Deutschland

Ifo: Hohe Energiepreise senken Realeinkommen der Deutschen

Die hohen Energiepreise schlagen auf die Finanzen der Bürger durch. Als Reaktion darauf sank der Energieverbrauch so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
26.12.2022 08:50
Aktualisiert: 26.12.2022 08:50
Lesezeit: 2 min

Der rasante Anstieg der Energiepreise kostet Deutschland nach Berechnungen des Ifo-Instituts fast 110 Milliarden Euro an verlorenem Realeinkommen. Entsprechend weniger wird nach Einschätzung der Münchner Ökonomen bei Tarif- und Gehaltsverhandlungen an Arbeitnehmer zu verteilen sein. „Der derzeitige Realeinkommensrückgang dürfte auch in den kommenden Jahren bestehen bleiben“, sagte Ifo-Konjunkturforscher Timo Wollmershäuser am Dienstag. Das Institut veröffentlichte die Studie Anfang November vor dem Hintergrund der laufenden Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie.

Realeinkommen sind die inflationsbereinigten Einkommen. Die verlorenen Milliarden sind demnach die Summe, die aus Deutschland zur Bezahlung der sehr viel teurer gewordenen Energieimporte ins Ausland abfließt - 35 Milliarden Euro im vergangenen Jahr, 64 Milliarden in diesem und noch einmal neun Milliarden 2023. In Summe wäre das laut Ifo der höchste Realeinkommenverlust seit der zweiten Ölkrise Ende der 1970er Jahre.

Wollmershäuser und sein Kollege Wolfgang Nierhaus gehen davon aus, dass die deutschen Unternehmen ihre Exportpreise zunächst sehr viel weniger kräftig erhöhen können als die Importpreise steigen. „Ein Gutteil der höheren Preise für importierte Energie dürfte

daher von den heimischen Endverbrauchern zu tragen sein“, schreiben die Wissenschaftler.

Die Bezifferung der Realeinkommensverluste sei wichtig bei allen Verteilungsdiskussionen, betonte Wollmershäuser. Die hohen Preise für in Deutschland produzierte Waren und Dienstleistungen seien nicht Folge eines Booms, sondern spiegelten vor allem die hohen Kosten für importierte Energie und Vorprodukte wider. Das zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern zu verteilende Einkommen „muss also um die Realeinkommensverluste korrigiert werden.“

Mit seinen Berechnungen plädiert das Ifo-Institut also für eine starke Zurückhaltung bei Lohnerhöhungen.

Tiefster Energieverbrauch seit 1990

Der Energieverbrauch in Deutschland fällt laut einer Hochrechnung von Experten in diesem Jahr auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung 1990. Im Vergleich zum Vorjahr werde der Verbrauch um 4,7 Prozent auf 11 829 Petajoule zurückgehen, wie die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen am 20.Dezember in Berlin berichtete.

Als Ursache nimmt die AG Energiebilanzen die stark gestiegenen Energiepreise an. Sie hätten sowohl zu verhaltensbedingten Einsparungen wie auch zu Investitionen in die Energieeffizienz mit mittel- bis langfristiger Wirkung geführt. „Zu einer Minderung des Energieverbrauchs dürften auch preisbedingte Produktionskürzungen in einzelnen Wirtschaftsbranchen geführt haben“, hieß es weiter.

Trotz der konjunkturellen Eintrübung sei von der Wirtschaft ein energieverbrauchssteigernder Effekt ausgegangen. Ein höherer Energieverbrauch habe sich auch aus dem Anstieg der Bevölkerungszahl ergeben. So habe sich allein bis August die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen um knapp eine Million erhöht. Knapp ein Prozent des Gesamtrückgangs beim Energieverbrauch führt die AG Energiebilanzen auf die wärmere Witterung im Vergleich zum Vorjahr zurück. „Bereinigt um den Temperatureinfluss wäre der Energieverbrauch 2022 in Deutschland nur um 3,9 Prozent gesunken.“

Mineralöl hatte der Schätzung zufolge einen Anteil von 35,2 Prozent am gesamten Primärenergieverbrauch (Vorjahr 32,5 Prozent). Erdgas kam auf 23,8 Prozent (Vorjahr: 26,6). Die Erneuerbaren Energien erreichten einen Anteil von 17,2 (Vorjahr: 15,7) Prozent. Auch Kohle legte zu: Braunkohle hatte 2022 einen Anteil von 10 Prozent (Vorjahr: 9,1 Prozent) am gesamten Primärenergieverbrauch.

„Der Mehreinsatz glich verminderte Beiträge anderer Energieträger zur Erzeugung von Strom und Wärme aus“, hieß es. Der Anteil der Steinkohle am gesamten Energieverbrauch erhöhte sich von 8,9 auf 9,8 Prozent. Auch hier spielte die verstärkte Verstromung eine wichtige Rolle. Nach der Abschaltung von drei Blöcken ging der Anteil der Kernenergie von 6,1 auf 3,2 Prozent zurück.

Die AG Energiebilanzen rechnet mit einem Rückgang der energiebedingten Kohlendioxid-Emissionen um etwa ein Prozent. Zwar hätten die Substitutionseffekte im Energiemix zu einem Anstieg der CO2-Emissionen geführt. „Dieser Zuwachs lag jedoch unter der Einsparung, die sich aus dem Rückgang des Gesamtverbrauchs ergibt.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Buffetts Abgang, Zölle, Milliardenflucht: Steht der Markt vor einem Wendepunkt?
13.05.2025

Turbulente Zeiten an der Wall Street: Während Großinvestoren Milliarden abziehen und Strategen vor dem Ende des Booms warnen, stürmen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Lateinamerika im Fokus: Chinas Milliardenoffensive gegen Washingtons Einfluss
13.05.2025

Chinas Regierung sucht neue Verbündete – nicht aus Not, sondern mit Strategie. Während die USA auf Konfrontation setzen, stärkt Peking...

DWN
Finanzen
Finanzen Wird die Grundsteuer erhöht? Zu viele Ausgaben, zu wenig Einnahmen: Deutsche Kommunen vorm finanziellen Kollaps
13.05.2025

Marode Straßen, Bäder und Schulen: Fast neun von zehn Städten und Gemeinden in Deutschland droht in absehbarer Zeit die Pleite. Bereits...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Handelskrieg mit Ansage: Warum Europas Vergeltung Washington teuer zu stehen kommen könnte
13.05.2025

Die EU zieht die Reißleine: Mit einem neuen Maßnahmenpaket über 95 Milliarden Euro kontert Brüssel die US-Strafzölle – und trifft...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Munich Re: Milliardenschaden durch Waldbrände in Kalifornien
13.05.2025

Flammen wüten immer wieder durch Kalifornien – und hinterlassen nicht nur verkohlte Wälder, sondern auch tiefe Spuren in den Bilanzen...

DWN
Politik
Politik Trump besucht erneut die Golfstaaten – Wirtschaftsinteressen stehen im Vordergrund
13.05.2025

Warum reist Donald Trump erneut als erstes nach Saudi-Arabien – und nicht etwa zu den engsten Nachbarn der USA? Hinter dem glanzvollen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trump: Die Arzneimittelpreise müssen um 59 Prozent sinken
13.05.2025

Die Pharmabranche gerät weltweit unter Druck: Mit einer neuen Ankündigung hat US-Präsident Donald Trump den globalen Arzneimittelmarkt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU-Kommission kündigt Importverbot für russisches Gas an – doch wo bleibt das Gesetz?
13.05.2025

Die EU verkündet das Ende russischer Gasimporte – aber präsentiert (noch) keine juristische Grundlage. Experten warnen: Was die...