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Erziehung gescheitert: Kinder werden mit Psycho-Pharmaka ruhiggestellt

Deutsche Kinder sind gefährdet: In den vergangenen Jahren sind die Verschreibungen von Antipsychotika um 41 Prozent gestiegen, obwohl die Zahl der psychischen Auffälligkeiten nicht gestiegen ist. Alarmierend: Ein Großteil der Verschreibungen kommt nicht vom Facharzt, sondern vom Hausarzt - obwohl diesem die Fachkompetenz zur Beurteilung der riskanten Medikamente oft fehlt.
25.11.2013 21:50
Lesezeit: 2 min

Deutsche Kinder werden heute in wesentlich höherem Ausmaß mit Psycho-Pharmaka behandelt als noch vor wenigen Jahren.

Niemand weiß jedoch, über der massive Einsatz dieser Medikamente gerechtfertigt ist.

Und noch weniger weiß man über die Langhzeitfolgen.

Die Zahl der diagnostizierten Kinder und Jugendlichen mit Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) etwa ist deutlich gestiegen. Und die Zahl der Verschreibungen von  Antipsychotika hat sich fast verdoppelt.

Kein Anstieg der Erkrankungen

Zwischen 2005 und 2012 sind die Verschreibungen von Antipsychotika (Neuroleptika) um 41 Prozent gestiegen, wie der aktuelle Arzneimittelreport 2013 zeigt. Medikamente, die überwiegend zur Behandlung von schwerwiegenden psychischen Störungen eingesetzt werden. Zudem strömen immer mehr neue Präparate auf den Markt (+129%). Am größten war der Anstieg bei den 10- bis 14-Jährigen.

Zwar weisen 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten auf, doch ist diese Zahl in den letzten Jahren nicht drastisch gestiegen (hier). Dies kann also nicht Ursache der steigenden Verschreibungen sein. Vielmehr ist die Aufmerksamkeit für das Thema größer geworden und eine Beurteilung durch Psychotherapeuten oder Fachärzte bleibt aus: Es wird gleich vom Haus- oder Kinderarzt zu Neuroleptika gegriffen.

Einsatz der Medikamente gefährlich

Die Zunahme der verschriebenen Neuroleptika ist vor allem auch problematisch, weil es nur für wenige der Substanzen eine Zulassung für junge Patienten gibt. Das hat zur Folge, dass „die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels außerhalb der im Rahmen der Zulassung genehmigten Anwendungsgebiete eher die Regel als die Ausnahme ist“, heißt es im Arzneimittelreport. Kinder und Jugendliche erhalten demzufolge oft Antipsychotika, die gar nicht für sie zugelassen sind. Darüber hinaus fehlen noch immer bei den meisten Präparaten Studien zu langfristigen Effekten und unerwünschten Nebenwirkungen. „Dies ist insbesondere angesichts der Tatsache, dass Antipsychotika in der Praxis oft über längere Zeiträume angewendet werden und das Gehirn in diesem Alter noch erheblichen Entwicklungen unterliegt, unbefriedigend“, so der Bericht.

Pillen statt fachärztliche Betreuung

Zu dem Anstieg der Verschreibungen von Antipsychotika tragen unter anderem die immer häufiger diagnostizierten Fälle von Kindern und Jugendlichen mit Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) bei. Hier ist die Zahl zwischen 2006 und 2011 von 2,92 auf 4,14 Prozent gestiegen. Der größte Anstieg wurde bei den 9 bis 11-Jährigen verzeichnet, so der Arztreport 2013. „Wir müssen aufpassen, dass ADHS-Diagnostik nicht aus dem Ruder läuft und wir eine ADHS-Generation fabrizieren“, bewertete der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Rolf-Ulrich Schlenker, die Entwicklung. „Pillen gegen Erziehungsprobleme sind der falsche Weg." Tatsächlich werden Antipsychotika auch bei ADHS und Angststörungen eingesetzt, obwohl es  für diese Anwendung „weder eine Indikation noch eine Leitlinienempfehlung“ gibt, so der Arzneimittelreport.

Lange Wartezeiten für eine Untersuchung beim Psychotherapeuten oder beim Facharzt können dazu führen, dass Kinderärzte eine vorschnelle Diagnose stellen und Psychopharmaka verschreiben, warnt Kay Funke-Kaiser von der Bundespsychotherapeutenkammer. Dies zeigt sich bereits im Arzneimittelreport: „Bemerkenswert ist, dass ein Großteil der Antipsychotika-Verschreibungen von Ärzten der Primärversorgung und nicht von psychiatrischen Fachärzten stammt.“ In den USA werden sogar noch mehr Psychopharmaka an Kinder und Jugendliche gegeben als in Deutschland, so Funke-Kaiser zu den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.

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