Politik

Wegen Euro-Krise: Türkei verabschiedet sich vom EU-Beitritt

Lesezeit: 2 min
24.07.2012 22:29
Die Türkei schlägt in Sachen EU pragmatische Töne an. Eine künftige Visafreiheit für türkische Bürgerinnen und Bürger innerhalb der Europäischen Union würde ihrer Meinung nach gut funktionieren. Der Grund: Türken würden gar nicht mehr in der EU leben wollen.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Laut dem türkischen EU-Minister Egemen Bagis hätten sich die Ambitionen seiner Landsleute hinsichtlich eines Aufenthaltes in Europa grundlegend geändert. Mittlerweile würden sie in europäische Hauptstädte reisen, um ihr Geld dort in Geschäften und Hotels auszugeben.

Früher, so sagte der Minister dem EU Observer, wäre der Reisegrund ein völlig anderer gewesen: „Wurden Türken in der Vergangenheit danach gefragt, ob sie gerne in Europa leben wollen würden, hätten 80 Prozent mit Ja geantwortet. Heute sagen 85 Prozent Nein.“ Der Grund liegt für Bagis auf der Hand: Mittlerweile würden sich seine Bürgerinnen und Bürger in der Heimat sogar bessere Chancen ausrechnen – vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Um den „Richtungswechsel“ zu verdeutlichen, führt der EU-Politiker auch einige Zahlen an. So seien im Jahr 2010 27,000 Türken nach Deutschland ausgewandert. Auf der anderen Seite gab es jedoch 35,000 Deutsche, die in die Türkei zogen. Und dieser Trend könnte sich sogar noch deutlicher ausprägen. So weißt Bagis darauf hin, dass „viele der 5,5 Millionen in Europa lebenden Türken in Betracht ziehen in die Türkei zu gehen, um dort ein besseres Leben für sich und ihre Kinder zu haben“.

Die Entwicklungen, die der türkische Minister beschreibt, kommen nicht von Ungefähr. Während die Eurozone von einer Krise in die nächste zu schlittern scheint, galoppiert das türkische pro Kopf Bruttoinlandsprodukt nach oben. In Regionen wie Ankara oder Istanbul ist man bereits auf Augenhöhe mit Griechenland, Teilen Spaniens und Großbritanniens sowie den ehemaligen kommunistischen EU-Ländern. Ganz anders sieht es allerdings noch in den ländlichen Regionen des Landes aus. Hier leben gut zehn Prozent der Bevölkerung von weniger als umgerechnet fünf Dollar pro Tag.

Türkei muss das Einwanderer-Problem in den Griff kriegen

Als Gegenleistung für eine Visafreiheit muss die Türkei ein so genanntes Rückübernahmeabkommen umsetzen. So soll der Migrantenstrom aus so entlegenen Ländern wie China und Pakistan in die EU gestoppt werden, die die Türkei bisher als Transitland genutzt haben. Wie Bagis hierzu erklärt, plane die Türkei eine gut 50.000 Mann starke zivile Grenzpolizei einzurichten, daneben soll es „humane“ Haftanstalten, aber auch „neue Zäune“ geben. Derzeit werden von den türkischen Behörden etwa 70.000 Personen pro Jahr geschnappt, die über die Türkei nach Griechenland oder Bulgarien gelangen wollen. Diese Zahl, so warnt er, könne sich leicht verdoppeln oder gar verdreifachen bis die neuen Maßnahmen überhaupt installiert worden seien. Derzeit befänden sich zudem etwa 30.000 syrische Flüchtlinge in acht türkischen Camps im Südosten des Landes. Dort würden bereits Armee und Gendarmerie für Ruhe sorgen und sicherstellen, dass keine Waffen hinein gelangten.

Die Visa-Vereinbarungen mit der Türkei sehen darüber hinaus auch die Unterzeichnung eines „operativen Abkommens“ mit Europol vor. Der Hintergrund: Großbritannien äußerte im vergangenen Jahr die Sorge, dass türkische Mafiagruppen eine erhebliche Bedrohung für die innere Sicherheit der EU darstellen würden. Der Innenausschuss des britischen Unterhauses hatte vor gut einem Jahr, am 1. August 2011, einen Bericht zu den Auswirkungen des EU-Beitritts der Türkei auf den Bereich Justiz und Inneres veröffentlicht. In ihren Ausführungen bezogen sich die Parlamentarier auf den jüngsten Europol-Bericht. Demnach seien die EU-Staaten von der organisierten Kriminalität türkischer Banden oder von in der Türkei agierenden kriminellen Netzwerken betroffen. Hierzu zähle etwa der Heroinschmuggel aus Afghanistan nach Europa bzw. der Schmuggel von synthetischen Drogen in den Nahen Osten und von Kokain nach Europa sowie Menschenhandel. Vorschub würde dem durch mangelnde Kooperation der Geheimdienste zum Beispiel hinsichtlich von Personendaten, geleistet werden.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tarifrunde der Chemieindustrie: Gewerkschaft fordert mehr Lohn
26.04.2024

Im Tarifstreit in Ostdeutschlands Chemieindustrie fordert die Gewerkschaft IG BCE eine Lohnerhöhung von 7 Prozent. Arbeitgeber warnen vor...