Politik

Behörden warnen vor Überlastung durch Energie-Hilfspakete

Ein Großteil der Behörden in Deutschland wird die von der Regierung gewährten Energiepreis-Zuschüsse nicht ordentlich und zeitnah bearbeiten können.
01.12.2022 09:00
Lesezeit: 5 min
Behörden warnen vor Überlastung durch Energie-Hilfspakete
Auf deutsche Behörden kommt in manchen Bereichen eine Überforderung zu. (Foto: dpa) Foto: Oliver Berg

Die Vielzahl und unkonkrete Ausgestaltung mehrerer von der Bundesregierung derzeit vorbereiteten Ausgleichszahlungen für die enorm gestiegenen Energiepreise droht die Behörden nach eigener Aussage zu überlasten.

Die Energiepreispauschale, die sogenannte Gaspreisbremse, die sogenannte Strompreisbremse und die Wohngelderhöhung zum Jahreswechsel treffen demnach auf eine völlig unvorbereitete Bürokratie, die weder über eine ausreichende Anzahl geschulter Mitarbeiter noch über eine geeignete Software-Ausstattung verfüge, um die Maßnahmen reibungslos und zeitnah umzusetzen.

Kritik kommt unter anderem von der Deutschen Steuergewerkschaft, wie die Welt berichtet. „Die Entlastungsmaßnahmen sind untereinander vollkommen unabgestimmt“, sagte der Bundesvorsitzende Florian Köbler. Erst habe es die Energiepreispauschale nur für Arbeitnehmer gegeben, dann doch auch für Rentner und Versorgungsempfänger, jetzt komme die Besteuerung des Gaspreisdeckels hinzu. „Das ist ein heilloses Durcheinander, das auf eine Finanzverwaltung trifft, die bereits am absoluten Limit ist“, sagte Köbler.

Die Steuergewerkschaft rechnet damit, dass die Steuerzahler die Folgen der Überforderung der Behörden im kommenden Jahr bemerken werden. „Die Bürger werden im kommenden Jahr länger auf Steuererstattungsansprüche warten müssen“, sagte Köbler. Schon heute würden die Servicezentren und Telefon-Hotlines der Ämter mit Anfragen überflutet, beispielsweise von Rentnern, die wissen wollten, ob sie wegen der 300 Euro Energiepreispauschale, die bis zum 15. Dezember ausgezahlt werden soll, im nächsten Jahr eine Steuererklärung abgeben müssen.

Wohngeld-Erhöhung macht Probleme

Kommunen und Länder rechnen wegen der Ausweitung des Wohngelds mit monatelangen Verzögerungen bei der Auszahlung. Als Grund wurde Personalmangel in den zuständigen Behörden genannt. Die Unterstützung werde viele Menschen nicht zeitnah erreichen, warnte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy. „Das ist eine Bauchlandung mit Ansage“, zitiert die dpa Dedy. Eine Sprecherin von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) verwies auf geplante Verwaltungsvereinfachungen, die es einfacher machen sollten, das Wohngeld auszuzahlen.

„Schon heute dauert die Bearbeitung eines Wohngeldantrags drei bis sechs Monate“, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, der Bild-Zeitung. „Das wird sich deutlich ausweiten.“

Der Welt am Sonntag sagte Landsberg, bei der Umsetzung des Gesetzes drohe „ein Kollaps“ des Wohngeldsystems bis weit in das kommende Jahr hinein. Eine auch nur annähernd ausreichende Ausstattung der Wohngeldstellen mit qualifiziertem Fachpersonal sei bis Januar nicht erreichbar. Einzelne Kommunen rechnen zum jetzigen Stand mit zweieinhalb- bis fünfmal so hohen Antragszahlen wie bisher, wie eine Umfrage der Zeitung unter den zehn größten deutschen Städten ergab.

Der Bundesrat hatte der Wohngeldreform am 25. November zugestimmt. Demnach könnten im nächsten Jahr zusätzlich zu den bisher 600.000 Haushalten bundesweit bis zu 1,4 Millionen weitere Anspruch auf einen staatlichen Zuschuss zur Miete bekommen. Wohngeld können Haushalte beantragen, die zwar keine Sozialleistungen beziehen, trotzdem aber wenig Geld haben. Bereits am Freitag im Bundesrat hatten Ländervertreter deutlich gemacht, die Auszahlung werde dauern.

Nordrhein-Westfalens Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Bundesregierung hatte von Anfang an das Ziel, die Wohngeldreform mit aller Macht durchzuboxen. Dabei wird sie sich selbst ein blaues Auge holen.“ Es fehle an Personal für die Bearbeitung der Anträge, und neue Mitarbeiter könnten auch erst ab Mitte Dezember geschult werden.

„Wir gehen davon aus, dass Wohngeldanträge nach neuem Recht erst ab April 2023 und dann rückwirkend bewilligt werden können“, sagte die NRW-Ministerin. Schon jetzt sei ein Ansturm auf die Wohngeldstellen zu bemerken. Für mögliche Abschlagszahlungen habe kaum ein Land Vorkehrungen getroffen. Außerdem brächten sie Doppelarbeit für die Verwaltungen.

Auch Dedy prognostizierte wochen- oder monatelange Verzögerungen. Der Bund habe sich geweigert, Vereinfachungen im Gesetz wie zum Beispiel Pauschalen einzuführen, die eine zügigere Auszahlung ermöglicht hätten, sagte er. Jetzt komme es darauf an, die EDV-Vorgaben vom Land so schnell wie möglich zu bekommen.

Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU) sagte am Samstag: „Bei dieser großen Reform wäre es unerlässlich gewesen, dass der Bund auf die Praxis hört und die Voraussetzungen dafür schafft, dass das Wohngeld schnell an die Berechtigten ausgezahlt werden kann.“ Eine Antragsbearbeitung und Auszahlung bei einer Verdreifachung der Empfängerhaushalte sei nicht mit dem bestehenden Personal zu stemmen. „Auch neues Personal muss erst gefunden und dann mehrere Monate in die komplexe Materie des Wohngeldrechts eingearbeitet werden. Auch die EDV-Programme müssen erst an die Neuerungen angepasst werden.“

Die Sprecherin von Bundesministerin Geywitz sagte am Samstag, das sogenannte Wohngeld-Plus-Gesetz sehe unter anderem die Möglichkeit vorläufiger Zahlungen vor. Außerdem könne der Bewilligungszeitraum bei gleichbleibenden Verhältnissen auf 24 Monate verlängert werden.

Bis Ende Juni 2023 werde zudem die Verpflichtung der Jobcenter ausgesetzt, Menschen umgehend an die Wohngeldbehörde zu verweisen, die zuvor Hartz IV oder Sozialhilfe bezogen haben. Damit soll ein Antrags- oder Bearbeitungsstau vermieden werden, so dass zügig über Anträge sogenannter Wechsler entschieden werden soll.

Ziel sei es, die Verwaltungsvereinfachungen bis Mitte Dezember abzuschließen, so dass sie zu Beginn Januar final seien, so die Sprecherin. Mit den Verwaltungsvereinfachungen werde den Ländern die Möglichkeit an die Hand gegeben, flexibler auf die steigenden Antragszahlen und entsprechende Geschäftslagen reagieren zu können.

Der Chef des Normenkontrollrats - einem Beratergremium der Bundesregierung - geht von größeren Problemen bei der Auszahlung der unterschiedlichen Entlastungsmaßnahmen aus. „Jeder wird irgendwann sein Geld bekommen, aber es wird Zeit kosten und es werden Fehler passieren“, sagte Lutz Goebel der Welt am Sonntag. Es räche sich nun, dass man die Digitalisierung der Verwaltung „schlicht versemmelt“ habe.

Worum es bei den Paketen geht

Energiepreispauschale: Rentner sollen im Dezember eine Energiepreispauschale von 300 Euro zur Milderung der gestiegenen Kosten erhalten. Die Pauschale bekommen alle Rentner mit Wohnsitz in Deutschland.

Gaspreisbremse: Der staatlich subventionierte Entlastungsbetrag soll auf die Kosten der Bürger für Erdgas angerechnet werden. Genannt wurde ein Beispiel: Eine vierköpfige Familie mit einer 100 Quadratmeter großen Wohnung hat einen Gasverbrauch von 15.000 Kilowattstunden (kWh) im Jahr. Ihr bisheriger Gaspreis lag bei 8 Cent pro kWh, also 100 Euro im Monat - ihr neuer Gaspreis bei 22 Cent. Ohne die Gaspreisbremse müsste die Familie 175 Euro mehr als bisher im Monat zahlen. Mit der Gaspreisbremse zahle sie monatlich 175 Euro bei gleichbleibendem Verbrauch. Wenn die Familie am Ende des Jahres weniger Gas verbraucht habe, bekomme sie auf ihrer Endabrechnung Geld zurück - wenn sie 20 Prozent spare, bekomme sie 660 Euro zurück.

Auch Großverbraucher etwa aus der Industrie werden entlastet. Für sie gilt ein Garantiepreis von 7 Cent je Kilowattstunde, allerdings netto und nur für 70 Prozent der Verbrauchsmenge 2021. Bundesweit wird die „industrielle Gaspreisbremse“ den Angaben zufolge für etwa 25.000 Unternehmen und 1.900 Krankenhäuser gelten. Die Preisbremse soll dabei auch für die stoffliche Nutzung des Gases gelten, etwa in der Chemieindustrie. Für Gaskraftwerke gilt die Regelung nicht.

Strompreisbremse: Die Belastungen durch die hohen Strompreise dämpfen soll die Strompreisbremse, die am 25. November vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Dabei soll bei Haushalten und kleineren Unternehmen für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs der Preis gedeckelt werden, und zwar auf 40 Cent je Kilowattstunde. Verbraucht der Kunde mehr, zahlt er den normalen Vertragspreis. Dies soll einen Sparanreiz geben. Die Versorger sollen die Strompreisbremse ab März in den Abschlägen berücksichtigen. Rückwirkend soll die Bremse dann auch für Januar und Februar gelten. Der Gesetzentwurf geht nun in die parlamentarische Beratung.

Wohngelderhöhung: Der Bundesrat hatte der Wohngeldreform am 25. November zugestimmt. Demnach könnten im nächsten Jahr zusätzlich zu den bisher 600.000 Haushalten bundesweit bis zu 1,4 Millionen weitere Anspruch auf einen staatlichen Zuschuss zur Miete bekommen. Wohngeld können Haushalte beantragen, die zwar keine Sozialleistungen beziehen, trotzdem aber wenig Geld haben.

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