Update: Bei den jüngsten Zusammenstößen in der Ukraine ist die Zahl der Toten nach offiziellen Angaben auf 25 gestiegen. Darunter seien neun Polizisten, teilte das Gesundheitsministerium Mittwochmorgen mit.
Die meisten Opfer starben durch Schusswunden, wie Vertreter von Behörden und Opposition erklärten. Hunderte Menschen erlitten Verletzungen. Damit handelt es sich um den blutigsten Tag in der Geschichte des Landes: Seit Beginn der Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik vor mehr als 20 Jahren sind noch nie so viele Menschen durch Gewalt an einem Tag ums Leben gekommen.
Nach Tagen relativer Ruhe ist die Ukraine vom schwersten Gewaltausbruch seit dem Beginn der Proteste gegen Präsident Viktor Janukowitsch erschüttert worden. Die Sicherheitskräfte gingen mit Blendgranaten, Gummigeschossen und Wasserwerfern vor, Regierungsgegner warfen Brandsätze und Steine. Die Zusammenstöße gingen auch in der Nacht weiter. Oppositionsführer Vitali Klitschko rief Kinder und Frauen dazu auf, den besetzten, symbolträchtigen Unabhängigkeitsplatz (Maidan) im Zentrum der Hauptstadt zu verlassen. Kurz vor Mitternacht fuhr er seiner Sprecherin zufolge zu Gesprächen mit Janukowitsch ins Präsidialamt. Die Eskalation löste weltweit Besorgnis aus.
Bei den seit drei Monaten anhaltenden Protesten in Kiew hatte sich zuletzt eine Entspannung abgezeichnet. Am Morgen eskalierte die Lage jedoch, als Demonstranten an einer Polizei-Barriere auf dem Weg zum Parlament gestoppt wurden. Sie warfen daraufhin Steine und setzten Autos in Brand. Sicherheitskräfte versuchte, die Menge mit Gummigeschossen und Rauchgranaten auseinanderzutreiben. Die Regierung setzte den Demonstranten eine Frist bis zum Nachmittag, um "die Aufruhr" zu beenden. Ansonsten würden "harte Maßnahmen" ergriffen.
Am späten Abend stiegen vom Maidan Rauchsäulen von brennenden Barrikaden in den Himmel. Die Demonstranten legten Feuerteppiche, um ein Vorrücken der Polizei zu verhindern. Zwei gepanzerte Fahrzeuge fuhren in Richtung Maidan. Sie wurden von Demonstranten mit Brandsätzen beworfen. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Demonstranten Steine auf Polizisten warfen, die ihrerseits Schlagstöcke einsetzten. Wasserwerfer wurden mit Feuerwerkskörpern beschossen.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von bestürzenden Nachrichten aus der Ukraine und erklärte, die Sicherheitskräfte des Landes trügen eine besondere Verantwortung für eine Deeskalation der Lage. Europa werde "mit Sicherheit" ihre bisherige Zurückhaltung zu Sanktionen gegen Einzelpersonen überdenken.
EU-Erweiterungskommissar Stefan Fuele erklärte in Brüssel, er sei besorgt über die Bilder aus Kiew von Polizisten, die Kalaschnikow-Sturmgewehre trügen. Er habe deswegen mit dem amtierenden Ministerpräsidenten telefoniert. "Er hat mir versichert, dass er und die Behörden alles tun werden, damit diese Waffen weiter schweigen", sagte Fuele. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton rief beide Seiten auf, die Krise rasch zu beenden. Die USA verurteilten die Gewalt.
Die russische Regierung warf dem Westen vor, für die Eskalation verantwortlich zu sein. Diese sei ein direktes Resultat der Duldung des aggressiven Vorgehens radikaler Kräfte durch westliche Politiker.
Parlamentspräsident Wolodimir Ribak hatte zunächst erklärt, Janukowitsch werde sich am Mittwoch mit führenden Vertretern der Regierungsgegner treffen. Klitschkos Sprecherin sagte jedoch bereits am späten Abend, der Ex-Boxer sei zu Gesprächen am Amtsitz des Präsidenten eingetroffen. Frühere Treffen von Janukowitsch und Spitzen der Opposition waren ohne greifbares Ergebnis geblieben. Seit Monaten protestieren Zehntausende gegen die pro-russische Politik Janukowitschs. Sie fordern eine engere Anbindung des Landes an die Europäische Union.