrer Geschäftslage und zu den Aussichten etwas skeptischer als zuletzt.

Der Ukraine-Krieg, die Inflation und die Lieferengpässe bremsen die Wirtschaft spürbar. "Eine Rezession ist nicht vom Tisch", sagte Ifo-Konjunkturexperte Klaus Wohlrabe im Reuters-Interview. "Wir gehen davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal um etwa ein halbes Prozent schrumpfen wird."

Dies sehen viele Fachleute ähnlich. "Verbraucher und Unternehmen leiden unter der Gaskrise, zumal die Konsumenten ihre Corona-Ersparnisse offenbar schon verbraucht haben", sagte Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. "Wir erwarten für das zweite Halbjahr und das erste Quartal nächsten Jahres mehr denn je eine Rezession."

Im Verarbeitenden Gewerbe blieb das Geschäftsklima unverändert, bei den Dienstleistern hellte es sich leicht auf. "Während sich im Tourismus die Stimmung etwas erholte, erwartet das Gastgewerbe eine merkliche Verschlechterung der Geschäfte." Im Handel setzte der Indikator hingegen seine Talfahrt fort.

"Viele Händler stehen vor einem Dilemma: Einerseits belasten die hohen Inflationsraten ihr Geschäft", betonte Ifo-Chef Fuest. "Andererseits kommen sie um Preiserhöhungen wegen gestiegener Kosten kaum herum." Am Bau verbesserte sich das Geschäftsklima leicht.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Politik
Politik Sondierungen zwischen CDU und SPD gehen in die nächste Runde: Das sind die Streitthemen mit Sprengkraft
06.03.2025

Union und SPD haben sich auf ein großes Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur verständigt. Doch in zentralen Streitpunkte wie...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Unternehmen verlost Prämien an Mitarbeiter ohne Krankentage
06.03.2025

Die Diskussion um den hohen Krankenstand in deutschen Unternehmen ist erneut aufgekommen. Einige sehnen sich nach der längst abgeschafften...

DWN
Immobilien
Immobilien Deutschlands herrenlose Häuser: Eine Chance für den Markt?
06.03.2025

Herrenlose Häuser und grundsätzlich herrenlose Häuser sind ein kurioses Phänomen in Deutschland. Es handelt sich hier um Gebäude oder...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB-Zinsentscheidung: Europäische Zentralbank senkt Leitzins wie erwartet – DAX kaum beeindruckt
06.03.2025

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Leitzinsentscheidung bekanntgegeben - und den Einlagenzins um 0,25 Prozentpunkte auf 2,5...

DWN
Politik
Politik Rentenerhöhung 2025: Um so viel Prozent sollen die Renten steigen
06.03.2025

Die Renten in Deutschland steigen zum 1. Juli und folgen damit den gestiegenen Löhnen. Vor den anstehenden Sondierungen mit der CDU/CSU...

DWN
Politik
Politik Nordstream: US-Investoren wollen erneut Gaspipeline übernehmen - pikante Personalie involviert
06.03.2025

US-Investoren zeigen Interesse an Übernahme von Nord Stream 2. Ein Konsortium amerikanischer Investoren führt laut der Financial Times...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Deutsche Post streicht 8000 Stellen: Sparmaßnahmen überzeugen Anleger - Dhl-Aktie macht kräftigen Sprung
06.03.2025

Die Deutsche-Post-Aktie hat im frühen Handel kräftig zugelegt. Anleger scheinen überzeugt von weitgehenden Sparmaßnahmen des Konzerns....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Zuwanderung: Deutschland unattraktiv für Fachkräfte aus anderen EU-Ländern
06.03.2025

Durch die zentrale Lage in Europa hätte Deutschland eigentlich beste Voraussetzungen, um von der Mobilität junger Fachkräften innerhalb...