Weltwirtschaft

Großbritannien: die Lage ist prekär - und dürfte sich noch weiter zuspitzen

Lesezeit: 3 min
23.11.2022 15:00
Großbritannien hat enorme wirtschaftliche Probleme. Wie fällt der Vergleich zu den europäischen Nachbarn aus?
Großbritannien: die Lage ist prekär - und dürfte sich noch weiter zuspitzen
Düstere Aussichten: Großbritanniens wirtschaftliche Lage ist extrem angespannt (Foto: dpa)

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In den letzten Jahrzehnten lag Großbritanniens Bruttoinlandsprodukt-Wachstum im Durchschnitt zwischen der höheren Rate in den USA und der niedrigeren Rate in der Eurozone. Das hat sich jetzt rasant geändert. Der Aufschwung nach der Pandemie war bemerkenswert schwach, wie der Guardian berichtet. Aktuelle Daten deuten zudem darauf hin, dass die wirtschaftlichen Aussichten besonders schlecht sind.

Die Strukturprobleme der britischen Wirtschaft bestanden schon vor dem Beitritt zur EU, haben sich in der Zeit als Mitglied der EU nicht geändert und sind die gleichen auch nach dem Austritt aus der EU. Das Handelsbilanzdefizit beträgt Jahr für Jahr rund 230 Milliarden US-Dollar. Zuletzt brachten die Exporte 465 Milliarden ins Land, die Importe kosteten aber 695 Milliarden.

Rezession: Als Erster drin, als Letzter raus

Das Land befindet sich offiziell in einer Rezession. Nach Angaben der britischen Statistikbehörde „The Office for National Statistics“ schrumpfte die Wirtschaftsleistung in den drei Monaten bis September um 0,2 Prozent. Im Vergleich wuchs die Wirtschaft in der Eurozone um 0,2 Prozent (in Frankreich um 0,2 Prozent und in Deutschland um 0,3 Prozent). Das Wirtschaftswachstum in den USA im gleichen Zeitraum belief sich auf 0,6 Prozent. „Wir gehen davon aus, dass Großbritannien als erstes in eine Rezession eintritt und als letztes wieder herauskommt,“ so Samuel Tombs, Chefökonom bei Pantheon Macroeconomics.

Dem britischen „Office for Budget Responsibility“ zufolge wird Großbritannien erst Ende 2024 wieder dasselbe Wachstumsniveau wie vor der Pandemie erreichen. Die Gesamtwirtschaftsleistung war Ende September immer noch um 0,4 Prozent niedriger als vor der Pandemie. Im Gegensatz dazu liegt die US-Wirtschaft bereits um 4,2 Prozent über dem Niveau vor der Pandemie, während das Bruttoinlandsprodukt-Wachstum der Eurozone um 2,1 Prozent über dem Stand von Ende 2019 liegt.

Der britische Arbeitsmarkt sei im Vergleich zu vielen anderen globalen Arbeitsmärkten zudem „unglaublich angespannt“, sagt Marchel Alexandrovich, Direktor bei Saltmarsh Economics. Viele Menschen im erwerbsfähigen Alter fallen aus dem Arbeitsmarkt heraus und werden als nicht erwerbstätig eingestuft.

Laut der Oktober-Prognose des Internationalen Währungsfonds wird die britische Arbeitslosigkeit im Jahr 2024 einen Höchststand von fünf Prozent erreichen - knapp unter der 5,4 Prozent-Prognose für die USA und unter den Erwartungen für Frankreich, Italien und Kanada. Die Prognose für Deutschland beläuft sich auf 3,2 Prozent.

Rekord-Inflation

Die Inflation in Großbritannien hat Ende Oktober mit 11,1 Prozent einen 41-Jahres-Höchststand erreicht, hauptsächlich angetrieben durch hohe Energiepreise aber auch durch den Preisantrieb bei Lebensmitteln. Selbst die ebenfalls im historischen Vergleich enorm hohe Inflation in der Eurozone von 10,6 Prozent steht noch dahinter zurück.

Die Inflationssituation weltweit hat sich grundlegend geändert, sagen vom Guardian befragte Beobachter. „Es gibt einen Strukturwandel im Energiebereich. Es wird noch ein paar Jahre andauern, bis die Abkehr vom russischen Gas abgeschlossen ist. Die Globalisierung, wie wir sie kennen, ist vorbei. Es ist so viel im Gange, dass eine typische Rezession und ein Wiederaufschwung unwahrscheinlich sind.“

Die Kauflaune der Briten war im August angesichts der starken Geldentwertung auf ein Rekordtief gefallen. Experten prognostizieren, dass sich die Vertrauenskrise sich in den Wintermonaten nur noch verschlimmern werde.

Hohe Zinssätze

Die meisten großen Zentralbanken haben dieses Jahr Zinssätze erhöht, um dem weltweiten Inflationsdruck entgegenzuwirken. Während Ökonomen erwarten, dass die Bank of England ihren Leitzins (der sich auch auf die Hypotheken-Zinsen auswirkt) im nächsten Jahr auf vier Prozent anheben wird, wird die Europäische Zentralbank ihren Leitzins für Einlagen laut Tombs nur auf etwa 2,5 Prozent anheben. Höhere Leitzinsen erschweren im Allgemeinen die Schuldenaufnahme und dämpfen so das Wirtschaftswachstum. Auch sind britischen Haushalte insgesamt höher verschuldet als EU-Haushalte und werden im nächsten Jahre einen größeren Teil ihrer Schulden refinanzieren müssen.

Auch spaltet der Austritt aus der EU Großbritannien noch immer. Aktuellen Umfragen zudolge wollen 52 Prozent zurück in die EU, 48 Prozent befürworten den Austritt. Die Ergebnisse schwanken seit Jahren um den 50-Prozent-Wert.

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Vera von Lieres gehört seit September 2022 zum DWN-Team und schreibt als Redakteurin über die Themen Immobilien und Wirtschaft. Sie hat langjährige Erfahrung im Finanzjournalismus, unter anderem bei Reuters und führenden Finanzmedien in Südafrika. Außerdem war sie als Kommunikations- und Marketing-Spezialistin bei internationalen Firmen der Investment-Branche tätig.


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